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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Originale entbehrlich erscheinen, und so wird das für Kunstzwecke disponible
Geld nach wie vor in Landschafte" und Genrebildern angelegt, deren Werth
weniger den Wandlungen des Zeitgeschmacks unterworfen ist.

Wenn man die großen Gemäldegalerien Europas durchwandert, wird man
die Beobachtung machen, daß von der Wende des 16. Jahrhunderts ab Land¬
schaft und Genre in rapid steigender Progression alle übrigen Gebiete der
Malerei überwuchern. Welch eine lange Reihe von Genre- und Landschafts¬
malern haben allein die kleinen Niederlande in anderthalb Jahrhunderten pro-
ducirt! Zu den bekannten Namen wird noch alle Jahre ein halbes Dutzend
neuer durch die Forschung der Vergessenheit entrückt. Und wie stark heute dieses
Uebergewicht geworden ist, beweist die Thatsache, daß in England die historische
oder die ideale Malerei oder die Malerei großen Stils, wie man sie nun nennen
wäg, überhaupt keinen Boden findet.

Man thut also Unrecht, wenn man unsrer Zeit Mangel an Phantasie,
an idealem Aufschwung oder an productiver Kraft vorwirft nur aus dem
Grunde, weil es nur wenige Historienmaler und unter diesen wenigen keine von
epochemachender Bedeutung giebt. Seit dem Verfall der kirchlichen Kunst ist
diese Erscheinung für die Kunstbewegung aller Länder charakteristisch. Sie zu
bekämpfen oder als unberechtigt und unbegründet darstellen zu wollen, hieße
den Geist der Zeit mißverstehen.

Man erinnere sich nur, wie lange Feuerbnch hat ringen müssen, um aus
ruhmloser Verborgenheit aufzutauchen, mit welchen Widerwärtigkeiten er gekämpft
hat und wie er noch bis zum letzten Augenblicke seines Lebens eine vielbestrittene
Größe geblieben ist. Um wie viel glatter hat sich dagegen -- ein Beispiel,
das uns gerade jetzt nahe liegt -- die Laufbahn des Düsseldorfer Genremalcrs
Chr. Ludwig Bokelmann gestaltet. Vor dreizehn Jahren stand er noch in
einem kaufmännischen Comptoir -- heute ist er einer der populärsten Maler
Deutschlands, der beherzt mitten in den Strudel des Lebens hineingegriffen und
für sich und andre das Beste herausgeholt hat. Vielleicht hat er gerade hinter
dem Ladentisch und in der Fabrik, die ihm damals verhaßt genug gewesen sein
mögen, den Blick für die unbeachteten Kleinigkeiten des Alltagslebens, für Per¬
sonen und Dinge, die sonst der Kunst fern lagen, geschärft. Er ist durch und
durch auf sich selbst gestellt, hat niemals nach Frankreich hinübcrgcblinzelt. Bei
Wilhelm Sohn in Düsseldorf hat er das malerische Handwerk gelernt, und nun
'se er der besten eiuer, national im edelsten Sinne des Worts. Was er seit
1877 gemalt hat, hat Schlag auf Schlag gezündet: Der Zusammenbruch der
Volksbank, das Wanderlager zur Winterszeit, die Testamentseröffnung und die
Agitation vor dem Wahllocalc. Eine Fülle meisterhaft charaktcrisirter Figuren
^v" typischen Werthe hat er auf diesen Bildern geschaffen und eine eoloristische
Ausdrucksweise gefunden, welche, weit entfernt, persönlich, individuell oder sub-
leetiv zu sein, die jeweilige Stimmung schon durch die Färbung einleitet und


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Originale entbehrlich erscheinen, und so wird das für Kunstzwecke disponible
Geld nach wie vor in Landschafte» und Genrebildern angelegt, deren Werth
weniger den Wandlungen des Zeitgeschmacks unterworfen ist.

Wenn man die großen Gemäldegalerien Europas durchwandert, wird man
die Beobachtung machen, daß von der Wende des 16. Jahrhunderts ab Land¬
schaft und Genre in rapid steigender Progression alle übrigen Gebiete der
Malerei überwuchern. Welch eine lange Reihe von Genre- und Landschafts¬
malern haben allein die kleinen Niederlande in anderthalb Jahrhunderten pro-
ducirt! Zu den bekannten Namen wird noch alle Jahre ein halbes Dutzend
neuer durch die Forschung der Vergessenheit entrückt. Und wie stark heute dieses
Uebergewicht geworden ist, beweist die Thatsache, daß in England die historische
oder die ideale Malerei oder die Malerei großen Stils, wie man sie nun nennen
wäg, überhaupt keinen Boden findet.

Man thut also Unrecht, wenn man unsrer Zeit Mangel an Phantasie,
an idealem Aufschwung oder an productiver Kraft vorwirft nur aus dem
Grunde, weil es nur wenige Historienmaler und unter diesen wenigen keine von
epochemachender Bedeutung giebt. Seit dem Verfall der kirchlichen Kunst ist
diese Erscheinung für die Kunstbewegung aller Länder charakteristisch. Sie zu
bekämpfen oder als unberechtigt und unbegründet darstellen zu wollen, hieße
den Geist der Zeit mißverstehen.

Man erinnere sich nur, wie lange Feuerbnch hat ringen müssen, um aus
ruhmloser Verborgenheit aufzutauchen, mit welchen Widerwärtigkeiten er gekämpft
hat und wie er noch bis zum letzten Augenblicke seines Lebens eine vielbestrittene
Größe geblieben ist. Um wie viel glatter hat sich dagegen — ein Beispiel,
das uns gerade jetzt nahe liegt — die Laufbahn des Düsseldorfer Genremalcrs
Chr. Ludwig Bokelmann gestaltet. Vor dreizehn Jahren stand er noch in
einem kaufmännischen Comptoir — heute ist er einer der populärsten Maler
Deutschlands, der beherzt mitten in den Strudel des Lebens hineingegriffen und
für sich und andre das Beste herausgeholt hat. Vielleicht hat er gerade hinter
dem Ladentisch und in der Fabrik, die ihm damals verhaßt genug gewesen sein
mögen, den Blick für die unbeachteten Kleinigkeiten des Alltagslebens, für Per¬
sonen und Dinge, die sonst der Kunst fern lagen, geschärft. Er ist durch und
durch auf sich selbst gestellt, hat niemals nach Frankreich hinübcrgcblinzelt. Bei
Wilhelm Sohn in Düsseldorf hat er das malerische Handwerk gelernt, und nun
'se er der besten eiuer, national im edelsten Sinne des Worts. Was er seit
1877 gemalt hat, hat Schlag auf Schlag gezündet: Der Zusammenbruch der
Volksbank, das Wanderlager zur Winterszeit, die Testamentseröffnung und die
Agitation vor dem Wahllocalc. Eine Fülle meisterhaft charaktcrisirter Figuren
^v" typischen Werthe hat er auf diesen Bildern geschaffen und eine eoloristische
Ausdrucksweise gefunden, welche, weit entfernt, persönlich, individuell oder sub-
leetiv zu sein, die jeweilige Stimmung schon durch die Färbung einleitet und


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[0045] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. Originale entbehrlich erscheinen, und so wird das für Kunstzwecke disponible Geld nach wie vor in Landschafte» und Genrebildern angelegt, deren Werth weniger den Wandlungen des Zeitgeschmacks unterworfen ist. Wenn man die großen Gemäldegalerien Europas durchwandert, wird man die Beobachtung machen, daß von der Wende des 16. Jahrhunderts ab Land¬ schaft und Genre in rapid steigender Progression alle übrigen Gebiete der Malerei überwuchern. Welch eine lange Reihe von Genre- und Landschafts¬ malern haben allein die kleinen Niederlande in anderthalb Jahrhunderten pro- ducirt! Zu den bekannten Namen wird noch alle Jahre ein halbes Dutzend neuer durch die Forschung der Vergessenheit entrückt. Und wie stark heute dieses Uebergewicht geworden ist, beweist die Thatsache, daß in England die historische oder die ideale Malerei oder die Malerei großen Stils, wie man sie nun nennen wäg, überhaupt keinen Boden findet. Man thut also Unrecht, wenn man unsrer Zeit Mangel an Phantasie, an idealem Aufschwung oder an productiver Kraft vorwirft nur aus dem Grunde, weil es nur wenige Historienmaler und unter diesen wenigen keine von epochemachender Bedeutung giebt. Seit dem Verfall der kirchlichen Kunst ist diese Erscheinung für die Kunstbewegung aller Länder charakteristisch. Sie zu bekämpfen oder als unberechtigt und unbegründet darstellen zu wollen, hieße den Geist der Zeit mißverstehen. Man erinnere sich nur, wie lange Feuerbnch hat ringen müssen, um aus ruhmloser Verborgenheit aufzutauchen, mit welchen Widerwärtigkeiten er gekämpft hat und wie er noch bis zum letzten Augenblicke seines Lebens eine vielbestrittene Größe geblieben ist. Um wie viel glatter hat sich dagegen — ein Beispiel, das uns gerade jetzt nahe liegt — die Laufbahn des Düsseldorfer Genremalcrs Chr. Ludwig Bokelmann gestaltet. Vor dreizehn Jahren stand er noch in einem kaufmännischen Comptoir — heute ist er einer der populärsten Maler Deutschlands, der beherzt mitten in den Strudel des Lebens hineingegriffen und für sich und andre das Beste herausgeholt hat. Vielleicht hat er gerade hinter dem Ladentisch und in der Fabrik, die ihm damals verhaßt genug gewesen sein mögen, den Blick für die unbeachteten Kleinigkeiten des Alltagslebens, für Per¬ sonen und Dinge, die sonst der Kunst fern lagen, geschärft. Er ist durch und durch auf sich selbst gestellt, hat niemals nach Frankreich hinübcrgcblinzelt. Bei Wilhelm Sohn in Düsseldorf hat er das malerische Handwerk gelernt, und nun 'se er der besten eiuer, national im edelsten Sinne des Worts. Was er seit 1877 gemalt hat, hat Schlag auf Schlag gezündet: Der Zusammenbruch der Volksbank, das Wanderlager zur Winterszeit, die Testamentseröffnung und die Agitation vor dem Wahllocalc. Eine Fülle meisterhaft charaktcrisirter Figuren ^v" typischen Werthe hat er auf diesen Bildern geschaffen und eine eoloristische Ausdrucksweise gefunden, welche, weit entfernt, persönlich, individuell oder sub- leetiv zu sein, die jeweilige Stimmung schon durch die Färbung einleitet und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/45>, abgerufen am 14.05.2024.