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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Rubens in Italien.

deutlichste verräth, wie sehr Giulio Romanos Fresken auf den jungen Maler
wirkten.

Während die Transfiguration spurlos verschwunden ist, ist die Taufe Christi
nach mannichfachen Schicksalen neuerdings wieder zum Vorschein gekommen. Sie
hatte durch die Feuchtigkeit in der Kirche so sehr gelitten, daß sie unansehnlich
geworden war und daß man sie infolge dessen an Mailänder Handelsleute ver¬
kaufte. Später kam sie nach den Niederlanden in die Sammlung des Herrn
Schamp van Aveschoot in Gent, wo sie bis zum Verkaufe der Sammlung im
Jahre 1840 blieb, und schließlich besaß sie Herr Joseph de Vom in Antwerpen,
welcher sie dem Museum seiner Vaterstadt vermachte, wo sie vor einigen Jahren
eine würdige und dauernde Stelle gefunden hat. Trotz seines ruinenhaften Zu¬
standes ist das Gemälde außerordentlich lehrreich für die Erkenntniß der Ele¬
mente, aus denen sich der Rubensstil zusammengesetzt hat. Die Composition
ist keineswegs einheitlich und geschlossen, sondern zerfällt in zwei ungleiche Hälften,
die durch einen großen Baum getheilt sind. Links steht Christus im Jordan,
von zwei Jünglingsengeln, welche ihm das weiße Lendentuch abnehmen wollen,
und einem Cherub umschwebt. Er neigt andächtig sein Haupt, um das Wasser
zu empfangen, welches Johannes darüber ausgießen will. Auf der rechten Seite
sieht man am Ufer sechs Männer in lebhafter, energischer Bewegung, die sich
auskleiden, um auch ihrerseits die Taufe zu empfangen. Während die linke
Seite nach Rooses' treffender Beobachtung frei der Taufe Raphaels in der drei¬
zehnten Arkade der Loggien des Vaticans nachgebildet ist, wurde die rechte Seite
stark von dem Carton der badenden Soldaten beeinflußt, welchen Michelangelo
im Wetteifer mit Lionardos Schlacht bei Anghiari anfertigte. Auch dieser Carton,
eine Seine aus den Kämpfen der Pisaner gegen die Florentiner, ist gleich dem
Meisterwerke Lionardos zu Grunde gegangen. Indessen befanden sich im Jahre
157S einige Fragmente desselben im Besitze der Familie Strozzi in Mantua,
und es ist daher möglich, daß Rubens diese oder Copien darnach zu Gesicht be¬
kommen hat. Auch kann er Stiche Marc Antons benutzt haben, welcher einige
Figuren des Cartons und zwar gerade diejenigen, welche Rubens inspirirter,
copirt hat. Aber auch über die Farbe läßt sich trotz der störenden Ueber-
malungen noch ein Urtheil fällen. In dem rothbraunen Tone des Fleisches
zeigt sich ebenso deutlich wie auf den in Mantua gebliebenen Trümmern der
combinirte Einfluß Tiutorettos und Giulio Romanos. Wir besitzen also ein
zuverlässiges Document über das Stadium der Entwicklung, in welchem sich
Rubens während des Jahres 1604 befand.

Mit welcher Sorgfalt er übrigens das große Werk ausführte, beweist eine
fleißige Zeichnung in schwarzer Kreide auf grauem Papier für diese Taufe, welche
das Louvre besitzt. Auf derselben ist die Composition bereits endgiltig festge¬
stellt, sie hat dem Künstler als Hilfsmittel für die Ausführung gedient. Das
Blatt ist nämlich mit 576 Quadraten überzogen -- 18 in der Höhe und 32 in


Rubens in Italien.

deutlichste verräth, wie sehr Giulio Romanos Fresken auf den jungen Maler
wirkten.

Während die Transfiguration spurlos verschwunden ist, ist die Taufe Christi
nach mannichfachen Schicksalen neuerdings wieder zum Vorschein gekommen. Sie
hatte durch die Feuchtigkeit in der Kirche so sehr gelitten, daß sie unansehnlich
geworden war und daß man sie infolge dessen an Mailänder Handelsleute ver¬
kaufte. Später kam sie nach den Niederlanden in die Sammlung des Herrn
Schamp van Aveschoot in Gent, wo sie bis zum Verkaufe der Sammlung im
Jahre 1840 blieb, und schließlich besaß sie Herr Joseph de Vom in Antwerpen,
welcher sie dem Museum seiner Vaterstadt vermachte, wo sie vor einigen Jahren
eine würdige und dauernde Stelle gefunden hat. Trotz seines ruinenhaften Zu¬
standes ist das Gemälde außerordentlich lehrreich für die Erkenntniß der Ele¬
mente, aus denen sich der Rubensstil zusammengesetzt hat. Die Composition
ist keineswegs einheitlich und geschlossen, sondern zerfällt in zwei ungleiche Hälften,
die durch einen großen Baum getheilt sind. Links steht Christus im Jordan,
von zwei Jünglingsengeln, welche ihm das weiße Lendentuch abnehmen wollen,
und einem Cherub umschwebt. Er neigt andächtig sein Haupt, um das Wasser
zu empfangen, welches Johannes darüber ausgießen will. Auf der rechten Seite
sieht man am Ufer sechs Männer in lebhafter, energischer Bewegung, die sich
auskleiden, um auch ihrerseits die Taufe zu empfangen. Während die linke
Seite nach Rooses' treffender Beobachtung frei der Taufe Raphaels in der drei¬
zehnten Arkade der Loggien des Vaticans nachgebildet ist, wurde die rechte Seite
stark von dem Carton der badenden Soldaten beeinflußt, welchen Michelangelo
im Wetteifer mit Lionardos Schlacht bei Anghiari anfertigte. Auch dieser Carton,
eine Seine aus den Kämpfen der Pisaner gegen die Florentiner, ist gleich dem
Meisterwerke Lionardos zu Grunde gegangen. Indessen befanden sich im Jahre
157S einige Fragmente desselben im Besitze der Familie Strozzi in Mantua,
und es ist daher möglich, daß Rubens diese oder Copien darnach zu Gesicht be¬
kommen hat. Auch kann er Stiche Marc Antons benutzt haben, welcher einige
Figuren des Cartons und zwar gerade diejenigen, welche Rubens inspirirter,
copirt hat. Aber auch über die Farbe läßt sich trotz der störenden Ueber-
malungen noch ein Urtheil fällen. In dem rothbraunen Tone des Fleisches
zeigt sich ebenso deutlich wie auf den in Mantua gebliebenen Trümmern der
combinirte Einfluß Tiutorettos und Giulio Romanos. Wir besitzen also ein
zuverlässiges Document über das Stadium der Entwicklung, in welchem sich
Rubens während des Jahres 1604 befand.

Mit welcher Sorgfalt er übrigens das große Werk ausführte, beweist eine
fleißige Zeichnung in schwarzer Kreide auf grauem Papier für diese Taufe, welche
das Louvre besitzt. Auf derselben ist die Composition bereits endgiltig festge¬
stellt, sie hat dem Künstler als Hilfsmittel für die Ausführung gedient. Das
Blatt ist nämlich mit 576 Quadraten überzogen — 18 in der Höhe und 32 in


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[0329] Rubens in Italien. deutlichste verräth, wie sehr Giulio Romanos Fresken auf den jungen Maler wirkten. Während die Transfiguration spurlos verschwunden ist, ist die Taufe Christi nach mannichfachen Schicksalen neuerdings wieder zum Vorschein gekommen. Sie hatte durch die Feuchtigkeit in der Kirche so sehr gelitten, daß sie unansehnlich geworden war und daß man sie infolge dessen an Mailänder Handelsleute ver¬ kaufte. Später kam sie nach den Niederlanden in die Sammlung des Herrn Schamp van Aveschoot in Gent, wo sie bis zum Verkaufe der Sammlung im Jahre 1840 blieb, und schließlich besaß sie Herr Joseph de Vom in Antwerpen, welcher sie dem Museum seiner Vaterstadt vermachte, wo sie vor einigen Jahren eine würdige und dauernde Stelle gefunden hat. Trotz seines ruinenhaften Zu¬ standes ist das Gemälde außerordentlich lehrreich für die Erkenntniß der Ele¬ mente, aus denen sich der Rubensstil zusammengesetzt hat. Die Composition ist keineswegs einheitlich und geschlossen, sondern zerfällt in zwei ungleiche Hälften, die durch einen großen Baum getheilt sind. Links steht Christus im Jordan, von zwei Jünglingsengeln, welche ihm das weiße Lendentuch abnehmen wollen, und einem Cherub umschwebt. Er neigt andächtig sein Haupt, um das Wasser zu empfangen, welches Johannes darüber ausgießen will. Auf der rechten Seite sieht man am Ufer sechs Männer in lebhafter, energischer Bewegung, die sich auskleiden, um auch ihrerseits die Taufe zu empfangen. Während die linke Seite nach Rooses' treffender Beobachtung frei der Taufe Raphaels in der drei¬ zehnten Arkade der Loggien des Vaticans nachgebildet ist, wurde die rechte Seite stark von dem Carton der badenden Soldaten beeinflußt, welchen Michelangelo im Wetteifer mit Lionardos Schlacht bei Anghiari anfertigte. Auch dieser Carton, eine Seine aus den Kämpfen der Pisaner gegen die Florentiner, ist gleich dem Meisterwerke Lionardos zu Grunde gegangen. Indessen befanden sich im Jahre 157S einige Fragmente desselben im Besitze der Familie Strozzi in Mantua, und es ist daher möglich, daß Rubens diese oder Copien darnach zu Gesicht be¬ kommen hat. Auch kann er Stiche Marc Antons benutzt haben, welcher einige Figuren des Cartons und zwar gerade diejenigen, welche Rubens inspirirter, copirt hat. Aber auch über die Farbe läßt sich trotz der störenden Ueber- malungen noch ein Urtheil fällen. In dem rothbraunen Tone des Fleisches zeigt sich ebenso deutlich wie auf den in Mantua gebliebenen Trümmern der combinirte Einfluß Tiutorettos und Giulio Romanos. Wir besitzen also ein zuverlässiges Document über das Stadium der Entwicklung, in welchem sich Rubens während des Jahres 1604 befand. Mit welcher Sorgfalt er übrigens das große Werk ausführte, beweist eine fleißige Zeichnung in schwarzer Kreide auf grauem Papier für diese Taufe, welche das Louvre besitzt. Auf derselben ist die Composition bereits endgiltig festge¬ stellt, sie hat dem Künstler als Hilfsmittel für die Ausführung gedient. Das Blatt ist nämlich mit 576 Quadraten überzogen — 18 in der Höhe und 32 in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/329>, abgerufen am 14.05.2024.