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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Kriegführung im Mittelalter.

befehligte in der Schlacht bei Bouvines 1214 ein Heer von 1500 Rittern und
150000 Mann Fußvolk, und Hütte er noch einige Tage gewartet, so wären zu
ihm, wie der Chronist Guilielmus de Ncmgiaco behauptet, noch 500 Ritter und
"unzählige Infanterie" gestoßen.

Der Höchstcommandirende, "Meister," "Houbetman" oder "Leitaere" betitelt,
wurde von dem Fürsten ernannt, wenn derselbe sich den Oberbefehl nicht selbst
vorbehielt. Zuweilen wurde jenem auch die große Schlacht- oder Sturmfahne
anvertraut. Bei den Normannen, die England eroberten, blieb diese dem eigent¬
lichen Handgemenge fern, bei den Deutschen dagegen wurde sie dem Heere vor¬
angetragen. In der Schlacht auf dem Lechfelde ergreift sie König Otto der
Große selbst. Neben ihr hatte man wohl für die einzelnen Armeecorps eigne
Fahnen, doch hatten diese geringe Bedeutung. Um die Sturmfahne sammelte
sich im Kampfgewühl immer von neuem das Heer; wurde sie von der einen
Partei freiwillig gesenkt, so war es das Zeichen, daß man sich zu ergeben be¬
reit war, warfen die Feinde das große Banner nieder, so flohen die Truppen,
da sie ihren Halt verloren hatten. Diese Fahne war der Stolz und das Heilig-
thum der Soldaten, und so wird es den Mailändern sehr hart vorgekommen
sein, als Kaiser Friedrich 1238 ihnen ihre Fahnen zu Füßen zu legen und sie
dann zu verbrennen gebot. In spätrer Zeit verbreitete sich die in Italien auf¬
gekommene Sitte, die Fahne an einem Mastbäume, der sich auf einem von
Ochsen gezogenen Wagen befand, init sich zu sichren, auch nach Norden. Otto IV.
hatte in der Schlacht bei Bouvines auf seiner Standarte nicht das Reichs¬
wappen, sondern einen Drachen, das alte Wappenbild der Sachsen, das auch
König Haralds Heerzeichen in der Schlacht bei Hastings gewesen war. Die
Sturmfahne König Albrechts zeigte auf rothem Felde ein weißes Kreuz. Das
Reichsbanner der Franzosen, die Oriflamme, bestand nur aus einem rothen
Wimpel, während die Fahne des Königs ein blaues Seidentuch mit goldnen
Lilien war.

Setzte sich das Heer in Bewegung, so war es in drei Abtheilungen ge¬
gliedert. Die erste derselben hatte Pioniere bei sich. Waitz leugnet, daß es
damals diese Truppe schon gegeben habe, aber Schultz weist nach, daß dies in
der That der Fall gewesen. Wilhelm der Erobrer hatte nach dem Roman de
Rou bei seiner Landung an der englischen Küste "Zimmerleute bei sich, die große
Keulen in den Händen hielten und Beile und Doppeläxte an der Seite hängen
hatten." In der Erzählung des Ragewin heißt es: "Vorausgeschickt mar-
schirten die Ritter mit den Wegearbeitern, welche die Übeln Stellen der Straßen
ausbessern und Hindernisse beseitigen sollten, damit nicht durch zu schwierigen
Marsch das Heer ermüdet werde." Als im Frühling 1176 der Graf von
Hennegau gegen Jacques de Avesnes zu Felde zog, "ließ er, damit sein Heer


Kriegführung im Mittelalter.

befehligte in der Schlacht bei Bouvines 1214 ein Heer von 1500 Rittern und
150000 Mann Fußvolk, und Hütte er noch einige Tage gewartet, so wären zu
ihm, wie der Chronist Guilielmus de Ncmgiaco behauptet, noch 500 Ritter und
„unzählige Infanterie" gestoßen.

Der Höchstcommandirende, „Meister," „Houbetman" oder „Leitaere" betitelt,
wurde von dem Fürsten ernannt, wenn derselbe sich den Oberbefehl nicht selbst
vorbehielt. Zuweilen wurde jenem auch die große Schlacht- oder Sturmfahne
anvertraut. Bei den Normannen, die England eroberten, blieb diese dem eigent¬
lichen Handgemenge fern, bei den Deutschen dagegen wurde sie dem Heere vor¬
angetragen. In der Schlacht auf dem Lechfelde ergreift sie König Otto der
Große selbst. Neben ihr hatte man wohl für die einzelnen Armeecorps eigne
Fahnen, doch hatten diese geringe Bedeutung. Um die Sturmfahne sammelte
sich im Kampfgewühl immer von neuem das Heer; wurde sie von der einen
Partei freiwillig gesenkt, so war es das Zeichen, daß man sich zu ergeben be¬
reit war, warfen die Feinde das große Banner nieder, so flohen die Truppen,
da sie ihren Halt verloren hatten. Diese Fahne war der Stolz und das Heilig-
thum der Soldaten, und so wird es den Mailändern sehr hart vorgekommen
sein, als Kaiser Friedrich 1238 ihnen ihre Fahnen zu Füßen zu legen und sie
dann zu verbrennen gebot. In spätrer Zeit verbreitete sich die in Italien auf¬
gekommene Sitte, die Fahne an einem Mastbäume, der sich auf einem von
Ochsen gezogenen Wagen befand, init sich zu sichren, auch nach Norden. Otto IV.
hatte in der Schlacht bei Bouvines auf seiner Standarte nicht das Reichs¬
wappen, sondern einen Drachen, das alte Wappenbild der Sachsen, das auch
König Haralds Heerzeichen in der Schlacht bei Hastings gewesen war. Die
Sturmfahne König Albrechts zeigte auf rothem Felde ein weißes Kreuz. Das
Reichsbanner der Franzosen, die Oriflamme, bestand nur aus einem rothen
Wimpel, während die Fahne des Königs ein blaues Seidentuch mit goldnen
Lilien war.

Setzte sich das Heer in Bewegung, so war es in drei Abtheilungen ge¬
gliedert. Die erste derselben hatte Pioniere bei sich. Waitz leugnet, daß es
damals diese Truppe schon gegeben habe, aber Schultz weist nach, daß dies in
der That der Fall gewesen. Wilhelm der Erobrer hatte nach dem Roman de
Rou bei seiner Landung an der englischen Küste „Zimmerleute bei sich, die große
Keulen in den Händen hielten und Beile und Doppeläxte an der Seite hängen
hatten." In der Erzählung des Ragewin heißt es: „Vorausgeschickt mar-
schirten die Ritter mit den Wegearbeitern, welche die Übeln Stellen der Straßen
ausbessern und Hindernisse beseitigen sollten, damit nicht durch zu schwierigen
Marsch das Heer ermüdet werde." Als im Frühling 1176 der Graf von
Hennegau gegen Jacques de Avesnes zu Felde zog, „ließ er, damit sein Heer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/94>, abgerufen am 05.06.2024.