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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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berg noch übrig, der denn auch im Juni 1879 auf Vorschlag des Bischofs von
Tirnowa von der bulgarischen Nationalversammlung einstimmig zum Fürsten
des Landes erkoren wurde und die Wahl annahm.

Er war gewarnt vor der Ausgabe, die er damit übernahm, er konnte sich
erinnern, wie es deu Prinzen aus dem Frankenlande ergangen war, die in den
von der Pforte losgerissuen Ländern das Regieren versucht hatten, ja wie selbst die
eingebornen Fürsten des benachbarten Serbien Jahrzehnte lang mit den Schwierig¬
keiten zu kämpfen gehabt, die ihnen ihre Sknpschtina, die Parteien und die ehrgeizigen
und durchaus selbstsüchtigen Führer derselben unaufhörlich bereiteten. Er mußte
wissen, wie sauer die andern Nachbarn der Bulgaren, die ebenfalls constitutionell
regierten Rumänen, ihrem Fürsten das Leben gemacht, wie sie Cusa abgesetzt und
vertrieben, und wie sie dessen Nachfolger, den Hohenzollern Karl, durch ihre In¬
triguen und durch offenbare Beleidigungen so entmuthigt hatten, daß er schon 1870
an den Rücktritt von seinem dornenvollen Amte gedacht und zwei Jahre später
in der "Allgemeinen Zeitung" ein Schreiben veröffentlicht hatte, in welchem er
mit bitter" Worten erklärte, nicht länger der Spielball der Parteien, unter denen
ihn die Radicalen am ärgsten angefeindet hatten, bleiben, sondern auf den Fürsten¬
hut verzichten zu wollen -- ein Entschluß, der allerdings nicht ausgeführt worden
war, indem die Verhältnisse sich von da an gebessert hatten. Er konnte endlich auch
an Griechenland mit seinem geradezu widerlichen Mißbräuche der constitutionellen
Freiheiten, seinem abstoßenden parlamentarischen Streberthum, seinen unaufhör¬
lichen Ministerkrisen, an die lange Leidensgeschichte des wohlwollenden, wenn
auch wenig befähigten und noch weniger energischen Königs Otto, an dessen Ver¬
treibung und an die nicht viel bessern Erfahrungen und Erlebnisse seines Nach¬
folgers denken.

Indeß muß der Reiz einer Krone, sei sie anch die eines halbwilden Volkes,
doch sehr groß sein. Vielleicht traute sich der Prinz auch die erforderliche Intelligenz
und Thatkraft zu, um der Schwierigkeiten, die seiner harrten, und die er, der in
der Umgebung des Kaisers Alexander den russisch-türkischen Feldzug in Bulgarien
mitgemacht, einigermaßen kennen gelernt hatte, Herr zu werden. Genug, er
nahm den Ruf, der an ihn ergangen, an, stellte sich auf einer Rundreise durch
Europa den Höfen des Westens in seiner neuen Gestalt vor, holte sich in Stambul
die Bestätigung seines Suzcrcins, des Padischa, zog uuter dem Jubelgeschrei seiner
Unterthanen in Sofia, als der von ihm gewählten Residenz, ein und machte
sich ans Regieren nach der constitutionellen Regel.

Wir schrieben damals*) über die Lage: "Mit Spannung sehen wir dem



-) Bergl. in den Grenzboten vom Is. Juni 187!", Ur, 25, den Artikel l "Der jüngste
Staat Europas,"

berg noch übrig, der denn auch im Juni 1879 auf Vorschlag des Bischofs von
Tirnowa von der bulgarischen Nationalversammlung einstimmig zum Fürsten
des Landes erkoren wurde und die Wahl annahm.

Er war gewarnt vor der Ausgabe, die er damit übernahm, er konnte sich
erinnern, wie es deu Prinzen aus dem Frankenlande ergangen war, die in den
von der Pforte losgerissuen Ländern das Regieren versucht hatten, ja wie selbst die
eingebornen Fürsten des benachbarten Serbien Jahrzehnte lang mit den Schwierig¬
keiten zu kämpfen gehabt, die ihnen ihre Sknpschtina, die Parteien und die ehrgeizigen
und durchaus selbstsüchtigen Führer derselben unaufhörlich bereiteten. Er mußte
wissen, wie sauer die andern Nachbarn der Bulgaren, die ebenfalls constitutionell
regierten Rumänen, ihrem Fürsten das Leben gemacht, wie sie Cusa abgesetzt und
vertrieben, und wie sie dessen Nachfolger, den Hohenzollern Karl, durch ihre In¬
triguen und durch offenbare Beleidigungen so entmuthigt hatten, daß er schon 1870
an den Rücktritt von seinem dornenvollen Amte gedacht und zwei Jahre später
in der „Allgemeinen Zeitung" ein Schreiben veröffentlicht hatte, in welchem er
mit bitter» Worten erklärte, nicht länger der Spielball der Parteien, unter denen
ihn die Radicalen am ärgsten angefeindet hatten, bleiben, sondern auf den Fürsten¬
hut verzichten zu wollen — ein Entschluß, der allerdings nicht ausgeführt worden
war, indem die Verhältnisse sich von da an gebessert hatten. Er konnte endlich auch
an Griechenland mit seinem geradezu widerlichen Mißbräuche der constitutionellen
Freiheiten, seinem abstoßenden parlamentarischen Streberthum, seinen unaufhör¬
lichen Ministerkrisen, an die lange Leidensgeschichte des wohlwollenden, wenn
auch wenig befähigten und noch weniger energischen Königs Otto, an dessen Ver¬
treibung und an die nicht viel bessern Erfahrungen und Erlebnisse seines Nach¬
folgers denken.

Indeß muß der Reiz einer Krone, sei sie anch die eines halbwilden Volkes,
doch sehr groß sein. Vielleicht traute sich der Prinz auch die erforderliche Intelligenz
und Thatkraft zu, um der Schwierigkeiten, die seiner harrten, und die er, der in
der Umgebung des Kaisers Alexander den russisch-türkischen Feldzug in Bulgarien
mitgemacht, einigermaßen kennen gelernt hatte, Herr zu werden. Genug, er
nahm den Ruf, der an ihn ergangen, an, stellte sich auf einer Rundreise durch
Europa den Höfen des Westens in seiner neuen Gestalt vor, holte sich in Stambul
die Bestätigung seines Suzcrcins, des Padischa, zog uuter dem Jubelgeschrei seiner
Unterthanen in Sofia, als der von ihm gewählten Residenz, ein und machte
sich ans Regieren nach der constitutionellen Regel.

Wir schrieben damals*) über die Lage: „Mit Spannung sehen wir dem



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/342>, abgerufen am 19.05.2024.