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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Goethe und Gustchen Stolberg.

mit der kräftigen Antwort diente: "Verschonen Sie uns künftig mit solchen
Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen uns nichts, und machen uns immer ein
Paar böse Stunden . . . glauben Sie mir, daß mir kein Augenblick meiner
Existenz überbliebe, wenn ich auf alle solche Anmahnungen antworten sollte."
Zwischen Klopstock und Goethe kam es damit für immer zum Bruche. Der
Herausgeber meint nun, offenbar sei in dem Klopstockscher Kreise der Weimarer
Klatsch colportirt worden, sei auch Gustchen zu Ohren gekommen, und auch
von ihr möchten im Mai, kurz nach Klopstocks Briefe, freundliche Mahnungen,
bei Goethe eingetroffen sein. Nur so erkläre sich, was er ihr am 16. Mai
gleich nach Empfang ihres Briefes schreibt: "Ja Gustgen Morgen fang ich dir
ein Journal an! -- das ist alles was ich thun kann -- denn der Dir nicht
schrieb bisher ist immer derselbe." Sollte aber wirklich das junge Mädchen
gewagt haben, wenn auch noch so zart und vorsichtig, Goethe über diese Dinge
zu interpelliren? Es ist schwer zu glauben. Die ganze Combination ist aber auch
überflüssig. Die Ankündigung des Weimarer Tagebuchs enthält ja fast genau
dieselben Worte wie die, mit denen er früher das Tagebuch aus der Lilizeit mo-
tivirt hatte: "Will dir so ein Tagbuch schreiben, ist das beste" und wieder "ich
bitte dich schreib mir auch so ein Tagbuch. Das ist das einzige, was die
ewige Ferne bezwingt." Ist das beste -- ist das einzige -- ist alles was ich
thun kann -- ist das nicht stets derselbe Gedanke? Es läuft eben immer
wieder darauf hinaus, daß sie einander fremd waren, daß er ihr also vollen
Einblick in das, was in seinem Innersten vorging, jetzt in seinem Verhältnisse
zum Herzog und zu Frau von Stein eben so wenig gönnen konnte wie damals
in seinem Verhältnisse zu Lili, und daß es denn da das bequemste war, einige
Momente aus dem äußern Verlaufe des Lebens zu fixiren.

Vollends gelockert wurde die Verbindung der beiden Correspondenten, als
im Sommer 1776 sich herausstellte, wie häßlich Fritz Stolberg sich dem Herzog
gegenüber betragen. Er hatte, wohl schon zu Anfang des Jahres 1776, ver¬
sprochen, als Kammerherr in des Herzogs Dienste zu treten und wurde als
solcher bereits öffentlich in den Etats aufgeführt. Nur die Erlaubniß hatte er
sich ausgebeten, den Sommer noch bei feinen Geschwistern zuzubringen. Durch
Klopstocks Einfluß aber wurde er in seinem Entschlüsse wieder wankend gemacht
und verhandelte thatsächlich im Sommer hinter dem Rücken des Weimarer Hofes
über die Annahme einer anderweitigen Stellung. Im August wurde er vom
Herzog Friedrich August, dem Fürstbischof zu Lübeck, zum Gesandten und bevoll¬
mächtigten Minister am dänischen Hofe ernannt. Hierauf bezieht sichs, was
Goethe Ende August an Gustchen schreibt: "Und die, die man so behandelt,
ist Carl August Herzog zu Sachsen, und dein Goethe Gustgen." Kein Wunder,
daß der weitere briefliche Verkehr von nun an nur noch mühselig aufrecht er-


Goethe und Gustchen Stolberg.

mit der kräftigen Antwort diente: „Verschonen Sie uns künftig mit solchen
Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen uns nichts, und machen uns immer ein
Paar böse Stunden . . . glauben Sie mir, daß mir kein Augenblick meiner
Existenz überbliebe, wenn ich auf alle solche Anmahnungen antworten sollte."
Zwischen Klopstock und Goethe kam es damit für immer zum Bruche. Der
Herausgeber meint nun, offenbar sei in dem Klopstockscher Kreise der Weimarer
Klatsch colportirt worden, sei auch Gustchen zu Ohren gekommen, und auch
von ihr möchten im Mai, kurz nach Klopstocks Briefe, freundliche Mahnungen,
bei Goethe eingetroffen sein. Nur so erkläre sich, was er ihr am 16. Mai
gleich nach Empfang ihres Briefes schreibt: „Ja Gustgen Morgen fang ich dir
ein Journal an! — das ist alles was ich thun kann — denn der Dir nicht
schrieb bisher ist immer derselbe." Sollte aber wirklich das junge Mädchen
gewagt haben, wenn auch noch so zart und vorsichtig, Goethe über diese Dinge
zu interpelliren? Es ist schwer zu glauben. Die ganze Combination ist aber auch
überflüssig. Die Ankündigung des Weimarer Tagebuchs enthält ja fast genau
dieselben Worte wie die, mit denen er früher das Tagebuch aus der Lilizeit mo-
tivirt hatte: „Will dir so ein Tagbuch schreiben, ist das beste" und wieder „ich
bitte dich schreib mir auch so ein Tagbuch. Das ist das einzige, was die
ewige Ferne bezwingt." Ist das beste — ist das einzige — ist alles was ich
thun kann — ist das nicht stets derselbe Gedanke? Es läuft eben immer
wieder darauf hinaus, daß sie einander fremd waren, daß er ihr also vollen
Einblick in das, was in seinem Innersten vorging, jetzt in seinem Verhältnisse
zum Herzog und zu Frau von Stein eben so wenig gönnen konnte wie damals
in seinem Verhältnisse zu Lili, und daß es denn da das bequemste war, einige
Momente aus dem äußern Verlaufe des Lebens zu fixiren.

Vollends gelockert wurde die Verbindung der beiden Correspondenten, als
im Sommer 1776 sich herausstellte, wie häßlich Fritz Stolberg sich dem Herzog
gegenüber betragen. Er hatte, wohl schon zu Anfang des Jahres 1776, ver¬
sprochen, als Kammerherr in des Herzogs Dienste zu treten und wurde als
solcher bereits öffentlich in den Etats aufgeführt. Nur die Erlaubniß hatte er
sich ausgebeten, den Sommer noch bei feinen Geschwistern zuzubringen. Durch
Klopstocks Einfluß aber wurde er in seinem Entschlüsse wieder wankend gemacht
und verhandelte thatsächlich im Sommer hinter dem Rücken des Weimarer Hofes
über die Annahme einer anderweitigen Stellung. Im August wurde er vom
Herzog Friedrich August, dem Fürstbischof zu Lübeck, zum Gesandten und bevoll¬
mächtigten Minister am dänischen Hofe ernannt. Hierauf bezieht sichs, was
Goethe Ende August an Gustchen schreibt: „Und die, die man so behandelt,
ist Carl August Herzog zu Sachsen, und dein Goethe Gustgen." Kein Wunder,
daß der weitere briefliche Verkehr von nun an nur noch mühselig aufrecht er-


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[0087] Goethe und Gustchen Stolberg. mit der kräftigen Antwort diente: „Verschonen Sie uns künftig mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen uns nichts, und machen uns immer ein Paar böse Stunden . . . glauben Sie mir, daß mir kein Augenblick meiner Existenz überbliebe, wenn ich auf alle solche Anmahnungen antworten sollte." Zwischen Klopstock und Goethe kam es damit für immer zum Bruche. Der Herausgeber meint nun, offenbar sei in dem Klopstockscher Kreise der Weimarer Klatsch colportirt worden, sei auch Gustchen zu Ohren gekommen, und auch von ihr möchten im Mai, kurz nach Klopstocks Briefe, freundliche Mahnungen, bei Goethe eingetroffen sein. Nur so erkläre sich, was er ihr am 16. Mai gleich nach Empfang ihres Briefes schreibt: „Ja Gustgen Morgen fang ich dir ein Journal an! — das ist alles was ich thun kann — denn der Dir nicht schrieb bisher ist immer derselbe." Sollte aber wirklich das junge Mädchen gewagt haben, wenn auch noch so zart und vorsichtig, Goethe über diese Dinge zu interpelliren? Es ist schwer zu glauben. Die ganze Combination ist aber auch überflüssig. Die Ankündigung des Weimarer Tagebuchs enthält ja fast genau dieselben Worte wie die, mit denen er früher das Tagebuch aus der Lilizeit mo- tivirt hatte: „Will dir so ein Tagbuch schreiben, ist das beste" und wieder „ich bitte dich schreib mir auch so ein Tagbuch. Das ist das einzige, was die ewige Ferne bezwingt." Ist das beste — ist das einzige — ist alles was ich thun kann — ist das nicht stets derselbe Gedanke? Es läuft eben immer wieder darauf hinaus, daß sie einander fremd waren, daß er ihr also vollen Einblick in das, was in seinem Innersten vorging, jetzt in seinem Verhältnisse zum Herzog und zu Frau von Stein eben so wenig gönnen konnte wie damals in seinem Verhältnisse zu Lili, und daß es denn da das bequemste war, einige Momente aus dem äußern Verlaufe des Lebens zu fixiren. Vollends gelockert wurde die Verbindung der beiden Correspondenten, als im Sommer 1776 sich herausstellte, wie häßlich Fritz Stolberg sich dem Herzog gegenüber betragen. Er hatte, wohl schon zu Anfang des Jahres 1776, ver¬ sprochen, als Kammerherr in des Herzogs Dienste zu treten und wurde als solcher bereits öffentlich in den Etats aufgeführt. Nur die Erlaubniß hatte er sich ausgebeten, den Sommer noch bei feinen Geschwistern zuzubringen. Durch Klopstocks Einfluß aber wurde er in seinem Entschlüsse wieder wankend gemacht und verhandelte thatsächlich im Sommer hinter dem Rücken des Weimarer Hofes über die Annahme einer anderweitigen Stellung. Im August wurde er vom Herzog Friedrich August, dem Fürstbischof zu Lübeck, zum Gesandten und bevoll¬ mächtigten Minister am dänischen Hofe ernannt. Hierauf bezieht sichs, was Goethe Ende August an Gustchen schreibt: „Und die, die man so behandelt, ist Carl August Herzog zu Sachsen, und dein Goethe Gustgen." Kein Wunder, daß der weitere briefliche Verkehr von nun an nur noch mühselig aufrecht er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/87>, abgerufen am 12.06.2024.