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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Der Porträtmaler unsrer Klassiker.

einer seiner Zeitgenossen mit ihm vergleichen. Das bekannte, weitverbreitete
Bildniß des alten Goethe freilich, das unter seinem Namen geht, ein Stich
C. Barths, der früher zu allen möglichen Verlagswerken des Bibliographischen
Instituts in Hildburghausen verwendet wurde, ist eine, sei es nun absichtliche
oder unabsichtliche Fälschung. Graff starb 1813, hat Goethe nie gemalt,
und jener Stich ist nichts als eine unbedeutend veränderte Wiederholung des
Stielerschen Bildes von 1828. Aber nicht nur daß wir Graffs Hand die besten
Bildnisse Lessings und Schillers verdauten, die existiren -- das Lessiugbild,
jetzt im Besitze des Herr" Stadtgcrichtsrath Lessing in Berlin, das Schillerbild
im Köruermuseum zu Dresden --, sondern auch eine lange Reihe andrer Dichter
aus dem 18. und dem Anfange des 19. Jahrhunderts, wie Bodmer und Geßner,
Wieland und Herder, Bürger, Ramler, Uz und Göckingk, Gellert, Rabener,
Christian Felix Weiße, Mahlmann und Meißner (der Skizzenmeißner), Künstler
und Musiker wie Füßli, Dietrich, Chodowiecki, Oeser und Banse, Johann Adam
Hiller, der Leipziger Thomasccmtvr, und Johann Amadeus Naumann, der
Dresdner Capellmeister, Schauspieler und Schauspielerinnen wie Eckhof, Jffland,
Corona Schröter, Elisabeth Mara, zahlreiche Gelehrte wie Adelung, C. A.
Bötticher, Johann Jacob Engel, Garve, Hagedorn (der Kunstschriftsteller), der
Abt Jerusalem (der Vater des unglücklichen Werther-Jerusalem), Christian
Gottfried Körner (der Vater Theodor Körners), Lippert, Spalding, Moses
Mendelssohn, Sulzer u. a. sind durch Graffs Hand in mustergiltigen Bildnissen
auf die Nachwelt gebracht worden, ganz zu schweigen von den hundert Porträts
von Fürsten, Staatsmännern, Offizieren, hohen Beamten, reichen und kunst¬
sinnigen Adlichen und Bürgern und all den Mitgliedern seines Verwaudten-
kreises, deren Züge seine schnelle und fleißige Hand uns in treuester und zuver¬
lässigster Weise überliefert hat.

Eine nähere Kenntniß Graffs ist gegenwärtig Wohl auf sehr enge Kreise
beschränkt. Der Kupferstichsnmmler, der Porträtsammler erbaut sich an den
herrlichen Stichen, die Banse einst nach einer großen Anzahl der genannten
Porträts geschaffen und in denen er als Kupferstecher sowohl in der scharfen,
lebensvollen Auffassung und klaren, plastischen Herausarbeitung der Köpfe, wie in
der wundervollen Behandlung der Stoffe, namentlich der Wiedergabe von Pelz¬
werk, Sammet und Seide, mit dem Maler gewetteifert hat. Das größere
Publicum aber kennt ihn wohl kaum noch dem Namen nach. Und doch, was war
dieser Graff für ein großer, seltner Künstler! Die Hunderte von Porträts, die
er in den sechs Jahrzehnten seiner selbständigen künstlerischen Thätigkeit ge¬
schaffen, sind mit einer Gewandtheit und Unfehlbarkeit der Technik gemalt, von
der heutige Porträtmaler gar keinen Schimmer mehr haben, so wenig wie unsre
heutigen Komponisten von der erstaunlichen und doch damals so selbstverständ¬
lichen cvntrapunktischen Fertigkeit der Meister des vorigen Jahrhunderts. Aber
es ist ja nicht diese Herrschaft über die Technik allein, die ihm seine hervor-


Der Porträtmaler unsrer Klassiker.

einer seiner Zeitgenossen mit ihm vergleichen. Das bekannte, weitverbreitete
Bildniß des alten Goethe freilich, das unter seinem Namen geht, ein Stich
C. Barths, der früher zu allen möglichen Verlagswerken des Bibliographischen
Instituts in Hildburghausen verwendet wurde, ist eine, sei es nun absichtliche
oder unabsichtliche Fälschung. Graff starb 1813, hat Goethe nie gemalt,
und jener Stich ist nichts als eine unbedeutend veränderte Wiederholung des
Stielerschen Bildes von 1828. Aber nicht nur daß wir Graffs Hand die besten
Bildnisse Lessings und Schillers verdauten, die existiren — das Lessiugbild,
jetzt im Besitze des Herr» Stadtgcrichtsrath Lessing in Berlin, das Schillerbild
im Köruermuseum zu Dresden —, sondern auch eine lange Reihe andrer Dichter
aus dem 18. und dem Anfange des 19. Jahrhunderts, wie Bodmer und Geßner,
Wieland und Herder, Bürger, Ramler, Uz und Göckingk, Gellert, Rabener,
Christian Felix Weiße, Mahlmann und Meißner (der Skizzenmeißner), Künstler
und Musiker wie Füßli, Dietrich, Chodowiecki, Oeser und Banse, Johann Adam
Hiller, der Leipziger Thomasccmtvr, und Johann Amadeus Naumann, der
Dresdner Capellmeister, Schauspieler und Schauspielerinnen wie Eckhof, Jffland,
Corona Schröter, Elisabeth Mara, zahlreiche Gelehrte wie Adelung, C. A.
Bötticher, Johann Jacob Engel, Garve, Hagedorn (der Kunstschriftsteller), der
Abt Jerusalem (der Vater des unglücklichen Werther-Jerusalem), Christian
Gottfried Körner (der Vater Theodor Körners), Lippert, Spalding, Moses
Mendelssohn, Sulzer u. a. sind durch Graffs Hand in mustergiltigen Bildnissen
auf die Nachwelt gebracht worden, ganz zu schweigen von den hundert Porträts
von Fürsten, Staatsmännern, Offizieren, hohen Beamten, reichen und kunst¬
sinnigen Adlichen und Bürgern und all den Mitgliedern seines Verwaudten-
kreises, deren Züge seine schnelle und fleißige Hand uns in treuester und zuver¬
lässigster Weise überliefert hat.

Eine nähere Kenntniß Graffs ist gegenwärtig Wohl auf sehr enge Kreise
beschränkt. Der Kupferstichsnmmler, der Porträtsammler erbaut sich an den
herrlichen Stichen, die Banse einst nach einer großen Anzahl der genannten
Porträts geschaffen und in denen er als Kupferstecher sowohl in der scharfen,
lebensvollen Auffassung und klaren, plastischen Herausarbeitung der Köpfe, wie in
der wundervollen Behandlung der Stoffe, namentlich der Wiedergabe von Pelz¬
werk, Sammet und Seide, mit dem Maler gewetteifert hat. Das größere
Publicum aber kennt ihn wohl kaum noch dem Namen nach. Und doch, was war
dieser Graff für ein großer, seltner Künstler! Die Hunderte von Porträts, die
er in den sechs Jahrzehnten seiner selbständigen künstlerischen Thätigkeit ge¬
schaffen, sind mit einer Gewandtheit und Unfehlbarkeit der Technik gemalt, von
der heutige Porträtmaler gar keinen Schimmer mehr haben, so wenig wie unsre
heutigen Komponisten von der erstaunlichen und doch damals so selbstverständ¬
lichen cvntrapunktischen Fertigkeit der Meister des vorigen Jahrhunderts. Aber
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[0155] Der Porträtmaler unsrer Klassiker. einer seiner Zeitgenossen mit ihm vergleichen. Das bekannte, weitverbreitete Bildniß des alten Goethe freilich, das unter seinem Namen geht, ein Stich C. Barths, der früher zu allen möglichen Verlagswerken des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen verwendet wurde, ist eine, sei es nun absichtliche oder unabsichtliche Fälschung. Graff starb 1813, hat Goethe nie gemalt, und jener Stich ist nichts als eine unbedeutend veränderte Wiederholung des Stielerschen Bildes von 1828. Aber nicht nur daß wir Graffs Hand die besten Bildnisse Lessings und Schillers verdauten, die existiren — das Lessiugbild, jetzt im Besitze des Herr» Stadtgcrichtsrath Lessing in Berlin, das Schillerbild im Köruermuseum zu Dresden —, sondern auch eine lange Reihe andrer Dichter aus dem 18. und dem Anfange des 19. Jahrhunderts, wie Bodmer und Geßner, Wieland und Herder, Bürger, Ramler, Uz und Göckingk, Gellert, Rabener, Christian Felix Weiße, Mahlmann und Meißner (der Skizzenmeißner), Künstler und Musiker wie Füßli, Dietrich, Chodowiecki, Oeser und Banse, Johann Adam Hiller, der Leipziger Thomasccmtvr, und Johann Amadeus Naumann, der Dresdner Capellmeister, Schauspieler und Schauspielerinnen wie Eckhof, Jffland, Corona Schröter, Elisabeth Mara, zahlreiche Gelehrte wie Adelung, C. A. Bötticher, Johann Jacob Engel, Garve, Hagedorn (der Kunstschriftsteller), der Abt Jerusalem (der Vater des unglücklichen Werther-Jerusalem), Christian Gottfried Körner (der Vater Theodor Körners), Lippert, Spalding, Moses Mendelssohn, Sulzer u. a. sind durch Graffs Hand in mustergiltigen Bildnissen auf die Nachwelt gebracht worden, ganz zu schweigen von den hundert Porträts von Fürsten, Staatsmännern, Offizieren, hohen Beamten, reichen und kunst¬ sinnigen Adlichen und Bürgern und all den Mitgliedern seines Verwaudten- kreises, deren Züge seine schnelle und fleißige Hand uns in treuester und zuver¬ lässigster Weise überliefert hat. Eine nähere Kenntniß Graffs ist gegenwärtig Wohl auf sehr enge Kreise beschränkt. Der Kupferstichsnmmler, der Porträtsammler erbaut sich an den herrlichen Stichen, die Banse einst nach einer großen Anzahl der genannten Porträts geschaffen und in denen er als Kupferstecher sowohl in der scharfen, lebensvollen Auffassung und klaren, plastischen Herausarbeitung der Köpfe, wie in der wundervollen Behandlung der Stoffe, namentlich der Wiedergabe von Pelz¬ werk, Sammet und Seide, mit dem Maler gewetteifert hat. Das größere Publicum aber kennt ihn wohl kaum noch dem Namen nach. Und doch, was war dieser Graff für ein großer, seltner Künstler! Die Hunderte von Porträts, die er in den sechs Jahrzehnten seiner selbständigen künstlerischen Thätigkeit ge¬ schaffen, sind mit einer Gewandtheit und Unfehlbarkeit der Technik gemalt, von der heutige Porträtmaler gar keinen Schimmer mehr haben, so wenig wie unsre heutigen Komponisten von der erstaunlichen und doch damals so selbstverständ¬ lichen cvntrapunktischen Fertigkeit der Meister des vorigen Jahrhunderts. Aber es ist ja nicht diese Herrschaft über die Technik allein, die ihm seine hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/155>, abgerufen am 14.05.2024.