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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Universitätsferien.

dann kann es vielleicht ihm, dem Studenten, und auch noch andern Leutchen so
scheinen, als ob damit genug gethan sei. Nichts aber wäre verderblicher als
ein solches Verfahren, Soll in der Vorlesung den Studenten bloß ein Lehrbuch
in die Feder dictirt werden? Dann schaffe man lieber alle Universitäten ab,
errichte Fachschulen mit Internaten, Repetitoren und zahlreichen Prüfungen,
man trichtere den Jungen die Weisheit solange in den Kopf, bis mich die
dümmsten sie begriffen haben, es kommt ja im Grunde dann nur auf eine gute
Dosis Sitzefleisch an, um als "hochgelehrtes Haus" endlich die vom Gymnasium her
in die Hochschule geschobene Schulbank verlassen zu können. Wir haben auf
den deutschen Universitäten eine ähnliche Zeit gehabt, die Semester waren damals
recht ordentlich lang, und die Studenten gingen schon deswegen nicht in die
Ferien, weil ihnen die Reise meist zu weit war. Es war dies die Zeit des
jungen Goethe, der, wie männiglich bekannt, schließlich fand, daß die Herren
Professoren recht stationär geblieben seien, und vorzog, die Collegia künftighin
zu schwarzen. Wir brauchen auch nur einen Blick auf unser Nachbarland Frank¬
reich zu werfen, wo bis heute die Fachschulen ungehindert bestehen. Was dort
herauskommt, weiß ja jeder.

Ich denke, der geistesfreie Universitätslehrer sagt sich in jeder Stunde von
neuem, daß er kein Einpauker sein soll. Aus dem Bann der Familie und des
Gymnasiums sind die jungen Leute, die vor ihm sitzen, entlassen; sie find alle --
wir dürfen es kühn behaupten -- mit einem idealen Zuge in sich auf die Hochschule ge¬
gangen, sie sühlen sich akademisch frei, sie wissen sämmtlich, daß das akademische
Triennium oder Quadricnnium nur eine Vorbereitungszeit ist und sein soll.
Neun Gymnasialjahre liegen hinter ihnen, einen großen Lernstoff haben sie in
sich verarbeitet, nun mit einemmale stehen sie vor neuen wissenschaftlichen Auf¬
gaben, die auch der beste unter ihnen kaum sich so gewaltig gedacht hat. Es
gehört im ersten Semester viel Geistesgegenwart und frischer Muth dazu, sich
die für die nächsten Jahre gestellte Aufgabe und Arbeit zurechtzurücken. Der
Student verzweifelt daran oder wird apathisch, wenn ersieht, daß der Forma¬
lismus, den er von der Schule her kennt, weiter getrieben wird. Da hat der
Professor einzugreifen. Er muß in der Vorlesung darauf hinweisen, entweder
mit ausdrücklichen Worten oder -- gestatten Sie den Ausdruck -- zwischen den
Zeilen, daß das, was er vorträgt, nur dazu bestimmt ist, den Geist zu selbst¬
thätigem Arbeiten anzuregen, hinzuweisen auf die Quellen und Hilfsmittel, aus
denen er geschöpft und deren Zugang er seinen Hörern erschließen will. Ich
weiß es, es gab früher Professoren genug, und leider giebt es noch heute einige
Exemplare dieser Sorte, die ängstlich bemüht waren, den Nimbus wissenschaft¬
licher Ueberlegenheit zu wahren, die vielleicht sich mit Mephistos Wort:


Das Bestv, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen

getröstet oder auch selbst belogen haben. Der Universitätslehrer, der sich nicht


Universitätsferien.

dann kann es vielleicht ihm, dem Studenten, und auch noch andern Leutchen so
scheinen, als ob damit genug gethan sei. Nichts aber wäre verderblicher als
ein solches Verfahren, Soll in der Vorlesung den Studenten bloß ein Lehrbuch
in die Feder dictirt werden? Dann schaffe man lieber alle Universitäten ab,
errichte Fachschulen mit Internaten, Repetitoren und zahlreichen Prüfungen,
man trichtere den Jungen die Weisheit solange in den Kopf, bis mich die
dümmsten sie begriffen haben, es kommt ja im Grunde dann nur auf eine gute
Dosis Sitzefleisch an, um als „hochgelehrtes Haus" endlich die vom Gymnasium her
in die Hochschule geschobene Schulbank verlassen zu können. Wir haben auf
den deutschen Universitäten eine ähnliche Zeit gehabt, die Semester waren damals
recht ordentlich lang, und die Studenten gingen schon deswegen nicht in die
Ferien, weil ihnen die Reise meist zu weit war. Es war dies die Zeit des
jungen Goethe, der, wie männiglich bekannt, schließlich fand, daß die Herren
Professoren recht stationär geblieben seien, und vorzog, die Collegia künftighin
zu schwarzen. Wir brauchen auch nur einen Blick auf unser Nachbarland Frank¬
reich zu werfen, wo bis heute die Fachschulen ungehindert bestehen. Was dort
herauskommt, weiß ja jeder.

Ich denke, der geistesfreie Universitätslehrer sagt sich in jeder Stunde von
neuem, daß er kein Einpauker sein soll. Aus dem Bann der Familie und des
Gymnasiums sind die jungen Leute, die vor ihm sitzen, entlassen; sie find alle —
wir dürfen es kühn behaupten — mit einem idealen Zuge in sich auf die Hochschule ge¬
gangen, sie sühlen sich akademisch frei, sie wissen sämmtlich, daß das akademische
Triennium oder Quadricnnium nur eine Vorbereitungszeit ist und sein soll.
Neun Gymnasialjahre liegen hinter ihnen, einen großen Lernstoff haben sie in
sich verarbeitet, nun mit einemmale stehen sie vor neuen wissenschaftlichen Auf¬
gaben, die auch der beste unter ihnen kaum sich so gewaltig gedacht hat. Es
gehört im ersten Semester viel Geistesgegenwart und frischer Muth dazu, sich
die für die nächsten Jahre gestellte Aufgabe und Arbeit zurechtzurücken. Der
Student verzweifelt daran oder wird apathisch, wenn ersieht, daß der Forma¬
lismus, den er von der Schule her kennt, weiter getrieben wird. Da hat der
Professor einzugreifen. Er muß in der Vorlesung darauf hinweisen, entweder
mit ausdrücklichen Worten oder — gestatten Sie den Ausdruck — zwischen den
Zeilen, daß das, was er vorträgt, nur dazu bestimmt ist, den Geist zu selbst¬
thätigem Arbeiten anzuregen, hinzuweisen auf die Quellen und Hilfsmittel, aus
denen er geschöpft und deren Zugang er seinen Hörern erschließen will. Ich
weiß es, es gab früher Professoren genug, und leider giebt es noch heute einige
Exemplare dieser Sorte, die ängstlich bemüht waren, den Nimbus wissenschaft¬
licher Ueberlegenheit zu wahren, die vielleicht sich mit Mephistos Wort:


Das Bestv, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen

getröstet oder auch selbst belogen haben. Der Universitätslehrer, der sich nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/130>, abgerufen am 14.05.2024.