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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Selbstmordes hat der Dichter nicht nachgewiesen, Angela hat die Liebe zu
Arnold Moor aus ihrem Herzen gerissen, und Verachtung ist an die Stelle
der Liebe getreten. Warum also die Katastrophe, da dem Seusatiousbedürfniß
der Leser durch andre gewaltsame Ereignisse reichlich genügt war?

Oder wollte der Dichter sagen: Weil die wüste Leidenschaft und nichts als
die Leidenschaft die Triebfeder aller Handlungen dieser Menschen ist und weil
sie kein ethisches Prineip leitet, verdienen sie kein besseres Loos als zu Grunde
zu gehen? Hat der Dichter das wirklich gewollt, so wäre es angezeigt gewesen,
seine Absicht etwas deutlicher auszudrücken. Wir fürchten aber, daß er die ver¬
zehrende Gewalt der Leidenschaft nur um ihrer selbst willen hat schildern wollen;
denn die Flammen lodern mit versengender Gluth aus deu Zeilen empor, und
die zahllosen Gedankenstriche lassen noch mehr ahnen, als der gar nicht spröde
und zurückhaltende Dichter schon verräth.




Partikularismus und Fortschritt.
Nach den Wahlen.

Daß in unsern Tagen Partikularismus "ud Fortschritt Hand in Hand
gehen, ist gerade nichts Neues. Auch liegen die Gründe für diese anscheinend
sonderbare Erscheinung nicht allzu tief. Denn ein starkes Reich bedroht dies
M' nodilo trAtrmn in seinen Herrschaftsgelüsten, und die genieinsame Gefahr
heißt -- Bismarck. Nicht als ob man fürchtete, daß der Reichskanzler das
Sozialistengesetz auf die Fvrtschrittler ausdehnen oder die Kleinstaaten plötzlich
anuektiren werde; nein, es ist nur die unbestimmte Furcht kleiner Geister vor
einem energischen, genialen Charakter, welche Demokraten und Ministerpygmäeu
gleichmäßig den Angstschweiß auspreßt.

Einen neuen drastischen Beleg für diesen Bund schöner Seelen liefern die
Reichstagswahlen in Hessen und, wenn wenn wir recht berichtet sind, auch in
Baden. Obwohl natürlich leidlich verborgen, war die ministerielle Begünstigung
der fortschrittlichen Kandidaten für einen geübten Beobachter doch unschwer zu
erkennen. So wurde es z. B. unbedenklich zugelassen, daß sich Beamte, vor¬
zugsweise Lehrer, an der fortschrittlichen Agitation betheiligten, und dadurch
natürlich der Schein erweckt, als sähe die Regierung den Sieg des fortschritt¬
liche Bewerbers gerne. Trat dagegen ein Beamter für einen auf den Namen
Bismarcks zu wählenden Kandidaten ans, so wurde ihm alsbald auf fortschritt¬
liche Denunciation durch in. x. Erlaß einer kleinstaatlichen Excellenz bemerkt,


Selbstmordes hat der Dichter nicht nachgewiesen, Angela hat die Liebe zu
Arnold Moor aus ihrem Herzen gerissen, und Verachtung ist an die Stelle
der Liebe getreten. Warum also die Katastrophe, da dem Seusatiousbedürfniß
der Leser durch andre gewaltsame Ereignisse reichlich genügt war?

Oder wollte der Dichter sagen: Weil die wüste Leidenschaft und nichts als
die Leidenschaft die Triebfeder aller Handlungen dieser Menschen ist und weil
sie kein ethisches Prineip leitet, verdienen sie kein besseres Loos als zu Grunde
zu gehen? Hat der Dichter das wirklich gewollt, so wäre es angezeigt gewesen,
seine Absicht etwas deutlicher auszudrücken. Wir fürchten aber, daß er die ver¬
zehrende Gewalt der Leidenschaft nur um ihrer selbst willen hat schildern wollen;
denn die Flammen lodern mit versengender Gluth aus deu Zeilen empor, und
die zahllosen Gedankenstriche lassen noch mehr ahnen, als der gar nicht spröde
und zurückhaltende Dichter schon verräth.




Partikularismus und Fortschritt.
Nach den Wahlen.

Daß in unsern Tagen Partikularismus »ud Fortschritt Hand in Hand
gehen, ist gerade nichts Neues. Auch liegen die Gründe für diese anscheinend
sonderbare Erscheinung nicht allzu tief. Denn ein starkes Reich bedroht dies
M' nodilo trAtrmn in seinen Herrschaftsgelüsten, und die genieinsame Gefahr
heißt — Bismarck. Nicht als ob man fürchtete, daß der Reichskanzler das
Sozialistengesetz auf die Fvrtschrittler ausdehnen oder die Kleinstaaten plötzlich
anuektiren werde; nein, es ist nur die unbestimmte Furcht kleiner Geister vor
einem energischen, genialen Charakter, welche Demokraten und Ministerpygmäeu
gleichmäßig den Angstschweiß auspreßt.

Einen neuen drastischen Beleg für diesen Bund schöner Seelen liefern die
Reichstagswahlen in Hessen und, wenn wenn wir recht berichtet sind, auch in
Baden. Obwohl natürlich leidlich verborgen, war die ministerielle Begünstigung
der fortschrittlichen Kandidaten für einen geübten Beobachter doch unschwer zu
erkennen. So wurde es z. B. unbedenklich zugelassen, daß sich Beamte, vor¬
zugsweise Lehrer, an der fortschrittlichen Agitation betheiligten, und dadurch
natürlich der Schein erweckt, als sähe die Regierung den Sieg des fortschritt¬
liche Bewerbers gerne. Trat dagegen ein Beamter für einen auf den Namen
Bismarcks zu wählenden Kandidaten ans, so wurde ihm alsbald auf fortschritt¬
liche Denunciation durch in. x. Erlaß einer kleinstaatlichen Excellenz bemerkt,


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[0261] Selbstmordes hat der Dichter nicht nachgewiesen, Angela hat die Liebe zu Arnold Moor aus ihrem Herzen gerissen, und Verachtung ist an die Stelle der Liebe getreten. Warum also die Katastrophe, da dem Seusatiousbedürfniß der Leser durch andre gewaltsame Ereignisse reichlich genügt war? Oder wollte der Dichter sagen: Weil die wüste Leidenschaft und nichts als die Leidenschaft die Triebfeder aller Handlungen dieser Menschen ist und weil sie kein ethisches Prineip leitet, verdienen sie kein besseres Loos als zu Grunde zu gehen? Hat der Dichter das wirklich gewollt, so wäre es angezeigt gewesen, seine Absicht etwas deutlicher auszudrücken. Wir fürchten aber, daß er die ver¬ zehrende Gewalt der Leidenschaft nur um ihrer selbst willen hat schildern wollen; denn die Flammen lodern mit versengender Gluth aus deu Zeilen empor, und die zahllosen Gedankenstriche lassen noch mehr ahnen, als der gar nicht spröde und zurückhaltende Dichter schon verräth. Partikularismus und Fortschritt. Nach den Wahlen. Daß in unsern Tagen Partikularismus »ud Fortschritt Hand in Hand gehen, ist gerade nichts Neues. Auch liegen die Gründe für diese anscheinend sonderbare Erscheinung nicht allzu tief. Denn ein starkes Reich bedroht dies M' nodilo trAtrmn in seinen Herrschaftsgelüsten, und die genieinsame Gefahr heißt — Bismarck. Nicht als ob man fürchtete, daß der Reichskanzler das Sozialistengesetz auf die Fvrtschrittler ausdehnen oder die Kleinstaaten plötzlich anuektiren werde; nein, es ist nur die unbestimmte Furcht kleiner Geister vor einem energischen, genialen Charakter, welche Demokraten und Ministerpygmäeu gleichmäßig den Angstschweiß auspreßt. Einen neuen drastischen Beleg für diesen Bund schöner Seelen liefern die Reichstagswahlen in Hessen und, wenn wenn wir recht berichtet sind, auch in Baden. Obwohl natürlich leidlich verborgen, war die ministerielle Begünstigung der fortschrittlichen Kandidaten für einen geübten Beobachter doch unschwer zu erkennen. So wurde es z. B. unbedenklich zugelassen, daß sich Beamte, vor¬ zugsweise Lehrer, an der fortschrittlichen Agitation betheiligten, und dadurch natürlich der Schein erweckt, als sähe die Regierung den Sieg des fortschritt¬ liche Bewerbers gerne. Trat dagegen ein Beamter für einen auf den Namen Bismarcks zu wählenden Kandidaten ans, so wurde ihm alsbald auf fortschritt¬ liche Denunciation durch in. x. Erlaß einer kleinstaatlichen Excellenz bemerkt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/261>, abgerufen am 30.05.2024.