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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Spielhagens Angela.

Abonnenten, was sie sich auch gelegentlich durch einen, vereidigten Bücherrevisor
bescheinigen läßt, so daß man's glauben muß, fünf oder sechs andere treten hinzu,
und wenn auch diese hinsichtlich ihrer Abonnentenzahl minder bevorzugt sind, so
mag dadurch immerhin ein Publieum von 100,000 Lesern zusammengekommen
sein, die Spielhagens neuesten Roman "Angela" aus erster Quelle gelesen haben.

Die armen Leihbibliotheken! Wenn die Buchausgabe erscheint, beginnt viel¬
leicht schon die Veröffentlichung eines neuen Romans, und "Angela" findet als
veraltet nur unwillige Abnehmer. Wer aber lauft das Buch? Eine kleine Minorität,
die noch an dem alten Wahne hängt, daß ein Kunstwerk als Ganzes genossen
werden muß. Dann, wenn das Glück gut ist, eine Anzahl von Reisenden, die sich
unterwegs die Zeit verkürzen wollen. Nehmt aber die "Angela" nur nicht nach
der Schweiz mit! Es stehen so fatale Geschichten drin, daß einem, der etwas
abergläubisch ist, die ganze Schweizerreise verbittert werden kann. Auch den
Hotelbesitzern am Genfer See ist die Auslage des Buches in ihren Lesezimmern
nicht zu empfehlen, da dasselbe ein starkes Präjudiz gegen die Zuträglichkeit des
dortigen Hvtcllebens erweckt. Im Laufe des zweiten Bandes tritt der Dichter
nicht weniger als viermal hintereinander als Leichcnbitter auf.

So vortheilhaft in materieller Beziehung jenes Hausirgeschäft in den Zei¬
tungen für die Romanschriftsteller sein mag, so wenig fördersam ist es ihrem
literarischen Ruhme. Früher war das Erscheinen eines Romans von Auerbach,
Spielhagen und andern Größen des Tages ein Ereigniß für die gebildete Welt,
welches auch in der Presse lebhaften Wiederhall fand. Heute nimmt man kaum
uoch mit einigen Zeilen Notiz davon: die eine Zeitung, weil sie selbst den
Roman gebracht hat und ihre Leser sich längst ein Urtheil darüber gebildet haben,
die andre Zeitung, weil sie den Roman nicht gebracht hat und deshalb ans leicht
begreiflichen Grunde so wenig Aufhebens wie möglich davon machen will. So
sind die letzten Arbeiten Spielhagens, "Sturmfluth," "Das Skelett im Hanse,"
"Quisisana," ziemlich spurlos vorübergegangen, Lcsefutter für eine der Ab¬
wechslung bedürftige Menge, die heute einen Liebling auf den Schild erhebt
und ihn morgen desto tiefer fallen läßt.

Auch "Angela" wäre nicht weit über den Kreis der Zeitungsleser hinans-
gedrungcn, wenn die königliche Staatsanwaltschaft in Berlin nicht auf ein Capitel
des Romans aufmerksam geworden wäre, durch welches ihr die öffentliche Sitt¬
lichkeit gefährdet erschien. Es wird in diesem Capitel allerdings eine Seene
zwischen zwei Damen geschildert, in welcher Gefühle zum Durchbruch kommen,
die eine bedenkliche Aehnlichkeit mit denjenigen haben, welche das Motiv zu
Adolphe Belots berüchtigten Roman Nkäomoisöllö (Urs,na, mu, thans her¬
gegeben haben. Aus dem Zusammenhange gerissen frappirt diese Stelle in der
That durch ihre wilde sinnliche Gluth, die über das Maß einer besonnenen
Schilderung weit hinansschlägt. Wer aber den Roman von Anfang an gelesen
hat und dann auf die incriminirte Stelle gerüth, der hat bereits eine so grünt-


Spielhagens Angela.

Abonnenten, was sie sich auch gelegentlich durch einen, vereidigten Bücherrevisor
bescheinigen läßt, so daß man's glauben muß, fünf oder sechs andere treten hinzu,
und wenn auch diese hinsichtlich ihrer Abonnentenzahl minder bevorzugt sind, so
mag dadurch immerhin ein Publieum von 100,000 Lesern zusammengekommen
sein, die Spielhagens neuesten Roman „Angela" aus erster Quelle gelesen haben.

Die armen Leihbibliotheken! Wenn die Buchausgabe erscheint, beginnt viel¬
leicht schon die Veröffentlichung eines neuen Romans, und „Angela" findet als
veraltet nur unwillige Abnehmer. Wer aber lauft das Buch? Eine kleine Minorität,
die noch an dem alten Wahne hängt, daß ein Kunstwerk als Ganzes genossen
werden muß. Dann, wenn das Glück gut ist, eine Anzahl von Reisenden, die sich
unterwegs die Zeit verkürzen wollen. Nehmt aber die „Angela" nur nicht nach
der Schweiz mit! Es stehen so fatale Geschichten drin, daß einem, der etwas
abergläubisch ist, die ganze Schweizerreise verbittert werden kann. Auch den
Hotelbesitzern am Genfer See ist die Auslage des Buches in ihren Lesezimmern
nicht zu empfehlen, da dasselbe ein starkes Präjudiz gegen die Zuträglichkeit des
dortigen Hvtcllebens erweckt. Im Laufe des zweiten Bandes tritt der Dichter
nicht weniger als viermal hintereinander als Leichcnbitter auf.

So vortheilhaft in materieller Beziehung jenes Hausirgeschäft in den Zei¬
tungen für die Romanschriftsteller sein mag, so wenig fördersam ist es ihrem
literarischen Ruhme. Früher war das Erscheinen eines Romans von Auerbach,
Spielhagen und andern Größen des Tages ein Ereigniß für die gebildete Welt,
welches auch in der Presse lebhaften Wiederhall fand. Heute nimmt man kaum
uoch mit einigen Zeilen Notiz davon: die eine Zeitung, weil sie selbst den
Roman gebracht hat und ihre Leser sich längst ein Urtheil darüber gebildet haben,
die andre Zeitung, weil sie den Roman nicht gebracht hat und deshalb ans leicht
begreiflichen Grunde so wenig Aufhebens wie möglich davon machen will. So
sind die letzten Arbeiten Spielhagens, „Sturmfluth," „Das Skelett im Hanse,"
„Quisisana," ziemlich spurlos vorübergegangen, Lcsefutter für eine der Ab¬
wechslung bedürftige Menge, die heute einen Liebling auf den Schild erhebt
und ihn morgen desto tiefer fallen läßt.

Auch „Angela" wäre nicht weit über den Kreis der Zeitungsleser hinans-
gedrungcn, wenn die königliche Staatsanwaltschaft in Berlin nicht auf ein Capitel
des Romans aufmerksam geworden wäre, durch welches ihr die öffentliche Sitt¬
lichkeit gefährdet erschien. Es wird in diesem Capitel allerdings eine Seene
zwischen zwei Damen geschildert, in welcher Gefühle zum Durchbruch kommen,
die eine bedenkliche Aehnlichkeit mit denjenigen haben, welche das Motiv zu
Adolphe Belots berüchtigten Roman Nkäomoisöllö (Urs,na, mu, thans her¬
gegeben haben. Aus dem Zusammenhange gerissen frappirt diese Stelle in der
That durch ihre wilde sinnliche Gluth, die über das Maß einer besonnenen
Schilderung weit hinansschlägt. Wer aber den Roman von Anfang an gelesen
hat und dann auf die incriminirte Stelle gerüth, der hat bereits eine so grünt-


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[0258] Spielhagens Angela. Abonnenten, was sie sich auch gelegentlich durch einen, vereidigten Bücherrevisor bescheinigen läßt, so daß man's glauben muß, fünf oder sechs andere treten hinzu, und wenn auch diese hinsichtlich ihrer Abonnentenzahl minder bevorzugt sind, so mag dadurch immerhin ein Publieum von 100,000 Lesern zusammengekommen sein, die Spielhagens neuesten Roman „Angela" aus erster Quelle gelesen haben. Die armen Leihbibliotheken! Wenn die Buchausgabe erscheint, beginnt viel¬ leicht schon die Veröffentlichung eines neuen Romans, und „Angela" findet als veraltet nur unwillige Abnehmer. Wer aber lauft das Buch? Eine kleine Minorität, die noch an dem alten Wahne hängt, daß ein Kunstwerk als Ganzes genossen werden muß. Dann, wenn das Glück gut ist, eine Anzahl von Reisenden, die sich unterwegs die Zeit verkürzen wollen. Nehmt aber die „Angela" nur nicht nach der Schweiz mit! Es stehen so fatale Geschichten drin, daß einem, der etwas abergläubisch ist, die ganze Schweizerreise verbittert werden kann. Auch den Hotelbesitzern am Genfer See ist die Auslage des Buches in ihren Lesezimmern nicht zu empfehlen, da dasselbe ein starkes Präjudiz gegen die Zuträglichkeit des dortigen Hvtcllebens erweckt. Im Laufe des zweiten Bandes tritt der Dichter nicht weniger als viermal hintereinander als Leichcnbitter auf. So vortheilhaft in materieller Beziehung jenes Hausirgeschäft in den Zei¬ tungen für die Romanschriftsteller sein mag, so wenig fördersam ist es ihrem literarischen Ruhme. Früher war das Erscheinen eines Romans von Auerbach, Spielhagen und andern Größen des Tages ein Ereigniß für die gebildete Welt, welches auch in der Presse lebhaften Wiederhall fand. Heute nimmt man kaum uoch mit einigen Zeilen Notiz davon: die eine Zeitung, weil sie selbst den Roman gebracht hat und ihre Leser sich längst ein Urtheil darüber gebildet haben, die andre Zeitung, weil sie den Roman nicht gebracht hat und deshalb ans leicht begreiflichen Grunde so wenig Aufhebens wie möglich davon machen will. So sind die letzten Arbeiten Spielhagens, „Sturmfluth," „Das Skelett im Hanse," „Quisisana," ziemlich spurlos vorübergegangen, Lcsefutter für eine der Ab¬ wechslung bedürftige Menge, die heute einen Liebling auf den Schild erhebt und ihn morgen desto tiefer fallen läßt. Auch „Angela" wäre nicht weit über den Kreis der Zeitungsleser hinans- gedrungcn, wenn die königliche Staatsanwaltschaft in Berlin nicht auf ein Capitel des Romans aufmerksam geworden wäre, durch welches ihr die öffentliche Sitt¬ lichkeit gefährdet erschien. Es wird in diesem Capitel allerdings eine Seene zwischen zwei Damen geschildert, in welcher Gefühle zum Durchbruch kommen, die eine bedenkliche Aehnlichkeit mit denjenigen haben, welche das Motiv zu Adolphe Belots berüchtigten Roman Nkäomoisöllö (Urs,na, mu, thans her¬ gegeben haben. Aus dem Zusammenhange gerissen frappirt diese Stelle in der That durch ihre wilde sinnliche Gluth, die über das Maß einer besonnenen Schilderung weit hinansschlägt. Wer aber den Roman von Anfang an gelesen hat und dann auf die incriminirte Stelle gerüth, der hat bereits eine so grünt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/258>, abgerufen am 14.05.2024.