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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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kriege geschlossen: von den ständischen Kreisen in dem Bestreben, die Consoli-
dation der staatsbürgerlichen Gesellschaft sich nicht abschließen zu lassen und die
letzte Position außerhalb derselben nicht zu verlieren; von der Monarchie, weil die
staatsbürgerliche Gesellschaft den nationalen Instinkt als ihre sittliche Ergänzung in
sich erwachen fühlte und eine große auswärtige Politik verlangte. Um auf die aus¬
wärtige Politik Einfluß zu üben, wie um die Bürgschaft ihres eignen Bestandes zu
gewinnen, begehrte die staatsbürgerliche Gesellschaft eine Verfassung. Die Krone
aber konnte, ohne sich selbst aufzugeben, am wenigsten auf die alleinige Leitung
der auswärtige" Politik verzichten. Eine Politik des Quietismus und des
Verzichts auf den Großmachtsberuf konnte aber nur in Anlehnung an die
alten Stände betrieben werden, denen nun eine Einräumung nach der andern
zu Theil wurde. Man kann sagen, daß die Krone wieder frei und überlegen
der staatsbürgerlichen Gesellschaft entgegentreten kann, seitdem sie den Beruf
der auswärtigen Politik als ihr natürliches Monopol mit dem unbestrittensten
und uubestreitbarsteu Erfolge wieder in die Hand genommen hat. Und merk¬
würdig: seitdem die altstündischen Kreise sich von der Monarchie verlassen fühlen,
weil diese nicht mehr dem Quietismus und der Unterwerfung in der auswärtigen
Politik huldigt, seitdem werden diese Kreise von einem unwiderstehlichen Instinkt
mehr und mehr zu der natürliche" Feindin der Staatsidee in allen Staaten,
zur römischen Kirche hingezogen. Die römische Kirche ist überall die natürliche
Verbündete der an sich mit einander unverträglichen, aber gleich stark staats¬
feindlichen Tendenzen: der ständischen Zerreißung einerseits, der formlosen Demo¬
kratie andrerseits. Die bedeutungsvolle Signatur des vergangenen Jahres für
die deutsche Entwicklung ist die immer stärkere Anziehungskraft des Centrums
auf die alteonservativen Kreise. Die letztern halten sich kaum noch, in die
Arme Roms zu sinken. Kreuzzeitung, Landeszeitnng, Wahrheit, Reichsbote und
wie sie alle heißen, rufen immer heiserer: Der Culturkampf muß aufhören! Die
antisemitische Bewegung, soweit sie nicht Straßenjungensport ist, ist lediglich das
Mittel, der katholisch - particularistischen und der krypto-katholisch-particulari-
stischen Partei -- denn letzteres ist der zutreffende Name -- ein Ziel des
Zusammenwirkens und zugleich der Einwirkung auf die heftigsten Instinkte
der Masse in die Hand zu liefern. Mit minder auffallendem Erfolge hält Rom
seine Schlingen auch im demokratischen Lager fest. Herrn Eugen Richter, der
sich längst gegen den Unitarismus, d. h. gegen den Reichsgedanken erklärt, der
schon präludirt hat, sich gegen den Culturkampf zu erklären, wird es bald ein-
gefangen haben, wobei der Herr natürlich glauben wird, nicht der Gefangene,
sondern der Jäger zu sein. Unter diesen Umständen sollte die Partei der staats¬
bürgerlichen Gesellschaft und des nationalen Staates sich ernster denn je auf
ihr Ziel besinnen und auf die Wege, die zu demselben eingeschlagen werden


kriege geschlossen: von den ständischen Kreisen in dem Bestreben, die Consoli-
dation der staatsbürgerlichen Gesellschaft sich nicht abschließen zu lassen und die
letzte Position außerhalb derselben nicht zu verlieren; von der Monarchie, weil die
staatsbürgerliche Gesellschaft den nationalen Instinkt als ihre sittliche Ergänzung in
sich erwachen fühlte und eine große auswärtige Politik verlangte. Um auf die aus¬
wärtige Politik Einfluß zu üben, wie um die Bürgschaft ihres eignen Bestandes zu
gewinnen, begehrte die staatsbürgerliche Gesellschaft eine Verfassung. Die Krone
aber konnte, ohne sich selbst aufzugeben, am wenigsten auf die alleinige Leitung
der auswärtige» Politik verzichten. Eine Politik des Quietismus und des
Verzichts auf den Großmachtsberuf konnte aber nur in Anlehnung an die
alten Stände betrieben werden, denen nun eine Einräumung nach der andern
zu Theil wurde. Man kann sagen, daß die Krone wieder frei und überlegen
der staatsbürgerlichen Gesellschaft entgegentreten kann, seitdem sie den Beruf
der auswärtigen Politik als ihr natürliches Monopol mit dem unbestrittensten
und uubestreitbarsteu Erfolge wieder in die Hand genommen hat. Und merk¬
würdig: seitdem die altstündischen Kreise sich von der Monarchie verlassen fühlen,
weil diese nicht mehr dem Quietismus und der Unterwerfung in der auswärtigen
Politik huldigt, seitdem werden diese Kreise von einem unwiderstehlichen Instinkt
mehr und mehr zu der natürliche« Feindin der Staatsidee in allen Staaten,
zur römischen Kirche hingezogen. Die römische Kirche ist überall die natürliche
Verbündete der an sich mit einander unverträglichen, aber gleich stark staats¬
feindlichen Tendenzen: der ständischen Zerreißung einerseits, der formlosen Demo¬
kratie andrerseits. Die bedeutungsvolle Signatur des vergangenen Jahres für
die deutsche Entwicklung ist die immer stärkere Anziehungskraft des Centrums
auf die alteonservativen Kreise. Die letztern halten sich kaum noch, in die
Arme Roms zu sinken. Kreuzzeitung, Landeszeitnng, Wahrheit, Reichsbote und
wie sie alle heißen, rufen immer heiserer: Der Culturkampf muß aufhören! Die
antisemitische Bewegung, soweit sie nicht Straßenjungensport ist, ist lediglich das
Mittel, der katholisch - particularistischen und der krypto-katholisch-particulari-
stischen Partei — denn letzteres ist der zutreffende Name — ein Ziel des
Zusammenwirkens und zugleich der Einwirkung auf die heftigsten Instinkte
der Masse in die Hand zu liefern. Mit minder auffallendem Erfolge hält Rom
seine Schlingen auch im demokratischen Lager fest. Herrn Eugen Richter, der
sich längst gegen den Unitarismus, d. h. gegen den Reichsgedanken erklärt, der
schon präludirt hat, sich gegen den Culturkampf zu erklären, wird es bald ein-
gefangen haben, wobei der Herr natürlich glauben wird, nicht der Gefangene,
sondern der Jäger zu sein. Unter diesen Umständen sollte die Partei der staats¬
bürgerlichen Gesellschaft und des nationalen Staates sich ernster denn je auf
ihr Ziel besinnen und auf die Wege, die zu demselben eingeschlagen werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/65>, abgerufen am 15.05.2024.