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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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vom litorarischen Kongreß in Wien.

Symbol von allen Theilnehmern acceptirt werden solle, was wäre dann ans den
meisten Begrüßungsreden und Toasten geworden? Die Wiener aber lieferten
einen neuen Beweis ihres Talents, liebenswürdige Wirthe vorzustellen, indem
sie auf das schöne, ihnen doch zunächstliegende Leitmotiv gänzlich verzichteten,
und sich den Anschein gaben, als hörten sie etwas völlig neues, wenn immer
und immer wieder ein Gast ihnen mittheilte, was "Concordia" eigentlich be¬
deute. In Wahrheit herrschte die schönste Eintracht. Wenn jemand seinen Ab¬
scheu vor literarischer Freibeuterei recht drastisch ausprägte, so acclmnirten immer
am lautesten diejenigen, auf welche dem Flüstern ihrer Nachbarn zufolge die
Anzüglichkeiten hauptsächlich gemünzt waren. Nur einmal drohte Discordia,
als Mr. Ratisbonne -- übrigens nicht jener Mr. Regensburger, welchen, wenn
ich mich recht erinnere, die allerseligste Jungfrau persönlich aus der Synagoge
in die Gesellschaft Jesu geführt hat, sondern nur dessen Neffe -- den Antrag
zur Abstimmung gebracht wissen wollte, der Congreß solle vom Zaren die Be¬
gnadigung eines Deportirten erbitten. Da ergab sich ein wüstes Durcheinander
von politischen Meinungen, nationalen Wünschen und Befürchtungen. Hier
wehrte einer den Versuch ab, den Kongreß in Politik zu verwickeln, dort em¬
pörte ein andrer sich gegen den Gedanken, einem Selbstherrscher bittend zu
nahen, und die Russen besorgten schlimme Folgen für sie selbst, wenn der Gegen¬
stand verhandelt würde. Zum Glück schlug die Stunde zu einer Lustfahrt, die
Frage blieb unerledigt, und Concordia trat wieder in ihre Rechte.

Ist überhaupt irgend etwas erledigt worden? Außer den verschiednen
Menüs wüßte ich nichts zu nennen. Nicht einmal alle vorgemerkten und vor¬
bereiteten Tischreden konnten an den Mann gebracht werden. Glücklich diejenigen
Autoren, welche sich in Reime verwickelt hatten, denn deren unsterbliche Ergüsse
(einer davon betitelte sich lustigerwcise "Impromptu") gelangten wenigstens ge¬
druckt in unsre Hände.

Und ziehe ich nun am Schlüsse der Festwoche das Facit, so kann ich die
Zeit nicht als verloren ansehen. Ich habe bekannte und unbekannte Berühmt¬
heiten in Menge kennen gelernt, wenigstens ein Schock Ansprachen und Ant¬
worten, Dankrcden und Trinksprüche gehört (oder doch überhört), Spazierfahrten
gemacht zu Wasser und zu Lande, auf Bergspitzen und in Thalgründen bcmtcttirt,
wir im Theater blühenden Unsinn vorspielen lassen, Walzern und Schnader-
hüpfeln gelauscht und sehr oft die feierliche Versicherung entgegengenommen, daß
ich durch solch rühmliches Thun viel dazu beigetragen habe, den Weltfrieden
Zu befestigen, die Freiheit zu vertheidigen, Gesittung und Aufklärung zu ver¬
breiten. Ich nehme die Ueberzeugung mit nach Hause, daß die Regierungen,
°b monarchische, parlamentarische oder republikanische, nichts besseres thun könnte",
"is zu abdieiren und das Regiment der civilisirten Erde in die Hände der
^Woviativu littÄ-iürö und des deutschen Schriftstellerverbandes zu legen, welche
bonen kürzester Frist, in wenigen Sitzungen mit und ohne Vier und Cham-


vom litorarischen Kongreß in Wien.

Symbol von allen Theilnehmern acceptirt werden solle, was wäre dann ans den
meisten Begrüßungsreden und Toasten geworden? Die Wiener aber lieferten
einen neuen Beweis ihres Talents, liebenswürdige Wirthe vorzustellen, indem
sie auf das schöne, ihnen doch zunächstliegende Leitmotiv gänzlich verzichteten,
und sich den Anschein gaben, als hörten sie etwas völlig neues, wenn immer
und immer wieder ein Gast ihnen mittheilte, was „Concordia" eigentlich be¬
deute. In Wahrheit herrschte die schönste Eintracht. Wenn jemand seinen Ab¬
scheu vor literarischer Freibeuterei recht drastisch ausprägte, so acclmnirten immer
am lautesten diejenigen, auf welche dem Flüstern ihrer Nachbarn zufolge die
Anzüglichkeiten hauptsächlich gemünzt waren. Nur einmal drohte Discordia,
als Mr. Ratisbonne — übrigens nicht jener Mr. Regensburger, welchen, wenn
ich mich recht erinnere, die allerseligste Jungfrau persönlich aus der Synagoge
in die Gesellschaft Jesu geführt hat, sondern nur dessen Neffe — den Antrag
zur Abstimmung gebracht wissen wollte, der Congreß solle vom Zaren die Be¬
gnadigung eines Deportirten erbitten. Da ergab sich ein wüstes Durcheinander
von politischen Meinungen, nationalen Wünschen und Befürchtungen. Hier
wehrte einer den Versuch ab, den Kongreß in Politik zu verwickeln, dort em¬
pörte ein andrer sich gegen den Gedanken, einem Selbstherrscher bittend zu
nahen, und die Russen besorgten schlimme Folgen für sie selbst, wenn der Gegen¬
stand verhandelt würde. Zum Glück schlug die Stunde zu einer Lustfahrt, die
Frage blieb unerledigt, und Concordia trat wieder in ihre Rechte.

Ist überhaupt irgend etwas erledigt worden? Außer den verschiednen
Menüs wüßte ich nichts zu nennen. Nicht einmal alle vorgemerkten und vor¬
bereiteten Tischreden konnten an den Mann gebracht werden. Glücklich diejenigen
Autoren, welche sich in Reime verwickelt hatten, denn deren unsterbliche Ergüsse
(einer davon betitelte sich lustigerwcise „Impromptu") gelangten wenigstens ge¬
druckt in unsre Hände.

Und ziehe ich nun am Schlüsse der Festwoche das Facit, so kann ich die
Zeit nicht als verloren ansehen. Ich habe bekannte und unbekannte Berühmt¬
heiten in Menge kennen gelernt, wenigstens ein Schock Ansprachen und Ant¬
worten, Dankrcden und Trinksprüche gehört (oder doch überhört), Spazierfahrten
gemacht zu Wasser und zu Lande, auf Bergspitzen und in Thalgründen bcmtcttirt,
wir im Theater blühenden Unsinn vorspielen lassen, Walzern und Schnader-
hüpfeln gelauscht und sehr oft die feierliche Versicherung entgegengenommen, daß
ich durch solch rühmliches Thun viel dazu beigetragen habe, den Weltfrieden
Zu befestigen, die Freiheit zu vertheidigen, Gesittung und Aufklärung zu ver¬
breiten. Ich nehme die Ueberzeugung mit nach Hause, daß die Regierungen,
°b monarchische, parlamentarische oder republikanische, nichts besseres thun könnte»,
"is zu abdieiren und das Regiment der civilisirten Erde in die Hände der
^Woviativu littÄ-iürö und des deutschen Schriftstellerverbandes zu legen, welche
bonen kürzester Frist, in wenigen Sitzungen mit und ohne Vier und Cham-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/43>, abgerufen am 14.05.2024.