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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Kriegführung im Mittelalter.

ihnen eine gute Wache beigeben." Nach den weitern Rathschlägen des kriegs¬
erfahrenen Cardinals hat sich der Heerführer mit einem Kriegsrathe zu umgeben.
Sodann müssen den Gegnern die Straßen unbekannt bleiben, welche die Armee
einzuschlagen beabsichtigt. Ferner muß man "in jedem Schlachthaufen einige
sehr treue und sehr tüchtige Reiter haben, die auf schnellen und starken Rossen
vorn und hinten, rechts und links streifen und Hinterhalte entdecken." Die zu¬
verlässigem Ritter und die am meisten kriegstüchtigen Fußsoldaten sollen stets
in dem Theile des Heeres ihren Platz erhalten, dem die größere Gefahr droht.
Das Heer soll nicht ohne Fühlung (mit Lücken) einherziehen; denn wenn die
Schlachtreihe unterbrochen ist, wird sie leichter bekämpft. Endlich "ist zu über¬
legen, worin die Streitmacht besonders stark ist, ob man mehr Infanterie oder
mehr Cavallerie besitzt. Reiter vertheidigen sich nämlich besser in freiem Felde,
Fußtruppen dagegen in bergigen und waldigen Terrain. Je nachdem daher
der Feldherr sieht, daß sein Heer Ueberfluß an Reiterei oder an Fußvolk hat,
wird er breite Straßen in der Ebene oder bergige, waldige Wege wählen und
das andere nach bester Erkenntniß besorgen." Die leichte Reiterei, deren Nütz¬
lichkeit hier hervorgehoben wird, versah auch den Dienst von Eclaireurs, wie
unsere Ulanen im letzten Kriege mit Frankreich. Diese Recoguoscirungs-Deta-
chements werden im Lohengrin "Vorriter," von andern deutschen Dichtungen
der damaligen Zeit "Wartliute," von den altfranzösischen Poeten aber eoursurs
und äöoouvrsurs genannt. Neben ihnen hatte man selbstverständlich auch Spione.

Sobald man Halt machte, um die Nacht über zu ruhen, wurde ein Lager
aufgeschlagen, das man, wenn ein Angriff zu befürchten stand, mit Wall und
Graben befestigte. Die Lager hatten meist runde oder viereckige Gestalt. "Deun,"
sagt Ragewin, "die Menge der Schmiede und Handwerker und die Schaar der
Kaufleute, die dem Heere folgt, bildet mit ihren Zelten und Werkstätten, wenn
das Lager viereckig ist, eine Art Vorstadt, und wenn dasselbe rund ist, stehen
dieselben außerhalb des Walles. Innen ist das Lager passend in einzelne
Quartiere getheilt. Sie legen Straßen und Thore an, die für Zugthiere leicht
zugänglich sind ... In der Mitte befindet sich das Zelt des Feldherrn oder
des Fürsten, das einem Tempel gleicht, und rings herum stehen die Zelte der
Befehlshaber und der Vornehmen in der Reihenfolge, die denselben gebührt.
Die Ritter mit ihren Waffen leben in Zeltgenossenschaften angenehm und heiter,
und üben sich, gleichsam bereit zur Schlacht, während Ruhe und Frieden herr¬
schen, in den Waffen."

Die Zelte der Fürsten waren außerordentlich groß und prachtvoll. Von
demjenigen des Corbcchan, welches von den Kreuzfahrern erbeutet wurde, sagt
Albertus Aguensis: "Es war wie eine Stadt mit Mauern und Thürmen aus
buntfarbigen Seidenstoffen erbaut, in den zu ihm gehörigen Gassen fanden zwei-


Kriegführung im Mittelalter.

ihnen eine gute Wache beigeben." Nach den weitern Rathschlägen des kriegs¬
erfahrenen Cardinals hat sich der Heerführer mit einem Kriegsrathe zu umgeben.
Sodann müssen den Gegnern die Straßen unbekannt bleiben, welche die Armee
einzuschlagen beabsichtigt. Ferner muß man „in jedem Schlachthaufen einige
sehr treue und sehr tüchtige Reiter haben, die auf schnellen und starken Rossen
vorn und hinten, rechts und links streifen und Hinterhalte entdecken." Die zu¬
verlässigem Ritter und die am meisten kriegstüchtigen Fußsoldaten sollen stets
in dem Theile des Heeres ihren Platz erhalten, dem die größere Gefahr droht.
Das Heer soll nicht ohne Fühlung (mit Lücken) einherziehen; denn wenn die
Schlachtreihe unterbrochen ist, wird sie leichter bekämpft. Endlich „ist zu über¬
legen, worin die Streitmacht besonders stark ist, ob man mehr Infanterie oder
mehr Cavallerie besitzt. Reiter vertheidigen sich nämlich besser in freiem Felde,
Fußtruppen dagegen in bergigen und waldigen Terrain. Je nachdem daher
der Feldherr sieht, daß sein Heer Ueberfluß an Reiterei oder an Fußvolk hat,
wird er breite Straßen in der Ebene oder bergige, waldige Wege wählen und
das andere nach bester Erkenntniß besorgen." Die leichte Reiterei, deren Nütz¬
lichkeit hier hervorgehoben wird, versah auch den Dienst von Eclaireurs, wie
unsere Ulanen im letzten Kriege mit Frankreich. Diese Recoguoscirungs-Deta-
chements werden im Lohengrin „Vorriter," von andern deutschen Dichtungen
der damaligen Zeit „Wartliute," von den altfranzösischen Poeten aber eoursurs
und äöoouvrsurs genannt. Neben ihnen hatte man selbstverständlich auch Spione.

Sobald man Halt machte, um die Nacht über zu ruhen, wurde ein Lager
aufgeschlagen, das man, wenn ein Angriff zu befürchten stand, mit Wall und
Graben befestigte. Die Lager hatten meist runde oder viereckige Gestalt. „Deun,"
sagt Ragewin, „die Menge der Schmiede und Handwerker und die Schaar der
Kaufleute, die dem Heere folgt, bildet mit ihren Zelten und Werkstätten, wenn
das Lager viereckig ist, eine Art Vorstadt, und wenn dasselbe rund ist, stehen
dieselben außerhalb des Walles. Innen ist das Lager passend in einzelne
Quartiere getheilt. Sie legen Straßen und Thore an, die für Zugthiere leicht
zugänglich sind ... In der Mitte befindet sich das Zelt des Feldherrn oder
des Fürsten, das einem Tempel gleicht, und rings herum stehen die Zelte der
Befehlshaber und der Vornehmen in der Reihenfolge, die denselben gebührt.
Die Ritter mit ihren Waffen leben in Zeltgenossenschaften angenehm und heiter,
und üben sich, gleichsam bereit zur Schlacht, während Ruhe und Frieden herr¬
schen, in den Waffen."

Die Zelte der Fürsten waren außerordentlich groß und prachtvoll. Von
demjenigen des Corbcchan, welches von den Kreuzfahrern erbeutet wurde, sagt
Albertus Aguensis: „Es war wie eine Stadt mit Mauern und Thürmen aus
buntfarbigen Seidenstoffen erbaut, in den zu ihm gehörigen Gassen fanden zwei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/96>, abgerufen am 12.06.2024.