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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Goethe und Gustcheu Stolberg.

und anstatt zu verunglimpfen, suchen sie zu bekehren, weil es ihnen eine An¬
gelegenheit des Herzens ist, Anderen zu dem Frieden zu verhelfen, den sie selbst
genießen . . . Meinen Wunsch, von ihr selbst etwas über ihren Briefwechsel
mit Goethe zu hören, mußte ich aufgeben. Auch wußte ich es nicht recht an¬
zufangen, das Gespräch darauf zu bringen, da Hegewisch sagt, daß sie dieselben
wie ein Heiligthum aufbewahre und nur ihren vertrautesten Freunden zeige."

Diese Stellen muß man kennen, um den späten rührenden Nachklang zu
verstehen, den Goethes Briefwechsel mit Gustchen aus den Jahren 1775--1782
durch zwei Briefe vom Jahre 1822 fand. Wie mit Elise Schönemann, so ist
Goethe auch mit Auguste Stolberg nach Jahrzehnten noch einmal in flüchtige
Berührung gekommen. Frau von Winzer erzählt in der ersten Auflage der
Briefe, mit welchem wehmüthigen Antheil Auguste der spätern Entwicklung
Goethes gefolgt sei. Manches, was er schrieb, erschien ihrem reinen, frommen
Herzen unfaßbar, unverantwortlich, sie gerieth nach und nach in eine förmliche
Herzensangst um sein Seelenheil, und so entschloß sie sich endlich, nachdem sie
lange geschwankt zwischen der Furcht, verkannt oder gar verspottet zu werden,
und der Hoffnung, vielleicht noch eine Sinnesänderung bei ihm zu bewirken,
zu einem Briefe an ihn. Am 15. October 1822, also nach vierzigjähriger
Pause, schreibt sie - wir heben auch hier nur einige Stellen heraus --: "Ich
las in diesen Tagen wieder einmal alle Ihre Briefe.nach -- Sie waren der
kleinen Stolberg sehr gut -- und ich Ihnen auch so herzlich gut -- das kann
nicht untergehen -- diese unsre Freundschaft -- die Blüthe unsrer Jugend,
muß Früchte sür die Ewigkeit tragen, dachte ich oft -- und so ergriff es mich
beim letzten Ihrer Briefe, und so nahm ich die Feder ... o ich bitte, ich flehe
Sie lieber Goethe! abzulassen von Allen was die Welt Kleines, Eitles, Irdisches
und nicht Gutes hat -- Ihren Blick und ihr Herz zum Ewigen zu wenden. --
Ihnen ward viel gegeben, viel anvertraut, wie hat es mich oft geschmerzt,
wenn ich in Ihren Schriften fand, wodurch Sie so leicht andern Schaden zu¬
fügen -- O machen Sie das gut, weil es noch Zeit ist - Bitten Sie um
höhern Beystand und er wird Ihnen, so wahr Gott ist, werden. -- Ich dachte
oft ich könnte nicht ruhig sterben, wenn ich nicht mein Herz so gegen den Freund
meiner Jugend ausgeschüttet hätte -- und ich denke ich schlafe ruhiger darum ein,
wann mein Stündlein schlägt." Sie gedenkt dann der Lieben, die alle ihr im
Tode vorangegangen, und knüpft die Hoffnung daran: "Ich finde sie ja alle
wieder Eltern, Geschwister, Freunde, Kinder und den geliebten Gatten - So
gerne nähme ich auch die Hoffnung mit mir hinüber, Sie, lieber Goethe, auch
einst da kennen zu lernen ... Ich will so lange ich lebe, noch recht für Sie
beten - Mögten Sie sich darin noch recht mit mir vereinigen -- Mein Er-


Goethe und Gustcheu Stolberg.

und anstatt zu verunglimpfen, suchen sie zu bekehren, weil es ihnen eine An¬
gelegenheit des Herzens ist, Anderen zu dem Frieden zu verhelfen, den sie selbst
genießen . . . Meinen Wunsch, von ihr selbst etwas über ihren Briefwechsel
mit Goethe zu hören, mußte ich aufgeben. Auch wußte ich es nicht recht an¬
zufangen, das Gespräch darauf zu bringen, da Hegewisch sagt, daß sie dieselben
wie ein Heiligthum aufbewahre und nur ihren vertrautesten Freunden zeige."

Diese Stellen muß man kennen, um den späten rührenden Nachklang zu
verstehen, den Goethes Briefwechsel mit Gustchen aus den Jahren 1775—1782
durch zwei Briefe vom Jahre 1822 fand. Wie mit Elise Schönemann, so ist
Goethe auch mit Auguste Stolberg nach Jahrzehnten noch einmal in flüchtige
Berührung gekommen. Frau von Winzer erzählt in der ersten Auflage der
Briefe, mit welchem wehmüthigen Antheil Auguste der spätern Entwicklung
Goethes gefolgt sei. Manches, was er schrieb, erschien ihrem reinen, frommen
Herzen unfaßbar, unverantwortlich, sie gerieth nach und nach in eine förmliche
Herzensangst um sein Seelenheil, und so entschloß sie sich endlich, nachdem sie
lange geschwankt zwischen der Furcht, verkannt oder gar verspottet zu werden,
und der Hoffnung, vielleicht noch eine Sinnesänderung bei ihm zu bewirken,
zu einem Briefe an ihn. Am 15. October 1822, also nach vierzigjähriger
Pause, schreibt sie - wir heben auch hier nur einige Stellen heraus —: „Ich
las in diesen Tagen wieder einmal alle Ihre Briefe.nach — Sie waren der
kleinen Stolberg sehr gut — und ich Ihnen auch so herzlich gut — das kann
nicht untergehen — diese unsre Freundschaft — die Blüthe unsrer Jugend,
muß Früchte sür die Ewigkeit tragen, dachte ich oft — und so ergriff es mich
beim letzten Ihrer Briefe, und so nahm ich die Feder ... o ich bitte, ich flehe
Sie lieber Goethe! abzulassen von Allen was die Welt Kleines, Eitles, Irdisches
und nicht Gutes hat — Ihren Blick und ihr Herz zum Ewigen zu wenden. —
Ihnen ward viel gegeben, viel anvertraut, wie hat es mich oft geschmerzt,
wenn ich in Ihren Schriften fand, wodurch Sie so leicht andern Schaden zu¬
fügen — O machen Sie das gut, weil es noch Zeit ist - Bitten Sie um
höhern Beystand und er wird Ihnen, so wahr Gott ist, werden. — Ich dachte
oft ich könnte nicht ruhig sterben, wenn ich nicht mein Herz so gegen den Freund
meiner Jugend ausgeschüttet hätte — und ich denke ich schlafe ruhiger darum ein,
wann mein Stündlein schlägt." Sie gedenkt dann der Lieben, die alle ihr im
Tode vorangegangen, und knüpft die Hoffnung daran: „Ich finde sie ja alle
wieder Eltern, Geschwister, Freunde, Kinder und den geliebten Gatten - So
gerne nähme ich auch die Hoffnung mit mir hinüber, Sie, lieber Goethe, auch
einst da kennen zu lernen ... Ich will so lange ich lebe, noch recht für Sie
beten - Mögten Sie sich darin noch recht mit mir vereinigen — Mein Er-


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[0089] Goethe und Gustcheu Stolberg. und anstatt zu verunglimpfen, suchen sie zu bekehren, weil es ihnen eine An¬ gelegenheit des Herzens ist, Anderen zu dem Frieden zu verhelfen, den sie selbst genießen . . . Meinen Wunsch, von ihr selbst etwas über ihren Briefwechsel mit Goethe zu hören, mußte ich aufgeben. Auch wußte ich es nicht recht an¬ zufangen, das Gespräch darauf zu bringen, da Hegewisch sagt, daß sie dieselben wie ein Heiligthum aufbewahre und nur ihren vertrautesten Freunden zeige." Diese Stellen muß man kennen, um den späten rührenden Nachklang zu verstehen, den Goethes Briefwechsel mit Gustchen aus den Jahren 1775—1782 durch zwei Briefe vom Jahre 1822 fand. Wie mit Elise Schönemann, so ist Goethe auch mit Auguste Stolberg nach Jahrzehnten noch einmal in flüchtige Berührung gekommen. Frau von Winzer erzählt in der ersten Auflage der Briefe, mit welchem wehmüthigen Antheil Auguste der spätern Entwicklung Goethes gefolgt sei. Manches, was er schrieb, erschien ihrem reinen, frommen Herzen unfaßbar, unverantwortlich, sie gerieth nach und nach in eine förmliche Herzensangst um sein Seelenheil, und so entschloß sie sich endlich, nachdem sie lange geschwankt zwischen der Furcht, verkannt oder gar verspottet zu werden, und der Hoffnung, vielleicht noch eine Sinnesänderung bei ihm zu bewirken, zu einem Briefe an ihn. Am 15. October 1822, also nach vierzigjähriger Pause, schreibt sie - wir heben auch hier nur einige Stellen heraus —: „Ich las in diesen Tagen wieder einmal alle Ihre Briefe.nach — Sie waren der kleinen Stolberg sehr gut — und ich Ihnen auch so herzlich gut — das kann nicht untergehen — diese unsre Freundschaft — die Blüthe unsrer Jugend, muß Früchte sür die Ewigkeit tragen, dachte ich oft — und so ergriff es mich beim letzten Ihrer Briefe, und so nahm ich die Feder ... o ich bitte, ich flehe Sie lieber Goethe! abzulassen von Allen was die Welt Kleines, Eitles, Irdisches und nicht Gutes hat — Ihren Blick und ihr Herz zum Ewigen zu wenden. — Ihnen ward viel gegeben, viel anvertraut, wie hat es mich oft geschmerzt, wenn ich in Ihren Schriften fand, wodurch Sie so leicht andern Schaden zu¬ fügen — O machen Sie das gut, weil es noch Zeit ist - Bitten Sie um höhern Beystand und er wird Ihnen, so wahr Gott ist, werden. — Ich dachte oft ich könnte nicht ruhig sterben, wenn ich nicht mein Herz so gegen den Freund meiner Jugend ausgeschüttet hätte — und ich denke ich schlafe ruhiger darum ein, wann mein Stündlein schlägt." Sie gedenkt dann der Lieben, die alle ihr im Tode vorangegangen, und knüpft die Hoffnung daran: „Ich finde sie ja alle wieder Eltern, Geschwister, Freunde, Kinder und den geliebten Gatten - So gerne nähme ich auch die Hoffnung mit mir hinüber, Sie, lieber Goethe, auch einst da kennen zu lernen ... Ich will so lange ich lebe, noch recht für Sie beten - Mögten Sie sich darin noch recht mit mir vereinigen — Mein Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/89>, abgerufen am 16.05.2024.