Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die letzte" Neichstagsreden des Kanzlers.

Augen zu, sie sind nicht imstande, die Maschine aufzuhalten, wenn sie da an¬
gekommen ist, wohin sie sie geleitet haben. Der Weg wird abschüssig, und sie
können der gewaltigen Last von 4S Millionen nicht Halt commandiren, sie wird
sie überwältigen."

Zuletzt noch einige Worte von den Aeußerungen des Reichskanzlers bei
der Debatte über die Neubesetzung des seit Jahren erledigten Gesnndtschafts-
poftens bei der Curie. Er sagte hier u. a., die mit Rom schwebenden Ver¬
handlungen hätten bis jetzt keine Tragweite, die den Vorredner lVirchow) be¬
unruhigen könnte. Wir wünschten, daß mau nicht bloß im Reiche, welches keinen
Culturkampf habe, sondern auch in Preußen und andern Bundesstaaten dem
Frieden näher und immer näher und zuletzt so nahe komme, wie es irgend
mit der seit Jahrhunderten deu Gegenstand von Kämpfen bildenden staat¬
liche" Unabhängigkeit, auf die der Staat bestehen müsse, verträglich sei. Diese
"Quadratur des Zirkels" werde sich vollkommen niemals lösen lassen, wie man
sie bisher nie gelöst habe; aber es stehe zu hoffen, daß ein für beide Theile
annehmbarer nroäu8 vivsnäi durch eine directe Vertretung beim Vatican zu er¬
möglichen und dann nützlich sein werde.

Auf den Vorwurf des Abgeordneten Virchow, der Reichskanzler sei inconse-
quent gewesen, indem er vom Kampfe mit den Klerikalen abgestanden, nachdem
er ihn eine Zeit lang lebhaft betrieben habe, erfolgte die Antwort: "Jeder
Kampf hat feine Höhe und seine Hitze, aber kein Kampf im Innern zwischen
Parteien und der Regierung, kein Conflict kann von mir als eine dauernde
und nützliche Institution behandelt werden. Ich muß Kämpfe führen, aber doch
nur zu dem Zwecke, Frieden zu erlangen. Diese Kämpfe können sehr heiß
werden, und das hängt nicht immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist
dabei doch immer der Friede. Wenn ich nun glaube, in der heutigen Zeit diesem
Frieden mit mehr Wahrscheinlichkeit nahe zu kommen als in der Zeit, wo des
Kampfes Hitze entbrannte, so ist es ja an sich meine Pflicht, dem Frieden meine
Aufmerksamkeit zuzuwenden, nicht aber weiter zu fechten, bloß um zu fechten
gleich einem politischen Raufbold. . . . Kann ich ihn haben, den Frieden, kann
ich auch nur einen Waffenstillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahr-
hunderte hindurch gedauert haben, durch einen annehmbaren woäus vivsncli, er¬
langen, so würde ich pflichtwidrig handeln, wenn ich das nicht ncceptiren wollte.
Aber selbst wenn ich händelsüchtiger wäre und den Streit fortsetzen wollte, so
würde ich das haben aufgeben müssen, nachdem die Bundesgenossen, mit denen
in Gemeinschaft ich damals gefochten habe, mich verlassen oder für ihre weitere
Unterstützung Preise verlangt haben, die ich im Hinblick auf das Reich und das
Laud Preußen nicht gewähre" konnte. . . . Wenn ich zuletzt durch die Be¬
wegungen und Verschiebungen, welche innerhalb der liberalen Parteien vorgehen,
die mir damals beistanden, aber jetzt nicht mehr für mich sind, vor die Alter¬
native gestellt werde, zwischen einer Annäherung an das Centrum und einer


Die letzte» Neichstagsreden des Kanzlers.

Augen zu, sie sind nicht imstande, die Maschine aufzuhalten, wenn sie da an¬
gekommen ist, wohin sie sie geleitet haben. Der Weg wird abschüssig, und sie
können der gewaltigen Last von 4S Millionen nicht Halt commandiren, sie wird
sie überwältigen."

Zuletzt noch einige Worte von den Aeußerungen des Reichskanzlers bei
der Debatte über die Neubesetzung des seit Jahren erledigten Gesnndtschafts-
poftens bei der Curie. Er sagte hier u. a., die mit Rom schwebenden Ver¬
handlungen hätten bis jetzt keine Tragweite, die den Vorredner lVirchow) be¬
unruhigen könnte. Wir wünschten, daß mau nicht bloß im Reiche, welches keinen
Culturkampf habe, sondern auch in Preußen und andern Bundesstaaten dem
Frieden näher und immer näher und zuletzt so nahe komme, wie es irgend
mit der seit Jahrhunderten deu Gegenstand von Kämpfen bildenden staat¬
liche» Unabhängigkeit, auf die der Staat bestehen müsse, verträglich sei. Diese
„Quadratur des Zirkels" werde sich vollkommen niemals lösen lassen, wie man
sie bisher nie gelöst habe; aber es stehe zu hoffen, daß ein für beide Theile
annehmbarer nroäu8 vivsnäi durch eine directe Vertretung beim Vatican zu er¬
möglichen und dann nützlich sein werde.

Auf den Vorwurf des Abgeordneten Virchow, der Reichskanzler sei inconse-
quent gewesen, indem er vom Kampfe mit den Klerikalen abgestanden, nachdem
er ihn eine Zeit lang lebhaft betrieben habe, erfolgte die Antwort: „Jeder
Kampf hat feine Höhe und seine Hitze, aber kein Kampf im Innern zwischen
Parteien und der Regierung, kein Conflict kann von mir als eine dauernde
und nützliche Institution behandelt werden. Ich muß Kämpfe führen, aber doch
nur zu dem Zwecke, Frieden zu erlangen. Diese Kämpfe können sehr heiß
werden, und das hängt nicht immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist
dabei doch immer der Friede. Wenn ich nun glaube, in der heutigen Zeit diesem
Frieden mit mehr Wahrscheinlichkeit nahe zu kommen als in der Zeit, wo des
Kampfes Hitze entbrannte, so ist es ja an sich meine Pflicht, dem Frieden meine
Aufmerksamkeit zuzuwenden, nicht aber weiter zu fechten, bloß um zu fechten
gleich einem politischen Raufbold. . . . Kann ich ihn haben, den Frieden, kann
ich auch nur einen Waffenstillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahr-
hunderte hindurch gedauert haben, durch einen annehmbaren woäus vivsncli, er¬
langen, so würde ich pflichtwidrig handeln, wenn ich das nicht ncceptiren wollte.
Aber selbst wenn ich händelsüchtiger wäre und den Streit fortsetzen wollte, so
würde ich das haben aufgeben müssen, nachdem die Bundesgenossen, mit denen
in Gemeinschaft ich damals gefochten habe, mich verlassen oder für ihre weitere
Unterstützung Preise verlangt haben, die ich im Hinblick auf das Reich und das
Laud Preußen nicht gewähre» konnte. . . . Wenn ich zuletzt durch die Be¬
wegungen und Verschiebungen, welche innerhalb der liberalen Parteien vorgehen,
die mir damals beistanden, aber jetzt nicht mehr für mich sind, vor die Alter¬
native gestellt werde, zwischen einer Annäherung an das Centrum und einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0449" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151171"/>
          <fw type="header" place="top"> Die letzte» Neichstagsreden des Kanzlers.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1478" prev="#ID_1477"> Augen zu, sie sind nicht imstande, die Maschine aufzuhalten, wenn sie da an¬<lb/>
gekommen ist, wohin sie sie geleitet haben. Der Weg wird abschüssig, und sie<lb/>
können der gewaltigen Last von 4S Millionen nicht Halt commandiren, sie wird<lb/>
sie überwältigen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1479"> Zuletzt noch einige Worte von den Aeußerungen des Reichskanzlers bei<lb/>
der Debatte über die Neubesetzung des seit Jahren erledigten Gesnndtschafts-<lb/>
poftens bei der Curie. Er sagte hier u. a., die mit Rom schwebenden Ver¬<lb/>
handlungen hätten bis jetzt keine Tragweite, die den Vorredner lVirchow) be¬<lb/>
unruhigen könnte. Wir wünschten, daß mau nicht bloß im Reiche, welches keinen<lb/>
Culturkampf habe, sondern auch in Preußen und andern Bundesstaaten dem<lb/>
Frieden näher und immer näher und zuletzt so nahe komme, wie es irgend<lb/>
mit der seit Jahrhunderten deu Gegenstand von Kämpfen bildenden staat¬<lb/>
liche» Unabhängigkeit, auf die der Staat bestehen müsse, verträglich sei. Diese<lb/>
&#x201E;Quadratur des Zirkels" werde sich vollkommen niemals lösen lassen, wie man<lb/>
sie bisher nie gelöst habe; aber es stehe zu hoffen, daß ein für beide Theile<lb/>
annehmbarer nroäu8 vivsnäi durch eine directe Vertretung beim Vatican zu er¬<lb/>
möglichen und dann nützlich sein werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1480" next="#ID_1481"> Auf den Vorwurf des Abgeordneten Virchow, der Reichskanzler sei inconse-<lb/>
quent gewesen, indem er vom Kampfe mit den Klerikalen abgestanden, nachdem<lb/>
er ihn eine Zeit lang lebhaft betrieben habe, erfolgte die Antwort: &#x201E;Jeder<lb/>
Kampf hat feine Höhe und seine Hitze, aber kein Kampf im Innern zwischen<lb/>
Parteien und der Regierung, kein Conflict kann von mir als eine dauernde<lb/>
und nützliche Institution behandelt werden. Ich muß Kämpfe führen, aber doch<lb/>
nur zu dem Zwecke, Frieden zu erlangen. Diese Kämpfe können sehr heiß<lb/>
werden, und das hängt nicht immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist<lb/>
dabei doch immer der Friede. Wenn ich nun glaube, in der heutigen Zeit diesem<lb/>
Frieden mit mehr Wahrscheinlichkeit nahe zu kommen als in der Zeit, wo des<lb/>
Kampfes Hitze entbrannte, so ist es ja an sich meine Pflicht, dem Frieden meine<lb/>
Aufmerksamkeit zuzuwenden, nicht aber weiter zu fechten, bloß um zu fechten<lb/>
gleich einem politischen Raufbold. . . . Kann ich ihn haben, den Frieden, kann<lb/>
ich auch nur einen Waffenstillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahr-<lb/>
hunderte hindurch gedauert haben, durch einen annehmbaren woäus vivsncli, er¬<lb/>
langen, so würde ich pflichtwidrig handeln, wenn ich das nicht ncceptiren wollte.<lb/>
Aber selbst wenn ich händelsüchtiger wäre und den Streit fortsetzen wollte, so<lb/>
würde ich das haben aufgeben müssen, nachdem die Bundesgenossen, mit denen<lb/>
in Gemeinschaft ich damals gefochten habe, mich verlassen oder für ihre weitere<lb/>
Unterstützung Preise verlangt haben, die ich im Hinblick auf das Reich und das<lb/>
Laud Preußen nicht gewähre» konnte. . . . Wenn ich zuletzt durch die Be¬<lb/>
wegungen und Verschiebungen, welche innerhalb der liberalen Parteien vorgehen,<lb/>
die mir damals beistanden, aber jetzt nicht mehr für mich sind, vor die Alter¬<lb/>
native gestellt werde, zwischen einer Annäherung an das Centrum und einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0449] Die letzte» Neichstagsreden des Kanzlers. Augen zu, sie sind nicht imstande, die Maschine aufzuhalten, wenn sie da an¬ gekommen ist, wohin sie sie geleitet haben. Der Weg wird abschüssig, und sie können der gewaltigen Last von 4S Millionen nicht Halt commandiren, sie wird sie überwältigen." Zuletzt noch einige Worte von den Aeußerungen des Reichskanzlers bei der Debatte über die Neubesetzung des seit Jahren erledigten Gesnndtschafts- poftens bei der Curie. Er sagte hier u. a., die mit Rom schwebenden Ver¬ handlungen hätten bis jetzt keine Tragweite, die den Vorredner lVirchow) be¬ unruhigen könnte. Wir wünschten, daß mau nicht bloß im Reiche, welches keinen Culturkampf habe, sondern auch in Preußen und andern Bundesstaaten dem Frieden näher und immer näher und zuletzt so nahe komme, wie es irgend mit der seit Jahrhunderten deu Gegenstand von Kämpfen bildenden staat¬ liche» Unabhängigkeit, auf die der Staat bestehen müsse, verträglich sei. Diese „Quadratur des Zirkels" werde sich vollkommen niemals lösen lassen, wie man sie bisher nie gelöst habe; aber es stehe zu hoffen, daß ein für beide Theile annehmbarer nroäu8 vivsnäi durch eine directe Vertretung beim Vatican zu er¬ möglichen und dann nützlich sein werde. Auf den Vorwurf des Abgeordneten Virchow, der Reichskanzler sei inconse- quent gewesen, indem er vom Kampfe mit den Klerikalen abgestanden, nachdem er ihn eine Zeit lang lebhaft betrieben habe, erfolgte die Antwort: „Jeder Kampf hat feine Höhe und seine Hitze, aber kein Kampf im Innern zwischen Parteien und der Regierung, kein Conflict kann von mir als eine dauernde und nützliche Institution behandelt werden. Ich muß Kämpfe führen, aber doch nur zu dem Zwecke, Frieden zu erlangen. Diese Kämpfe können sehr heiß werden, und das hängt nicht immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist dabei doch immer der Friede. Wenn ich nun glaube, in der heutigen Zeit diesem Frieden mit mehr Wahrscheinlichkeit nahe zu kommen als in der Zeit, wo des Kampfes Hitze entbrannte, so ist es ja an sich meine Pflicht, dem Frieden meine Aufmerksamkeit zuzuwenden, nicht aber weiter zu fechten, bloß um zu fechten gleich einem politischen Raufbold. . . . Kann ich ihn haben, den Frieden, kann ich auch nur einen Waffenstillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahr- hunderte hindurch gedauert haben, durch einen annehmbaren woäus vivsncli, er¬ langen, so würde ich pflichtwidrig handeln, wenn ich das nicht ncceptiren wollte. Aber selbst wenn ich händelsüchtiger wäre und den Streit fortsetzen wollte, so würde ich das haben aufgeben müssen, nachdem die Bundesgenossen, mit denen in Gemeinschaft ich damals gefochten habe, mich verlassen oder für ihre weitere Unterstützung Preise verlangt haben, die ich im Hinblick auf das Reich und das Laud Preußen nicht gewähre» konnte. . . . Wenn ich zuletzt durch die Be¬ wegungen und Verschiebungen, welche innerhalb der liberalen Parteien vorgehen, die mir damals beistanden, aber jetzt nicht mehr für mich sind, vor die Alter¬ native gestellt werde, zwischen einer Annäherung an das Centrum und einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/449
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/449>, abgerufen am 14.05.2024.