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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Her Porträtmaler unsrer Klassiker.

Lessing wurde von Graff zwischen dem 20, und 29. September 1771,
also im 43, Lebensjahre, im Hause Sulzers in Berlin gemalt. Das Porträt
,ist ein Brustbild ohne Hände. Der Körper ist ein wenig von rechts gesehen,
Kopf und Blick nach vorn gewandt. Lessing trägt einen rothen Sammetrock,
eine Weste von derselben Farbe, gepudertes, an den Seiten in eine Rolle ge¬
legtes Haar, Weiße Halsbinde und Busenstreif. Wenn irgend ein Porträt Les-
sings, so bestätigt dieses Graffsche die Schilderung, die seiner Zeit or. Schiller
nach Mittheilungen aus dem Munde der Stiefkinder Lessings von der Per¬
sönlichkeit desselben entworfen hat: "Das Schönste an ihm war das Haupt,
welches er auf dem gedrungenen Halse natürlich und frei emporzurichten pflegte.
Aber vor allem waltete auf dem geistvollen Antlitze von blühender, nicht gerade
rother Gesichtsfarbe das offene, klare, tiefdunkelblaue Auge. Der Blick war
nicht stechend, nicht herausfordernd, aber entschieden und unbefangen, gleichsam
ein ungetrübter Spiegel, der seinen Gegenstand rein und scharf auffaßt. Rascher
Gedankenflug, schalkhafte Grazie und ein herzgewinnendes Wohlwollen sprühten
aus seinen Blicken ihre siegreichen Geschosse. Dieses Auge war aber von um so
gewaltigerer Wirkung, als dasselbe in leuchtender Milde schon aus der Ferne
seinen Gegenstand zu fixiren vermochte." Der erste Eigenthümer des Bildes
war Lessing selbst. Wie Herrings im März 1776 in einem Briefe an Elise
Reimarus schreibt, soll er beim ersten Anblick desselben ausgerufen haben:
"Sehe ich denn so verteufelt freundlich aus?" In demselben Jahre, 1776,
finden wir das Bild bereits in Hamburg im Besitze des kunstsinnigen Kauf¬
manns Schwalb, eines geistreichen und jovialen Freundes Lessings. Im Jahre
1840 erstand es aus dem Nachlasse von Schwalbs Sohn der Senator Peh-
möller in Hamburg, und aus dessen Nachlaß ist es 1878 für den Preis von
2600 Mark in den Besitz des Herrn Stadtgerichtsrath Lessing, eines Gro߬
neffen des Dichters, übergegangen. Uebrigens existiren neben dem Hauptbilde
drei Wiederholungen. Die gelungenste wurde vor einigen Jahren von dem
Buchhändler Härtel (Breitkopf 6- Härtel) der Leipziger Universitätsbibliothek ge¬
schenkt; die zweite befindet sich in Basel in der Galerie des Herrn I. M. Ziegler,
die dritte, die aus dem Nachlasse von Matthias Claudius stammt, im Besitze
des Herrn A. Perthes in Gotha. Gestochen wurde das Bild schon 1772 von
Bause -- ein sehr bekanntes Blatt --, 1850 von Sichling für die bei Breit¬
kopf L Härtel erschienenen "Bildnisse berühmter Deutschen." Sichling hat sicher
das Leipziger, Banse möglicherweise das Berliner Exemplar benutzt, welche beide
in einigen, wenn auch unerheblichen Einzelheiten von einander abweichen. Der
Gesichtsausdruck ist leider in keinem von beiden Stichen vollkommen erreicht.*)



*) Gegenwärtig ist der Leipziger Kupferstecher L. A, Kranße, dessen meisterhafte Kupfer¬
stichporträts von Richard Wagner, Franz Liszt, Charles Darwin und Justus Liebig in den
letzten Jahren gerechte Bewunderung erregt haben, mit einem Lcssingporträt nach Graff
Her Porträtmaler unsrer Klassiker.

Lessing wurde von Graff zwischen dem 20, und 29. September 1771,
also im 43, Lebensjahre, im Hause Sulzers in Berlin gemalt. Das Porträt
,ist ein Brustbild ohne Hände. Der Körper ist ein wenig von rechts gesehen,
Kopf und Blick nach vorn gewandt. Lessing trägt einen rothen Sammetrock,
eine Weste von derselben Farbe, gepudertes, an den Seiten in eine Rolle ge¬
legtes Haar, Weiße Halsbinde und Busenstreif. Wenn irgend ein Porträt Les-
sings, so bestätigt dieses Graffsche die Schilderung, die seiner Zeit or. Schiller
nach Mittheilungen aus dem Munde der Stiefkinder Lessings von der Per¬
sönlichkeit desselben entworfen hat: „Das Schönste an ihm war das Haupt,
welches er auf dem gedrungenen Halse natürlich und frei emporzurichten pflegte.
Aber vor allem waltete auf dem geistvollen Antlitze von blühender, nicht gerade
rother Gesichtsfarbe das offene, klare, tiefdunkelblaue Auge. Der Blick war
nicht stechend, nicht herausfordernd, aber entschieden und unbefangen, gleichsam
ein ungetrübter Spiegel, der seinen Gegenstand rein und scharf auffaßt. Rascher
Gedankenflug, schalkhafte Grazie und ein herzgewinnendes Wohlwollen sprühten
aus seinen Blicken ihre siegreichen Geschosse. Dieses Auge war aber von um so
gewaltigerer Wirkung, als dasselbe in leuchtender Milde schon aus der Ferne
seinen Gegenstand zu fixiren vermochte." Der erste Eigenthümer des Bildes
war Lessing selbst. Wie Herrings im März 1776 in einem Briefe an Elise
Reimarus schreibt, soll er beim ersten Anblick desselben ausgerufen haben:
„Sehe ich denn so verteufelt freundlich aus?" In demselben Jahre, 1776,
finden wir das Bild bereits in Hamburg im Besitze des kunstsinnigen Kauf¬
manns Schwalb, eines geistreichen und jovialen Freundes Lessings. Im Jahre
1840 erstand es aus dem Nachlasse von Schwalbs Sohn der Senator Peh-
möller in Hamburg, und aus dessen Nachlaß ist es 1878 für den Preis von
2600 Mark in den Besitz des Herrn Stadtgerichtsrath Lessing, eines Gro߬
neffen des Dichters, übergegangen. Uebrigens existiren neben dem Hauptbilde
drei Wiederholungen. Die gelungenste wurde vor einigen Jahren von dem
Buchhändler Härtel (Breitkopf 6- Härtel) der Leipziger Universitätsbibliothek ge¬
schenkt; die zweite befindet sich in Basel in der Galerie des Herrn I. M. Ziegler,
die dritte, die aus dem Nachlasse von Matthias Claudius stammt, im Besitze
des Herrn A. Perthes in Gotha. Gestochen wurde das Bild schon 1772 von
Bause — ein sehr bekanntes Blatt —, 1850 von Sichling für die bei Breit¬
kopf L Härtel erschienenen „Bildnisse berühmter Deutschen." Sichling hat sicher
das Leipziger, Banse möglicherweise das Berliner Exemplar benutzt, welche beide
in einigen, wenn auch unerheblichen Einzelheiten von einander abweichen. Der
Gesichtsausdruck ist leider in keinem von beiden Stichen vollkommen erreicht.*)



*) Gegenwärtig ist der Leipziger Kupferstecher L. A, Kranße, dessen meisterhafte Kupfer¬
stichporträts von Richard Wagner, Franz Liszt, Charles Darwin und Justus Liebig in den
letzten Jahren gerechte Bewunderung erregt haben, mit einem Lcssingporträt nach Graff
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[0165] Her Porträtmaler unsrer Klassiker. Lessing wurde von Graff zwischen dem 20, und 29. September 1771, also im 43, Lebensjahre, im Hause Sulzers in Berlin gemalt. Das Porträt ,ist ein Brustbild ohne Hände. Der Körper ist ein wenig von rechts gesehen, Kopf und Blick nach vorn gewandt. Lessing trägt einen rothen Sammetrock, eine Weste von derselben Farbe, gepudertes, an den Seiten in eine Rolle ge¬ legtes Haar, Weiße Halsbinde und Busenstreif. Wenn irgend ein Porträt Les- sings, so bestätigt dieses Graffsche die Schilderung, die seiner Zeit or. Schiller nach Mittheilungen aus dem Munde der Stiefkinder Lessings von der Per¬ sönlichkeit desselben entworfen hat: „Das Schönste an ihm war das Haupt, welches er auf dem gedrungenen Halse natürlich und frei emporzurichten pflegte. Aber vor allem waltete auf dem geistvollen Antlitze von blühender, nicht gerade rother Gesichtsfarbe das offene, klare, tiefdunkelblaue Auge. Der Blick war nicht stechend, nicht herausfordernd, aber entschieden und unbefangen, gleichsam ein ungetrübter Spiegel, der seinen Gegenstand rein und scharf auffaßt. Rascher Gedankenflug, schalkhafte Grazie und ein herzgewinnendes Wohlwollen sprühten aus seinen Blicken ihre siegreichen Geschosse. Dieses Auge war aber von um so gewaltigerer Wirkung, als dasselbe in leuchtender Milde schon aus der Ferne seinen Gegenstand zu fixiren vermochte." Der erste Eigenthümer des Bildes war Lessing selbst. Wie Herrings im März 1776 in einem Briefe an Elise Reimarus schreibt, soll er beim ersten Anblick desselben ausgerufen haben: „Sehe ich denn so verteufelt freundlich aus?" In demselben Jahre, 1776, finden wir das Bild bereits in Hamburg im Besitze des kunstsinnigen Kauf¬ manns Schwalb, eines geistreichen und jovialen Freundes Lessings. Im Jahre 1840 erstand es aus dem Nachlasse von Schwalbs Sohn der Senator Peh- möller in Hamburg, und aus dessen Nachlaß ist es 1878 für den Preis von 2600 Mark in den Besitz des Herrn Stadtgerichtsrath Lessing, eines Gro߬ neffen des Dichters, übergegangen. Uebrigens existiren neben dem Hauptbilde drei Wiederholungen. Die gelungenste wurde vor einigen Jahren von dem Buchhändler Härtel (Breitkopf 6- Härtel) der Leipziger Universitätsbibliothek ge¬ schenkt; die zweite befindet sich in Basel in der Galerie des Herrn I. M. Ziegler, die dritte, die aus dem Nachlasse von Matthias Claudius stammt, im Besitze des Herrn A. Perthes in Gotha. Gestochen wurde das Bild schon 1772 von Bause — ein sehr bekanntes Blatt —, 1850 von Sichling für die bei Breit¬ kopf L Härtel erschienenen „Bildnisse berühmter Deutschen." Sichling hat sicher das Leipziger, Banse möglicherweise das Berliner Exemplar benutzt, welche beide in einigen, wenn auch unerheblichen Einzelheiten von einander abweichen. Der Gesichtsausdruck ist leider in keinem von beiden Stichen vollkommen erreicht.*) *) Gegenwärtig ist der Leipziger Kupferstecher L. A, Kranße, dessen meisterhafte Kupfer¬ stichporträts von Richard Wagner, Franz Liszt, Charles Darwin und Justus Liebig in den letzten Jahren gerechte Bewunderung erregt haben, mit einem Lcssingporträt nach Graff

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/165>, abgerufen am 10.06.2024.