Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler.

tritt Wiederhole, und nachdem es erklärt hat, auch die klerikale Partei wisse die
Verdienste und Kräfte des Fürsten zu schätzen, fährt es fort: "Wir stehen noch
inmitten des Culturkampfes, dessen oberster Befehlshaber er war; wir wissen,
was der Kanzler gegen uns gethan hat und geschehen ließ, ja wir suhlen es
täglich uoch. Aber niemals haben wir in den Ruf: "Fort mit Bismarck!" ein¬
gestimmt und thun es jetzt erst recht nicht. Nicht aus Furcht oder Eigennutz;
denn wir haben Vertrauen im Ueberfluß zu unsrer Sache, sondern einfach aus
der klaren Erkenntniß, daß Fürst Bismarck jetzt mehr wie je der Mann der
Situation ist, dessen starke Hand die Nation nicht entbehren kann. Aus dieser
Erkenntniß folgt aber keineswegs, daß wir geneigt wären, die "Rolle der na¬
tionalliberalen Partei" zu übernehmen; aber es folgt daraus der Entschluß,
daß wir den Reichskanzler in allen seinen Reformbestrebungen, welche nach unsrer
Ueberzeugung zum Heile der Nation gereichen, ehrlich unterstützen, ohne Hinter¬
list und Selbstsucht, aber auch ohne Aufgabe unsrer vollen ungeschmälerten
Selbständigkeit und Freiheit. Der Kanzler hat bisher die Unterstützung des
Centrums verschmäht bis auf die Ausnahme im Jahre 1879. Im folgenden
Jahre sagte er sich wieder vom Centrum los; aber unsre Freunde im Parla¬
mente haben daraus keineswegs Anlaß zu irgendwelcher Annäherung an die
systematische Opposition genommen. Sie sind ihrem alten Systeme der objec¬
tiven, rein sachlichen Prüfung damals treu geblieben und werden es jetzt um so
lieber thun, wenn der Kanzler ihnen endlich die Rücksichten zollt, welche sie ver¬
dienen. . . Wenn er die Hand des Centrums ergreift, so gehorcht er zunächst
der Noth, nicht dem eignen Triebe. Deshalb wird er auch die erste beste Ge¬
legenheit benutzen wollen, um sich von der Rücksichtnahme auf das Centrum
wieder frei zu machen. Das steht längst in unserm politischen Calcül, hindert
uns aber gar nicht, zur Ueberwindung der augenblicklichen Schwierigkeiten das
Unsrige redlich beizutragen. . . Wir wollen das Land vor der liberalen Herr¬
schaft bewahren und die Vorbereitungen treffen zu der conservativen Politik der
Zukunft. Letztere ist erst möglich nach gründlicher Beendigung des Cultur¬
kampfes."

Wäre das aufrichtig und ohne Hintergedanken gemeint, so ließe sich hoffen.
Zwar kein fester Anschluß, aber Unterstützung von Fall zu Fall, vielleicht in
vielen Fällen, gewiß in den nächsten, bei den "augenblicklichen Schwierigkeiten,"
das wäre unter dem Vorbehalt, ähnlich zu verfahren, wohl acceptabel. Es
blieben dann nur noch einige Fragen zu beantworten. Was sind die Rück¬
sichten, welche die Freunde der "Germania" im Parlamente verdienen, und welche
der Kanzler ihnen zollen soll? Was ist unter der conservativen Politik der
Zukunft zu verstehen? Was heißt gründliche Beendigung des Cülturkampfes?
Von der Beantwortung dieser Fragen hängt alles ab.

Der Reichskanzler ist in Berlin eingetroffen. Die nächste Woche muß
Klarheit in die Situation bringen. Wir erwarten nicht, daß der Fürst zurück-


Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler.

tritt Wiederhole, und nachdem es erklärt hat, auch die klerikale Partei wisse die
Verdienste und Kräfte des Fürsten zu schätzen, fährt es fort: „Wir stehen noch
inmitten des Culturkampfes, dessen oberster Befehlshaber er war; wir wissen,
was der Kanzler gegen uns gethan hat und geschehen ließ, ja wir suhlen es
täglich uoch. Aber niemals haben wir in den Ruf: »Fort mit Bismarck!« ein¬
gestimmt und thun es jetzt erst recht nicht. Nicht aus Furcht oder Eigennutz;
denn wir haben Vertrauen im Ueberfluß zu unsrer Sache, sondern einfach aus
der klaren Erkenntniß, daß Fürst Bismarck jetzt mehr wie je der Mann der
Situation ist, dessen starke Hand die Nation nicht entbehren kann. Aus dieser
Erkenntniß folgt aber keineswegs, daß wir geneigt wären, die »Rolle der na¬
tionalliberalen Partei« zu übernehmen; aber es folgt daraus der Entschluß,
daß wir den Reichskanzler in allen seinen Reformbestrebungen, welche nach unsrer
Ueberzeugung zum Heile der Nation gereichen, ehrlich unterstützen, ohne Hinter¬
list und Selbstsucht, aber auch ohne Aufgabe unsrer vollen ungeschmälerten
Selbständigkeit und Freiheit. Der Kanzler hat bisher die Unterstützung des
Centrums verschmäht bis auf die Ausnahme im Jahre 1879. Im folgenden
Jahre sagte er sich wieder vom Centrum los; aber unsre Freunde im Parla¬
mente haben daraus keineswegs Anlaß zu irgendwelcher Annäherung an die
systematische Opposition genommen. Sie sind ihrem alten Systeme der objec¬
tiven, rein sachlichen Prüfung damals treu geblieben und werden es jetzt um so
lieber thun, wenn der Kanzler ihnen endlich die Rücksichten zollt, welche sie ver¬
dienen. . . Wenn er die Hand des Centrums ergreift, so gehorcht er zunächst
der Noth, nicht dem eignen Triebe. Deshalb wird er auch die erste beste Ge¬
legenheit benutzen wollen, um sich von der Rücksichtnahme auf das Centrum
wieder frei zu machen. Das steht längst in unserm politischen Calcül, hindert
uns aber gar nicht, zur Ueberwindung der augenblicklichen Schwierigkeiten das
Unsrige redlich beizutragen. . . Wir wollen das Land vor der liberalen Herr¬
schaft bewahren und die Vorbereitungen treffen zu der conservativen Politik der
Zukunft. Letztere ist erst möglich nach gründlicher Beendigung des Cultur¬
kampfes."

Wäre das aufrichtig und ohne Hintergedanken gemeint, so ließe sich hoffen.
Zwar kein fester Anschluß, aber Unterstützung von Fall zu Fall, vielleicht in
vielen Fällen, gewiß in den nächsten, bei den „augenblicklichen Schwierigkeiten,"
das wäre unter dem Vorbehalt, ähnlich zu verfahren, wohl acceptabel. Es
blieben dann nur noch einige Fragen zu beantworten. Was sind die Rück¬
sichten, welche die Freunde der „Germania" im Parlamente verdienen, und welche
der Kanzler ihnen zollen soll? Was ist unter der conservativen Politik der
Zukunft zu verstehen? Was heißt gründliche Beendigung des Cülturkampfes?
Von der Beantwortung dieser Fragen hängt alles ab.

Der Reichskanzler ist in Berlin eingetroffen. Die nächste Woche muß
Klarheit in die Situation bringen. Wir erwarten nicht, daß der Fürst zurück-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151034"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1046" prev="#ID_1045"> tritt Wiederhole, und nachdem es erklärt hat, auch die klerikale Partei wisse die<lb/>
Verdienste und Kräfte des Fürsten zu schätzen, fährt es fort: &#x201E;Wir stehen noch<lb/>
inmitten des Culturkampfes, dessen oberster Befehlshaber er war; wir wissen,<lb/>
was der Kanzler gegen uns gethan hat und geschehen ließ, ja wir suhlen es<lb/>
täglich uoch. Aber niemals haben wir in den Ruf: »Fort mit Bismarck!« ein¬<lb/>
gestimmt und thun es jetzt erst recht nicht. Nicht aus Furcht oder Eigennutz;<lb/>
denn wir haben Vertrauen im Ueberfluß zu unsrer Sache, sondern einfach aus<lb/>
der klaren Erkenntniß, daß Fürst Bismarck jetzt mehr wie je der Mann der<lb/>
Situation ist, dessen starke Hand die Nation nicht entbehren kann. Aus dieser<lb/>
Erkenntniß folgt aber keineswegs, daß wir geneigt wären, die »Rolle der na¬<lb/>
tionalliberalen Partei« zu übernehmen; aber es folgt daraus der Entschluß,<lb/>
daß wir den Reichskanzler in allen seinen Reformbestrebungen, welche nach unsrer<lb/>
Ueberzeugung zum Heile der Nation gereichen, ehrlich unterstützen, ohne Hinter¬<lb/>
list und Selbstsucht, aber auch ohne Aufgabe unsrer vollen ungeschmälerten<lb/>
Selbständigkeit und Freiheit. Der Kanzler hat bisher die Unterstützung des<lb/>
Centrums verschmäht bis auf die Ausnahme im Jahre 1879. Im folgenden<lb/>
Jahre sagte er sich wieder vom Centrum los; aber unsre Freunde im Parla¬<lb/>
mente haben daraus keineswegs Anlaß zu irgendwelcher Annäherung an die<lb/>
systematische Opposition genommen. Sie sind ihrem alten Systeme der objec¬<lb/>
tiven, rein sachlichen Prüfung damals treu geblieben und werden es jetzt um so<lb/>
lieber thun, wenn der Kanzler ihnen endlich die Rücksichten zollt, welche sie ver¬<lb/>
dienen. . . Wenn er die Hand des Centrums ergreift, so gehorcht er zunächst<lb/>
der Noth, nicht dem eignen Triebe. Deshalb wird er auch die erste beste Ge¬<lb/>
legenheit benutzen wollen, um sich von der Rücksichtnahme auf das Centrum<lb/>
wieder frei zu machen. Das steht längst in unserm politischen Calcül, hindert<lb/>
uns aber gar nicht, zur Ueberwindung der augenblicklichen Schwierigkeiten das<lb/>
Unsrige redlich beizutragen. . . Wir wollen das Land vor der liberalen Herr¬<lb/>
schaft bewahren und die Vorbereitungen treffen zu der conservativen Politik der<lb/>
Zukunft. Letztere ist erst möglich nach gründlicher Beendigung des Cultur¬<lb/>
kampfes."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1047"> Wäre das aufrichtig und ohne Hintergedanken gemeint, so ließe sich hoffen.<lb/>
Zwar kein fester Anschluß, aber Unterstützung von Fall zu Fall, vielleicht in<lb/>
vielen Fällen, gewiß in den nächsten, bei den &#x201E;augenblicklichen Schwierigkeiten,"<lb/>
das wäre unter dem Vorbehalt, ähnlich zu verfahren, wohl acceptabel. Es<lb/>
blieben dann nur noch einige Fragen zu beantworten. Was sind die Rück¬<lb/>
sichten, welche die Freunde der &#x201E;Germania" im Parlamente verdienen, und welche<lb/>
der Kanzler ihnen zollen soll? Was ist unter der conservativen Politik der<lb/>
Zukunft zu verstehen? Was heißt gründliche Beendigung des Cülturkampfes?<lb/>
Von der Beantwortung dieser Fragen hängt alles ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1048" next="#ID_1049"> Der Reichskanzler ist in Berlin eingetroffen. Die nächste Woche muß<lb/>
Klarheit in die Situation bringen. Wir erwarten nicht, daß der Fürst zurück-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler. tritt Wiederhole, und nachdem es erklärt hat, auch die klerikale Partei wisse die Verdienste und Kräfte des Fürsten zu schätzen, fährt es fort: „Wir stehen noch inmitten des Culturkampfes, dessen oberster Befehlshaber er war; wir wissen, was der Kanzler gegen uns gethan hat und geschehen ließ, ja wir suhlen es täglich uoch. Aber niemals haben wir in den Ruf: »Fort mit Bismarck!« ein¬ gestimmt und thun es jetzt erst recht nicht. Nicht aus Furcht oder Eigennutz; denn wir haben Vertrauen im Ueberfluß zu unsrer Sache, sondern einfach aus der klaren Erkenntniß, daß Fürst Bismarck jetzt mehr wie je der Mann der Situation ist, dessen starke Hand die Nation nicht entbehren kann. Aus dieser Erkenntniß folgt aber keineswegs, daß wir geneigt wären, die »Rolle der na¬ tionalliberalen Partei« zu übernehmen; aber es folgt daraus der Entschluß, daß wir den Reichskanzler in allen seinen Reformbestrebungen, welche nach unsrer Ueberzeugung zum Heile der Nation gereichen, ehrlich unterstützen, ohne Hinter¬ list und Selbstsucht, aber auch ohne Aufgabe unsrer vollen ungeschmälerten Selbständigkeit und Freiheit. Der Kanzler hat bisher die Unterstützung des Centrums verschmäht bis auf die Ausnahme im Jahre 1879. Im folgenden Jahre sagte er sich wieder vom Centrum los; aber unsre Freunde im Parla¬ mente haben daraus keineswegs Anlaß zu irgendwelcher Annäherung an die systematische Opposition genommen. Sie sind ihrem alten Systeme der objec¬ tiven, rein sachlichen Prüfung damals treu geblieben und werden es jetzt um so lieber thun, wenn der Kanzler ihnen endlich die Rücksichten zollt, welche sie ver¬ dienen. . . Wenn er die Hand des Centrums ergreift, so gehorcht er zunächst der Noth, nicht dem eignen Triebe. Deshalb wird er auch die erste beste Ge¬ legenheit benutzen wollen, um sich von der Rücksichtnahme auf das Centrum wieder frei zu machen. Das steht längst in unserm politischen Calcül, hindert uns aber gar nicht, zur Ueberwindung der augenblicklichen Schwierigkeiten das Unsrige redlich beizutragen. . . Wir wollen das Land vor der liberalen Herr¬ schaft bewahren und die Vorbereitungen treffen zu der conservativen Politik der Zukunft. Letztere ist erst möglich nach gründlicher Beendigung des Cultur¬ kampfes." Wäre das aufrichtig und ohne Hintergedanken gemeint, so ließe sich hoffen. Zwar kein fester Anschluß, aber Unterstützung von Fall zu Fall, vielleicht in vielen Fällen, gewiß in den nächsten, bei den „augenblicklichen Schwierigkeiten," das wäre unter dem Vorbehalt, ähnlich zu verfahren, wohl acceptabel. Es blieben dann nur noch einige Fragen zu beantworten. Was sind die Rück¬ sichten, welche die Freunde der „Germania" im Parlamente verdienen, und welche der Kanzler ihnen zollen soll? Was ist unter der conservativen Politik der Zukunft zu verstehen? Was heißt gründliche Beendigung des Cülturkampfes? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt alles ab. Der Reichskanzler ist in Berlin eingetroffen. Die nächste Woche muß Klarheit in die Situation bringen. Wir erwarten nicht, daß der Fürst zurück-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/312>, abgerufen am 15.05.2024.