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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Zohann Heinrich post.

Schuft: "M. Mendelssohn an die Freunde Lessings, ein Anhang zu Hrn. JaeobiS
Briestvechsel über die Lehre des Spinoza." Zwischen Voß und Stolberg sind
diese durch Jacobi angeregten Fragen verhandelt, aber keine tiefer gehende Diffe¬
renz daraus entstanden. Ein andres ist es in Bezug auf das Freimaurerthum,
Liest man die oben abgedruckten Briefe, so macht es unwillkürlich den Eindruck
als ob Voß "Toby" -- es ist uuter diesem aus Tristram Shcmdh entlehnten
Beinamen der in Hamburg als Arzt lebende Jacob Mummsen zu verstehe" --
gegenüber, etwas gar zu sehr (man verzeihe den Ausdruck) "Krakehler" gewesen
sei. Glücklicherweise sind die beiden von Voß an Toby in Bezug auf diese An¬
gelegenheit im Januar und März 1786 gerichteten Briefe erhalten und veröffent¬
licht. Man ersieht sofort aus den Eingangsworten des ersten Briefes, daß Voß
dnrch ein Schreiben Tvbys provocirt war. Und die ganzen Briefe zeigen uns
Voß wiederum von der achtnngswerthesten Seite. Er selbst war in jungen
Jahren, wie die Stolberge, in den Freimaurerorden getreten, er konnte aus eigner
Kenntniß sprechen, und er thut es unverblümt und aufrichtig. Er hatte früh
empfunden, daß der Orden ein Scheinwesen sei, daß mit dem idealen Verlangen
der Menschheit in ihm eitel Komödie gespielt werde, daß ein männliches Streben
in ihm nimmer Verwirklichung finden könne. Daß er nicht mehr an etwas,
das seinem reinen Wahrheitsgefühl wie eine ungeheure, schamlose Lüge erscheinen
mußte, theilnehmen wollte; daß er einmal zur Aeußerung aufgefordert mit Dar¬
legung aller Gründe die Freunde zu überzeugen suchte, wer wollte es ihm ver¬
denken? Und wenn er in seinem geraden, unverstellten Wesen hier etwas über
die Schnur haut, Sachen und Personen im Orden wittert, die gewiß nicht in
ihm vorhanden waren, -- er schreibt an Tods: "Du weißt mehr als ich; aber ich
weiß genug, um mich von dem scheuslichen Geheimnisse zu überzeuge", daß katho¬
lische Priester die unbekannten Ober" unseres Ordens sind," -- soll man das als
Anklage gegen ihn, den ehrlichen Mann, vorführen? Und jetzt erst verstehen wir, wie
der Uebertritt Stolbergs in Voß' Seele ein lange schlummerndes Weh hervor¬
rufen mußte, wie der "wackre Entmische Leu", endlich geweckt, sich mit Jünglings-
mnth noch als Greis in deu Kampf des Lichtes gegen die Finsterniß stürzen
mußte, wie er selbst den ehemaligen Jugendfreund nicht schonen konnte.

Nur mit wenigen Worten haben wir so auf die geschichtliche Wichtigkeit
der oben abgedruckten Briefe hinweisen können. Sie bieten auch ein tiefes psycho¬
logisches Interesse dar. Mögen sie vor allem auch dazu beitragen, das An¬
denken an Voß, dem wir soviel zu danken haben, zu erneuern. Er verdient es!


w. A.


Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Zohann Heinrich post.

Schuft: „M. Mendelssohn an die Freunde Lessings, ein Anhang zu Hrn. JaeobiS
Briestvechsel über die Lehre des Spinoza." Zwischen Voß und Stolberg sind
diese durch Jacobi angeregten Fragen verhandelt, aber keine tiefer gehende Diffe¬
renz daraus entstanden. Ein andres ist es in Bezug auf das Freimaurerthum,
Liest man die oben abgedruckten Briefe, so macht es unwillkürlich den Eindruck
als ob Voß „Toby" — es ist uuter diesem aus Tristram Shcmdh entlehnten
Beinamen der in Hamburg als Arzt lebende Jacob Mummsen zu verstehe» —
gegenüber, etwas gar zu sehr (man verzeihe den Ausdruck) „Krakehler" gewesen
sei. Glücklicherweise sind die beiden von Voß an Toby in Bezug auf diese An¬
gelegenheit im Januar und März 1786 gerichteten Briefe erhalten und veröffent¬
licht. Man ersieht sofort aus den Eingangsworten des ersten Briefes, daß Voß
dnrch ein Schreiben Tvbys provocirt war. Und die ganzen Briefe zeigen uns
Voß wiederum von der achtnngswerthesten Seite. Er selbst war in jungen
Jahren, wie die Stolberge, in den Freimaurerorden getreten, er konnte aus eigner
Kenntniß sprechen, und er thut es unverblümt und aufrichtig. Er hatte früh
empfunden, daß der Orden ein Scheinwesen sei, daß mit dem idealen Verlangen
der Menschheit in ihm eitel Komödie gespielt werde, daß ein männliches Streben
in ihm nimmer Verwirklichung finden könne. Daß er nicht mehr an etwas,
das seinem reinen Wahrheitsgefühl wie eine ungeheure, schamlose Lüge erscheinen
mußte, theilnehmen wollte; daß er einmal zur Aeußerung aufgefordert mit Dar¬
legung aller Gründe die Freunde zu überzeugen suchte, wer wollte es ihm ver¬
denken? Und wenn er in seinem geraden, unverstellten Wesen hier etwas über
die Schnur haut, Sachen und Personen im Orden wittert, die gewiß nicht in
ihm vorhanden waren, — er schreibt an Tods: „Du weißt mehr als ich; aber ich
weiß genug, um mich von dem scheuslichen Geheimnisse zu überzeuge», daß katho¬
lische Priester die unbekannten Ober» unseres Ordens sind," — soll man das als
Anklage gegen ihn, den ehrlichen Mann, vorführen? Und jetzt erst verstehen wir, wie
der Uebertritt Stolbergs in Voß' Seele ein lange schlummerndes Weh hervor¬
rufen mußte, wie der „wackre Entmische Leu", endlich geweckt, sich mit Jünglings-
mnth noch als Greis in deu Kampf des Lichtes gegen die Finsterniß stürzen
mußte, wie er selbst den ehemaligen Jugendfreund nicht schonen konnte.

Nur mit wenigen Worten haben wir so auf die geschichtliche Wichtigkeit
der oben abgedruckten Briefe hinweisen können. Sie bieten auch ein tiefes psycho¬
logisches Interesse dar. Mögen sie vor allem auch dazu beitragen, das An¬
denken an Voß, dem wir soviel zu danken haben, zu erneuern. Er verdient es!


w. A.


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[0210] Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Zohann Heinrich post. Schuft: „M. Mendelssohn an die Freunde Lessings, ein Anhang zu Hrn. JaeobiS Briestvechsel über die Lehre des Spinoza." Zwischen Voß und Stolberg sind diese durch Jacobi angeregten Fragen verhandelt, aber keine tiefer gehende Diffe¬ renz daraus entstanden. Ein andres ist es in Bezug auf das Freimaurerthum, Liest man die oben abgedruckten Briefe, so macht es unwillkürlich den Eindruck als ob Voß „Toby" — es ist uuter diesem aus Tristram Shcmdh entlehnten Beinamen der in Hamburg als Arzt lebende Jacob Mummsen zu verstehe» — gegenüber, etwas gar zu sehr (man verzeihe den Ausdruck) „Krakehler" gewesen sei. Glücklicherweise sind die beiden von Voß an Toby in Bezug auf diese An¬ gelegenheit im Januar und März 1786 gerichteten Briefe erhalten und veröffent¬ licht. Man ersieht sofort aus den Eingangsworten des ersten Briefes, daß Voß dnrch ein Schreiben Tvbys provocirt war. Und die ganzen Briefe zeigen uns Voß wiederum von der achtnngswerthesten Seite. Er selbst war in jungen Jahren, wie die Stolberge, in den Freimaurerorden getreten, er konnte aus eigner Kenntniß sprechen, und er thut es unverblümt und aufrichtig. Er hatte früh empfunden, daß der Orden ein Scheinwesen sei, daß mit dem idealen Verlangen der Menschheit in ihm eitel Komödie gespielt werde, daß ein männliches Streben in ihm nimmer Verwirklichung finden könne. Daß er nicht mehr an etwas, das seinem reinen Wahrheitsgefühl wie eine ungeheure, schamlose Lüge erscheinen mußte, theilnehmen wollte; daß er einmal zur Aeußerung aufgefordert mit Dar¬ legung aller Gründe die Freunde zu überzeugen suchte, wer wollte es ihm ver¬ denken? Und wenn er in seinem geraden, unverstellten Wesen hier etwas über die Schnur haut, Sachen und Personen im Orden wittert, die gewiß nicht in ihm vorhanden waren, — er schreibt an Tods: „Du weißt mehr als ich; aber ich weiß genug, um mich von dem scheuslichen Geheimnisse zu überzeuge», daß katho¬ lische Priester die unbekannten Ober» unseres Ordens sind," — soll man das als Anklage gegen ihn, den ehrlichen Mann, vorführen? Und jetzt erst verstehen wir, wie der Uebertritt Stolbergs in Voß' Seele ein lange schlummerndes Weh hervor¬ rufen mußte, wie der „wackre Entmische Leu", endlich geweckt, sich mit Jünglings- mnth noch als Greis in deu Kampf des Lichtes gegen die Finsterniß stürzen mußte, wie er selbst den ehemaligen Jugendfreund nicht schonen konnte. Nur mit wenigen Worten haben wir so auf die geschichtliche Wichtigkeit der oben abgedruckten Briefe hinweisen können. Sie bieten auch ein tiefes psycho¬ logisches Interesse dar. Mögen sie vor allem auch dazu beitragen, das An¬ denken an Voß, dem wir soviel zu danken haben, zu erneuern. Er verdient es! w. A.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/210>, abgerufen am 19.05.2024.