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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Hebammen die Ausübung ihrer Profession zu verbieten. Andererseits mißhandelte
man alle unsre armen Brüder in allen Provinzen des Königreichs. Der größte
Theil der Kirchen war niedergerissen, die Prediger irrten umher ohne Gemeinden,
und die Gemeinden ohne Prediger, allen Beschimpfungen der Bigotten ausgesetzt
und von Missionären gequält. Und alles dies geschah mit Unterstützung des
Königs, wie die Bischöfe und Intendanten betonten. Denn ihre Antwort war,
wenn man sich bei ihnen beklagte: Der König will es."

Als die Bedrückungen der Reformirten immer härter wurden und auch die
Auswanderung bei Galeerenstrafe für die Männer und lebenslängliche Gefangen¬
schaft für die Frauen verboten wurde, entschloß sich Estienne um des Glaubens
willen Frankreich zu verlassen. Die Erzählung seiner Erlebnisse auf der Flucht
möge hier in seinen eignen Worten folgen:

"Wir traten also in das Jahr 1686, wo sich unsre Unruhe verdoppelte
durch die traurigen Nachrichten, welche von allen Seiten einliefen, wodurch endlich
mein Vater dazu bestimmt wurde, mich um Ostern nach der Frankfurter Messe
ziehen zu lassen, um unter diesem Vorwande uns einen Zufluchtsort auszu¬
wirken. Ich führte ein großes Pack Bücher mit mir, worinnen tausend Stück
Louisd'or waren, die meinem Vater gehörten. Ich ließ diesen Ballen bei einem
Freunde in Frankfurt und begab mich von da nach Heidelberg, wo der Kurfürst
Karl noch lebte. Von diesem guten Fürsten erhielt ich alles, was ich von ihm
verlangte zu meinem Etablissement, durch Hilfe des Herrn Dr. Fabrice, Rectors
der Universität, und des Herrn Dr. Mieg, sehr berühmten Professors der Theologie.

Nachdem ich diese Angelegenheit beendigt hatte, kehrte ich nach Metz zurück,
in der Absicht, so bald wie möglich von der Gunst dieses großen Fürsten Ge¬
brauch zu machen. Meine Eltern sprachen noch dagegen und hatten unsre Pastoren
aus ihrer Seite, welche immer hofften, wir würden verschont bleiben, weil wir
an der Grenze wohnten; auch stellte man mir das strenge Verbot des Aus-
wanderns ohne Erlaubniß vor, welches mich bewog, an Herrn de Louvois
darum zu schreiben, worauf ich keine Antwort erhielt. So blieb ich also bei
den andern, welche, da sie nicht besser wie unsre armen Brüder, auch nicht mehr
als sie verschont wurden.

Zwei Begebenheiten, welche sich um diese Zeit zutrugen, bestimmten den
König, den letzten Schlag gegen uns zu thun, nicht allein in Frankreich, sondern
in allen Ländern, wohin er seine Gewalt ausdehnen konnte. Die eine war der
Tod Karls II. von England, welcher, obgleich er ein schlechter Protestant war
und nur äußerlich zum Evangelium sich bekannte, doch zu sehr seine Ver¬
gnügungen liebte, um in so große Vorhaben einzugehn. Da er also nicht das
Machwerk der Jesuiten war, welche immer bereit sind, uns Schaden zuzufügen,


Gmizbotm II. 1881. 13
Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Hebammen die Ausübung ihrer Profession zu verbieten. Andererseits mißhandelte
man alle unsre armen Brüder in allen Provinzen des Königreichs. Der größte
Theil der Kirchen war niedergerissen, die Prediger irrten umher ohne Gemeinden,
und die Gemeinden ohne Prediger, allen Beschimpfungen der Bigotten ausgesetzt
und von Missionären gequält. Und alles dies geschah mit Unterstützung des
Königs, wie die Bischöfe und Intendanten betonten. Denn ihre Antwort war,
wenn man sich bei ihnen beklagte: Der König will es."

Als die Bedrückungen der Reformirten immer härter wurden und auch die
Auswanderung bei Galeerenstrafe für die Männer und lebenslängliche Gefangen¬
schaft für die Frauen verboten wurde, entschloß sich Estienne um des Glaubens
willen Frankreich zu verlassen. Die Erzählung seiner Erlebnisse auf der Flucht
möge hier in seinen eignen Worten folgen:

„Wir traten also in das Jahr 1686, wo sich unsre Unruhe verdoppelte
durch die traurigen Nachrichten, welche von allen Seiten einliefen, wodurch endlich
mein Vater dazu bestimmt wurde, mich um Ostern nach der Frankfurter Messe
ziehen zu lassen, um unter diesem Vorwande uns einen Zufluchtsort auszu¬
wirken. Ich führte ein großes Pack Bücher mit mir, worinnen tausend Stück
Louisd'or waren, die meinem Vater gehörten. Ich ließ diesen Ballen bei einem
Freunde in Frankfurt und begab mich von da nach Heidelberg, wo der Kurfürst
Karl noch lebte. Von diesem guten Fürsten erhielt ich alles, was ich von ihm
verlangte zu meinem Etablissement, durch Hilfe des Herrn Dr. Fabrice, Rectors
der Universität, und des Herrn Dr. Mieg, sehr berühmten Professors der Theologie.

Nachdem ich diese Angelegenheit beendigt hatte, kehrte ich nach Metz zurück,
in der Absicht, so bald wie möglich von der Gunst dieses großen Fürsten Ge¬
brauch zu machen. Meine Eltern sprachen noch dagegen und hatten unsre Pastoren
aus ihrer Seite, welche immer hofften, wir würden verschont bleiben, weil wir
an der Grenze wohnten; auch stellte man mir das strenge Verbot des Aus-
wanderns ohne Erlaubniß vor, welches mich bewog, an Herrn de Louvois
darum zu schreiben, worauf ich keine Antwort erhielt. So blieb ich also bei
den andern, welche, da sie nicht besser wie unsre armen Brüder, auch nicht mehr
als sie verschont wurden.

Zwei Begebenheiten, welche sich um diese Zeit zutrugen, bestimmten den
König, den letzten Schlag gegen uns zu thun, nicht allein in Frankreich, sondern
in allen Ländern, wohin er seine Gewalt ausdehnen konnte. Die eine war der
Tod Karls II. von England, welcher, obgleich er ein schlechter Protestant war
und nur äußerlich zum Evangelium sich bekannte, doch zu sehr seine Ver¬
gnügungen liebte, um in so große Vorhaben einzugehn. Da er also nicht das
Machwerk der Jesuiten war, welche immer bereit sind, uns Schaden zuzufügen,


Gmizbotm II. 1881. 13
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[0141] Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes. Hebammen die Ausübung ihrer Profession zu verbieten. Andererseits mißhandelte man alle unsre armen Brüder in allen Provinzen des Königreichs. Der größte Theil der Kirchen war niedergerissen, die Prediger irrten umher ohne Gemeinden, und die Gemeinden ohne Prediger, allen Beschimpfungen der Bigotten ausgesetzt und von Missionären gequält. Und alles dies geschah mit Unterstützung des Königs, wie die Bischöfe und Intendanten betonten. Denn ihre Antwort war, wenn man sich bei ihnen beklagte: Der König will es." Als die Bedrückungen der Reformirten immer härter wurden und auch die Auswanderung bei Galeerenstrafe für die Männer und lebenslängliche Gefangen¬ schaft für die Frauen verboten wurde, entschloß sich Estienne um des Glaubens willen Frankreich zu verlassen. Die Erzählung seiner Erlebnisse auf der Flucht möge hier in seinen eignen Worten folgen: „Wir traten also in das Jahr 1686, wo sich unsre Unruhe verdoppelte durch die traurigen Nachrichten, welche von allen Seiten einliefen, wodurch endlich mein Vater dazu bestimmt wurde, mich um Ostern nach der Frankfurter Messe ziehen zu lassen, um unter diesem Vorwande uns einen Zufluchtsort auszu¬ wirken. Ich führte ein großes Pack Bücher mit mir, worinnen tausend Stück Louisd'or waren, die meinem Vater gehörten. Ich ließ diesen Ballen bei einem Freunde in Frankfurt und begab mich von da nach Heidelberg, wo der Kurfürst Karl noch lebte. Von diesem guten Fürsten erhielt ich alles, was ich von ihm verlangte zu meinem Etablissement, durch Hilfe des Herrn Dr. Fabrice, Rectors der Universität, und des Herrn Dr. Mieg, sehr berühmten Professors der Theologie. Nachdem ich diese Angelegenheit beendigt hatte, kehrte ich nach Metz zurück, in der Absicht, so bald wie möglich von der Gunst dieses großen Fürsten Ge¬ brauch zu machen. Meine Eltern sprachen noch dagegen und hatten unsre Pastoren aus ihrer Seite, welche immer hofften, wir würden verschont bleiben, weil wir an der Grenze wohnten; auch stellte man mir das strenge Verbot des Aus- wanderns ohne Erlaubniß vor, welches mich bewog, an Herrn de Louvois darum zu schreiben, worauf ich keine Antwort erhielt. So blieb ich also bei den andern, welche, da sie nicht besser wie unsre armen Brüder, auch nicht mehr als sie verschont wurden. Zwei Begebenheiten, welche sich um diese Zeit zutrugen, bestimmten den König, den letzten Schlag gegen uns zu thun, nicht allein in Frankreich, sondern in allen Ländern, wohin er seine Gewalt ausdehnen konnte. Die eine war der Tod Karls II. von England, welcher, obgleich er ein schlechter Protestant war und nur äußerlich zum Evangelium sich bekannte, doch zu sehr seine Ver¬ gnügungen liebte, um in so große Vorhaben einzugehn. Da er also nicht das Machwerk der Jesuiten war, welche immer bereit sind, uns Schaden zuzufügen, Gmizbotm II. 1881. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/141>, abgerufen am 27.05.2024.