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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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vom literarischen Longreß in Wien.

aber war der Held für die weitere Dauer des Congresses -- mit einer kurzen
Unterbrechung.

In die Festwoche fiel nämlich der Geburtstag Heinrich Laubes, er wurde
durch eine Deputation beglückwünscht, und als die- Internationalen ihre erste
Sitzung hielten, kam das Geburtstagskind -- ganz zufällig natürlich -- erst
als die Verhandlungen schon in vollem Gange waren. Wie man einen beliebten
Schauspieler bei seinem Auftreten, ohne Rücksicht auf die Dichtung, mit Hände¬
klatschen begrüßt, so durchbrach beim Auftreten des alten Theaterdircctors der
Applaus den Bericht des Herrn Lermina, welcher soeben auseinandersetzte, daß
die Gründung eines internationalen Lesecabinets in Paris ein Bedürfniß der
fortschreitenden Civilisation sei -- und feierlich wurde'der Ankömmling zum
Ehrenplatz geleitet. So weit hatte es doch weder Bodenstedt noch Lazarus
gebracht.

Auch uicht Don Juan Fastenrath, Ehrenspanicr aus Köln, der eine be¬
sondre Auszeichnung wohl verdient hätte. Es ist unfaßbar, daß die Mitthei¬
lungen dieses Schriftstellers nicht wenigstens eine Hauffe an allen Börsen ver¬
anlaßt haben. Denn er berichtete aus bester Quelle, nämlich aus dem Munde
eines (wie es scheint "ungenannt bleiben wollenden") französischen Literaten,
welcher an dem Calderonfeste in Madrid theilgenommen hatte, daß "die frän¬
kische Republik Frieden wolle mit allen Brettern, auch mit den deutschen
Brüdern." Und bei dieser Versicherung war es nicht geblieben. Don Juan
Fastenrath, el" kluger Politiker, hatte den französischen Bruder sofort durch
awer öffentlichen, feierlichen Bruderkuß verpflichtet und den Bund besiegelt.
Folglich können wir jetzt ruhig der Zukunft entgegensehen, das stehende Heer
abschaffen und die Festungen schleifen. Doch Don Juan Fastenrath hatte noch
mehr in seinem Säckel, ein Sendschreiben eines echten Spaniers und großen
Staatsmannes, des Don Emilio Castelar, welcher sich über die antisemitische
Bewegung in Deutschland tief bekümmert zeigt. Er glaubt, dieselbe sei gegen
die Gewissensfreiheit gerichtet, und prophezeit, daß Deutschland, "wenn es sich
einen Paladin der religiösen Intoleranz verwandeln würde, um seinem Ur¬
sprung untreu zu werden und einen Meineid an seinen Ideen zu begehen, gar
bald vom Planeten verschwinden werde, wie alle selbstmörderischen Nationen."
Als diese Worte verlesen worden waren, bemerkte jemand in meiner Nachbar¬
schaft, es sei von Herrn Castelar eine Unverschämtheit, sich in fremde Angelegen¬
sten zu mischen, über die er sich so mangelhaft unterrichtet habe, wie seine
Verwechslung einer socialen und Racenfrage mit einer religiösen beweise. Und
was den kölnischen Sancho Pansa dieses neuen Don Quixote betreffe, so --
°"es ich will mich nicht zum Verbreiter so unehrerbietigcr Aeußerungen machen,
^"es war die große Majorität der Anwesenden ganz entgegengesetzter Ansicht.
5le spendete enthusiastische" Beifall, und in engerm Cirkel wurde sogleich be¬
schlösse", die Höflichkeit durch Absendung einer Adresse an Castelar zu erwiedern.


vom literarischen Longreß in Wien.

aber war der Held für die weitere Dauer des Congresses — mit einer kurzen
Unterbrechung.

In die Festwoche fiel nämlich der Geburtstag Heinrich Laubes, er wurde
durch eine Deputation beglückwünscht, und als die- Internationalen ihre erste
Sitzung hielten, kam das Geburtstagskind — ganz zufällig natürlich — erst
als die Verhandlungen schon in vollem Gange waren. Wie man einen beliebten
Schauspieler bei seinem Auftreten, ohne Rücksicht auf die Dichtung, mit Hände¬
klatschen begrüßt, so durchbrach beim Auftreten des alten Theaterdircctors der
Applaus den Bericht des Herrn Lermina, welcher soeben auseinandersetzte, daß
die Gründung eines internationalen Lesecabinets in Paris ein Bedürfniß der
fortschreitenden Civilisation sei — und feierlich wurde'der Ankömmling zum
Ehrenplatz geleitet. So weit hatte es doch weder Bodenstedt noch Lazarus
gebracht.

Auch uicht Don Juan Fastenrath, Ehrenspanicr aus Köln, der eine be¬
sondre Auszeichnung wohl verdient hätte. Es ist unfaßbar, daß die Mitthei¬
lungen dieses Schriftstellers nicht wenigstens eine Hauffe an allen Börsen ver¬
anlaßt haben. Denn er berichtete aus bester Quelle, nämlich aus dem Munde
eines (wie es scheint „ungenannt bleiben wollenden") französischen Literaten,
welcher an dem Calderonfeste in Madrid theilgenommen hatte, daß „die frän¬
kische Republik Frieden wolle mit allen Brettern, auch mit den deutschen
Brüdern." Und bei dieser Versicherung war es nicht geblieben. Don Juan
Fastenrath, el» kluger Politiker, hatte den französischen Bruder sofort durch
awer öffentlichen, feierlichen Bruderkuß verpflichtet und den Bund besiegelt.
Folglich können wir jetzt ruhig der Zukunft entgegensehen, das stehende Heer
abschaffen und die Festungen schleifen. Doch Don Juan Fastenrath hatte noch
mehr in seinem Säckel, ein Sendschreiben eines echten Spaniers und großen
Staatsmannes, des Don Emilio Castelar, welcher sich über die antisemitische
Bewegung in Deutschland tief bekümmert zeigt. Er glaubt, dieselbe sei gegen
die Gewissensfreiheit gerichtet, und prophezeit, daß Deutschland, „wenn es sich
einen Paladin der religiösen Intoleranz verwandeln würde, um seinem Ur¬
sprung untreu zu werden und einen Meineid an seinen Ideen zu begehen, gar
bald vom Planeten verschwinden werde, wie alle selbstmörderischen Nationen."
Als diese Worte verlesen worden waren, bemerkte jemand in meiner Nachbar¬
schaft, es sei von Herrn Castelar eine Unverschämtheit, sich in fremde Angelegen¬
sten zu mischen, über die er sich so mangelhaft unterrichtet habe, wie seine
Verwechslung einer socialen und Racenfrage mit einer religiösen beweise. Und
was den kölnischen Sancho Pansa dieses neuen Don Quixote betreffe, so —
°"es ich will mich nicht zum Verbreiter so unehrerbietigcr Aeußerungen machen,
^"es war die große Majorität der Anwesenden ganz entgegengesetzter Ansicht.
5le spendete enthusiastische» Beifall, und in engerm Cirkel wurde sogleich be¬
schlösse», die Höflichkeit durch Absendung einer Adresse an Castelar zu erwiedern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/41>, abgerufen am 15.05.2024.