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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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UniverMtsferien.

herausrechnen, daß an unsrer Universität für solche Dinge bei allen Professoren
insgesammt noch keine vier Wochen herauskommen. Ich will z. B, annehmen, wir seien
an hiesiger Universität 100 Docenten; von den 36 500 Tagen derselben im Jahre
kommen noch nicht 30 Tage auf solche Reisen. Und daß ein Professor einmal
ein paar Tage der Muße dazu verwendet, für eine Revue, oder wie die periodisch
erscheinenden Erzeugnisse unsrer Journalistik genannt werden, einen Artikel zu
schreiben, werden Sie doch nicht tadeln wollen. Der Universitätsprofessor, der
mir für seine Studenten studirt, schreibt und spricht, stellt sich selbst ein Ar-
mnthszeugniß aus. Das Herz der Nation zu treffen, zu bestimmen und zu be¬
wegen ist doch auch etwas Schönes. Wir wenden uns fast ausschließlich an
das Herz unsrer akademischen Jugend, können wir uns nicht auch einmal an
die wenden, die dem Hörsaale schon lange den Rücken gekehrt haben? Oder
glauben Sie, um ein ganz bestimmtes Beispiel zu brauchen, daß Treitschke in
Berlin darum ein schlechter Professor sei, weil er Artikel für Revuen schreibt?

Also ich meine, die akademischen Ferien sind freilich scheinbar lang, aber
für den tüchtigen Docenten nothwendig.

Doch der Student? Ich will hier nicht betonen, daß auf unsern norddeut¬
schen Gymnasien nach Absolvirung des Abiturientenexamens und vor der Imma-
triculation auf der Universität nicht die große Zeitspanne liegt wie bei Ihnen
in Baiern. Das wäre ja leicht zu ändern. Auch muß ich gestehen, daß mir
gegenüber noch niemals Eltern geklagt haben, die Ferien dauerten allzulange. Es
mag ein Zufall sein, daß solche Klagen nicht an mich gekommen. Ich meine
aber, daß es merkwürdige Eltern sein müssen, die zusehen, wie ihr Söhnlein
die ganzen Ferien verbummelt, und die niemals ein Wort der Ermahnung an
den Herrn Wus direct richten! Wir sind im deutschen Norden auch nicht mit
den vielen katholischen Feiertagen gesegnet, die Sie aufzählen. Weihnachtsferien
und Pfingsttage unterbrechen allerdings auch bei uns das Semester; aber wollen
Sie das schönste deutsche Fest, das sich nur in der Familie recht feiern läßt,
der Jugend nehmen? Ich habe zweimal Weihnachten auf der Universität ver¬
lebt, weil ich allzufern von der Heimat weilte; ich gestehe Ihnen offen, nur
war am heiligen Abend, obgleich wir zurückgebliebenen Genossen uns einen Weih¬
nachtsbaum angezündet hatten, recht jämmerlich zu Muthe. Und dann die
Pfingsttage! Wie schön waren gerade diese, es war die einzige Zeit während
meiner Studienjahre, wo ich vereint mit den Genossen aus mehrere Tage in
den Lenz hinausziehen konnte. Die Arbeit schmeckte nachher noch einmal so gut.

Lassen Sie mich jetzt ein Geständnis; machen. Sie werden das freilich
ebensogut wie ich wissen. Am 1. März und am 1. August leeren sich regel¬
mäßig die Bänke meines Auditoriums ganz auffallend, es tuum sich leicht er¬
eignen, daß ich mich einmal nach diesen Tagen in den vier Wänden allein finde.
Was ist der Grund? Vielleicht bin ich gegen den Schluß der Vorlesungen so
langweilig geworden, daß alles sein Heil in schleuniger Flucht sucht? Sie lachen,


UniverMtsferien.

herausrechnen, daß an unsrer Universität für solche Dinge bei allen Professoren
insgesammt noch keine vier Wochen herauskommen. Ich will z. B, annehmen, wir seien
an hiesiger Universität 100 Docenten; von den 36 500 Tagen derselben im Jahre
kommen noch nicht 30 Tage auf solche Reisen. Und daß ein Professor einmal
ein paar Tage der Muße dazu verwendet, für eine Revue, oder wie die periodisch
erscheinenden Erzeugnisse unsrer Journalistik genannt werden, einen Artikel zu
schreiben, werden Sie doch nicht tadeln wollen. Der Universitätsprofessor, der
mir für seine Studenten studirt, schreibt und spricht, stellt sich selbst ein Ar-
mnthszeugniß aus. Das Herz der Nation zu treffen, zu bestimmen und zu be¬
wegen ist doch auch etwas Schönes. Wir wenden uns fast ausschließlich an
das Herz unsrer akademischen Jugend, können wir uns nicht auch einmal an
die wenden, die dem Hörsaale schon lange den Rücken gekehrt haben? Oder
glauben Sie, um ein ganz bestimmtes Beispiel zu brauchen, daß Treitschke in
Berlin darum ein schlechter Professor sei, weil er Artikel für Revuen schreibt?

Also ich meine, die akademischen Ferien sind freilich scheinbar lang, aber
für den tüchtigen Docenten nothwendig.

Doch der Student? Ich will hier nicht betonen, daß auf unsern norddeut¬
schen Gymnasien nach Absolvirung des Abiturientenexamens und vor der Imma-
triculation auf der Universität nicht die große Zeitspanne liegt wie bei Ihnen
in Baiern. Das wäre ja leicht zu ändern. Auch muß ich gestehen, daß mir
gegenüber noch niemals Eltern geklagt haben, die Ferien dauerten allzulange. Es
mag ein Zufall sein, daß solche Klagen nicht an mich gekommen. Ich meine
aber, daß es merkwürdige Eltern sein müssen, die zusehen, wie ihr Söhnlein
die ganzen Ferien verbummelt, und die niemals ein Wort der Ermahnung an
den Herrn Wus direct richten! Wir sind im deutschen Norden auch nicht mit
den vielen katholischen Feiertagen gesegnet, die Sie aufzählen. Weihnachtsferien
und Pfingsttage unterbrechen allerdings auch bei uns das Semester; aber wollen
Sie das schönste deutsche Fest, das sich nur in der Familie recht feiern läßt,
der Jugend nehmen? Ich habe zweimal Weihnachten auf der Universität ver¬
lebt, weil ich allzufern von der Heimat weilte; ich gestehe Ihnen offen, nur
war am heiligen Abend, obgleich wir zurückgebliebenen Genossen uns einen Weih¬
nachtsbaum angezündet hatten, recht jämmerlich zu Muthe. Und dann die
Pfingsttage! Wie schön waren gerade diese, es war die einzige Zeit während
meiner Studienjahre, wo ich vereint mit den Genossen aus mehrere Tage in
den Lenz hinausziehen konnte. Die Arbeit schmeckte nachher noch einmal so gut.

Lassen Sie mich jetzt ein Geständnis; machen. Sie werden das freilich
ebensogut wie ich wissen. Am 1. März und am 1. August leeren sich regel¬
mäßig die Bänke meines Auditoriums ganz auffallend, es tuum sich leicht er¬
eignen, daß ich mich einmal nach diesen Tagen in den vier Wänden allein finde.
Was ist der Grund? Vielleicht bin ich gegen den Schluß der Vorlesungen so
langweilig geworden, daß alles sein Heil in schleuniger Flucht sucht? Sie lachen,


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[0133] UniverMtsferien. herausrechnen, daß an unsrer Universität für solche Dinge bei allen Professoren insgesammt noch keine vier Wochen herauskommen. Ich will z. B, annehmen, wir seien an hiesiger Universität 100 Docenten; von den 36 500 Tagen derselben im Jahre kommen noch nicht 30 Tage auf solche Reisen. Und daß ein Professor einmal ein paar Tage der Muße dazu verwendet, für eine Revue, oder wie die periodisch erscheinenden Erzeugnisse unsrer Journalistik genannt werden, einen Artikel zu schreiben, werden Sie doch nicht tadeln wollen. Der Universitätsprofessor, der mir für seine Studenten studirt, schreibt und spricht, stellt sich selbst ein Ar- mnthszeugniß aus. Das Herz der Nation zu treffen, zu bestimmen und zu be¬ wegen ist doch auch etwas Schönes. Wir wenden uns fast ausschließlich an das Herz unsrer akademischen Jugend, können wir uns nicht auch einmal an die wenden, die dem Hörsaale schon lange den Rücken gekehrt haben? Oder glauben Sie, um ein ganz bestimmtes Beispiel zu brauchen, daß Treitschke in Berlin darum ein schlechter Professor sei, weil er Artikel für Revuen schreibt? Also ich meine, die akademischen Ferien sind freilich scheinbar lang, aber für den tüchtigen Docenten nothwendig. Doch der Student? Ich will hier nicht betonen, daß auf unsern norddeut¬ schen Gymnasien nach Absolvirung des Abiturientenexamens und vor der Imma- triculation auf der Universität nicht die große Zeitspanne liegt wie bei Ihnen in Baiern. Das wäre ja leicht zu ändern. Auch muß ich gestehen, daß mir gegenüber noch niemals Eltern geklagt haben, die Ferien dauerten allzulange. Es mag ein Zufall sein, daß solche Klagen nicht an mich gekommen. Ich meine aber, daß es merkwürdige Eltern sein müssen, die zusehen, wie ihr Söhnlein die ganzen Ferien verbummelt, und die niemals ein Wort der Ermahnung an den Herrn Wus direct richten! Wir sind im deutschen Norden auch nicht mit den vielen katholischen Feiertagen gesegnet, die Sie aufzählen. Weihnachtsferien und Pfingsttage unterbrechen allerdings auch bei uns das Semester; aber wollen Sie das schönste deutsche Fest, das sich nur in der Familie recht feiern läßt, der Jugend nehmen? Ich habe zweimal Weihnachten auf der Universität ver¬ lebt, weil ich allzufern von der Heimat weilte; ich gestehe Ihnen offen, nur war am heiligen Abend, obgleich wir zurückgebliebenen Genossen uns einen Weih¬ nachtsbaum angezündet hatten, recht jämmerlich zu Muthe. Und dann die Pfingsttage! Wie schön waren gerade diese, es war die einzige Zeit während meiner Studienjahre, wo ich vereint mit den Genossen aus mehrere Tage in den Lenz hinausziehen konnte. Die Arbeit schmeckte nachher noch einmal so gut. Lassen Sie mich jetzt ein Geständnis; machen. Sie werden das freilich ebensogut wie ich wissen. Am 1. März und am 1. August leeren sich regel¬ mäßig die Bänke meines Auditoriums ganz auffallend, es tuum sich leicht er¬ eignen, daß ich mich einmal nach diesen Tagen in den vier Wänden allein finde. Was ist der Grund? Vielleicht bin ich gegen den Schluß der Vorlesungen so langweilig geworden, daß alles sein Heil in schleuniger Flucht sucht? Sie lachen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/133>, abgerufen am 29.05.2024.