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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der größte religiöse volksrcdner Englands,

müthlicheu Regungen in den Hintergrund traten, Das Christenthum sollte wenig
mehr sein als eine historisch beglaubigte und mit Hinweisen auf jenseitige Be¬
lohnung und Bestrafung ausgestattete Naturreligion, Die Geistlichen bemühten
sich, in die geselligen und häusliche" Kreise einen höhern Ton zu bringen, die
Menschen in ihrem Berufe thätig, in ihren Geuiissen mäßig, gegen die Armen
mildthätig und in allen Lebensverhältnissen pflichtgetreu und wahrhaftig zu
machen. Die menschliche Natur war ihnen allerdings unvollkommen, aber im
wesentlichen gut, Nüchternheit und Verständigkeit galten als Cardinaltugenden,
alles, was sich an die Empfindung wandte, und jede Art von Schwärmerei
wurden mit Ungunst behandelt. Eine Lebensweise, die hienieden glücklich machte,
erschien als geeignet, auch die jenseitige Seligkeit zu sichern. Die christliche
Wahrheit endlich wurde als völlig bedingt durch eine Kette von Zeugnissen und
Schlüssen angesehen, die sich von der sür Geschichte und anderes Wissen erforder¬
lichen nicht erheblich unterschied,

Eine Theologie wie die geschilderte wirkte zwar mancherlei Gutes, ließ aber
gerade einige der stärksten Bedürfnisse der englischen Nation unbefriedigt, indem
sie von gewissen Lehren, die es mit dem Gemüth und der Empfindung zu thun
haben, so gut wie ganz absah. Die von den Kanzeln verlesenen nüchternen Ab¬
handlungen mochten den moralischen Geschmack bilden und rationelle Beweg¬
gründe für die Tugend an die Hand geben, aber mir selten riefen sie starke
Hoffnung und Furcht oder warme Liebe hervor, und niemals konnten sie den
Charakter umbilden und Verlorne auf bessere Wege bringen. Dieser Mangel
wurde erst durch den Methodismus beseitigt. Die mächtigen Erfolge des letzter",
vorzüglich unter den niedern Volksklassen, schreiben sich vor allem davon her,
daß er die Lehre von der Verderbtheit der Menschennatur, von der stellver¬
tretenden Genugthuung Christi, von der unbedingten Nothwendigkeit einer Wieder¬
geburt, eines festen, hingebenden Glaubens und einer stetigen stützenden und
tragenden Einwirknng des göttlichen Geistes auf das Gemüth des Gläubigen als
die wesentlichsten und wirksamsten Theile des Christenthums ansah und darnach
in seinen Predigten verfuhr.

Die methodistische Bewegung nahm ihren Ursprung in einem Conventikel
von Oxforder Studenten, der sich von 1729 bis 1735 zum Zwecke gegenseitiger
Besserung zu versammeln pflegte. Man eommnnieirte allwöchentlich, fastete fleißig,
las und erörterte gemeinschaftlich die Bibel, mied Luxus und Vergnügungen und
besuchte Kranke und Gefangne. Die Seele dieser Gesellschaft war John Wesley,
der Sohn eines Oberpfarrers zu Evwvrth in Lincolnshire, eines fleißigen und
pflichtgetrenen Geistlichen, der aber bei seiner Gemeinde wenig Glück hatte und
allmählich in pecuniäre Bedrängniß gerieth. Bedeutender war Wesleys Mutter,


Der größte religiöse volksrcdner Englands,

müthlicheu Regungen in den Hintergrund traten, Das Christenthum sollte wenig
mehr sein als eine historisch beglaubigte und mit Hinweisen auf jenseitige Be¬
lohnung und Bestrafung ausgestattete Naturreligion, Die Geistlichen bemühten
sich, in die geselligen und häusliche» Kreise einen höhern Ton zu bringen, die
Menschen in ihrem Berufe thätig, in ihren Geuiissen mäßig, gegen die Armen
mildthätig und in allen Lebensverhältnissen pflichtgetreu und wahrhaftig zu
machen. Die menschliche Natur war ihnen allerdings unvollkommen, aber im
wesentlichen gut, Nüchternheit und Verständigkeit galten als Cardinaltugenden,
alles, was sich an die Empfindung wandte, und jede Art von Schwärmerei
wurden mit Ungunst behandelt. Eine Lebensweise, die hienieden glücklich machte,
erschien als geeignet, auch die jenseitige Seligkeit zu sichern. Die christliche
Wahrheit endlich wurde als völlig bedingt durch eine Kette von Zeugnissen und
Schlüssen angesehen, die sich von der sür Geschichte und anderes Wissen erforder¬
lichen nicht erheblich unterschied,

Eine Theologie wie die geschilderte wirkte zwar mancherlei Gutes, ließ aber
gerade einige der stärksten Bedürfnisse der englischen Nation unbefriedigt, indem
sie von gewissen Lehren, die es mit dem Gemüth und der Empfindung zu thun
haben, so gut wie ganz absah. Die von den Kanzeln verlesenen nüchternen Ab¬
handlungen mochten den moralischen Geschmack bilden und rationelle Beweg¬
gründe für die Tugend an die Hand geben, aber mir selten riefen sie starke
Hoffnung und Furcht oder warme Liebe hervor, und niemals konnten sie den
Charakter umbilden und Verlorne auf bessere Wege bringen. Dieser Mangel
wurde erst durch den Methodismus beseitigt. Die mächtigen Erfolge des letzter»,
vorzüglich unter den niedern Volksklassen, schreiben sich vor allem davon her,
daß er die Lehre von der Verderbtheit der Menschennatur, von der stellver¬
tretenden Genugthuung Christi, von der unbedingten Nothwendigkeit einer Wieder¬
geburt, eines festen, hingebenden Glaubens und einer stetigen stützenden und
tragenden Einwirknng des göttlichen Geistes auf das Gemüth des Gläubigen als
die wesentlichsten und wirksamsten Theile des Christenthums ansah und darnach
in seinen Predigten verfuhr.

Die methodistische Bewegung nahm ihren Ursprung in einem Conventikel
von Oxforder Studenten, der sich von 1729 bis 1735 zum Zwecke gegenseitiger
Besserung zu versammeln pflegte. Man eommnnieirte allwöchentlich, fastete fleißig,
las und erörterte gemeinschaftlich die Bibel, mied Luxus und Vergnügungen und
besuchte Kranke und Gefangne. Die Seele dieser Gesellschaft war John Wesley,
der Sohn eines Oberpfarrers zu Evwvrth in Lincolnshire, eines fleißigen und
pflichtgetrenen Geistlichen, der aber bei seiner Gemeinde wenig Glück hatte und
allmählich in pecuniäre Bedrängniß gerieth. Bedeutender war Wesleys Mutter,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/40>, abgerufen am 19.05.2024.