Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur socialen Frage,

Um aber eine vergangene Periode zur Vergleichmig auszuwählen, müssen
Nur uns zunächst über die besondre Eigenthümlichkeit der gegenwärtige" Klarheit
verschaffe".

An die Stelle der tausend kleinen und kleinste" Gemeinwesen früherer
Jahrhunderte find nilmählich wenige große Staaten getreten, in denen sich das
sittliche und wirthschaftliche Leben der Völker concentrirt. Für die freie Ent¬
faltnag der Kräfte des Bürgers giebt es verhältnißmäßig nur noch geringe
Schranken, und diese Freiheit hat die Wunder der modernen Cultur geschaffen,
das Leben ist -- im großen und ganzen -- auch für die armen Volksklassen
lnhalt- und genußreicher geworden; praktische Kenntnisse und Bildung steigen
in immer tiefere Klassen herab, und -- auch das wird man nicht leugnen
können -- die Gefahr von Rückschlägen durch den Krieg hat sich aus vielen
hier nicht näher zu erörternden Gründen, besonders aber durch das gemeinsame
Interesse der'Völker an den Segnungen des Friedens, erheblich gemindert.

Allein dieser scheinbar so erfreuliche Zustand hat arge Schattenseiten, Die
Reichthümer, welche erzeugt worden sind, haben sich sehr ungleich über die
Menschen vertheilt. Die Macht der Maschine und des Capitals, die dem letztern
innewohnende Eigenschaft sich zu vergrößern und kleine Capitalien aufzusaugen,
die Tendenz der Speculation, alle Werthe zu mvbilisiren, unaufhörlich umzusetzen
und künftige mögliche Wertherzeuguug zu discontiren und einzuheimsen, indem
sie zugleich die Gefahr des Mißerfolgs auf das unkundige oder unvorsichtige
Publicum überwälzt -- alle diese Ursachen haben die Entstehung einzelner eolos-
salen Vermögen zur Folge gehabt, welche die Arbeit des Volkes beherrschen
und die kleinen Grundeigenthümer vernichten. Diese Vermögen wachsen täglich
in staunenswerthen Maße und geben der Befürchtung Raum, daß daneben selbst
solche kleinere Vermögen, welche jetzt noch für erheblich gelten, nicht werden be¬
stehen können. Es ist ein alter Trostspruch, daß dafür gesorgt sei, daß die
Bäume nicht in den Himmel wachsen, und so mögen auch wir heutigen uns
damit getrosten, daß es unmöglich sei, daß die ganze Menschheit zu Sklaven
weniger Halbgötter herabgewürdigt werde. Es erscheint dieser Trost aber um
so begründeter, als das Bewußtsein der Gefahr bis in die tiefsten Klassen ein¬
gedrungen ist und dort Bewegungen erzeugt hat, welche auch die höheren Klaffen,
ja selbst die Staatsgewalten allmählich nöthigen, der Gefahr ins Ange zu sehen.

Dieses Bewußtsein, diese sich mehr und mehr verbreitende Erkenntniß des
Krankheitsznstcindcs ist es, was uns vielleicht am meisten von einer ähnlichen
Zeitperiode der Vergangenheit unterscheidet, wo ebenfalls die Concentration des
Reichthums in wenigen Händen so colossale Dimensionen annahm, daß daneben
nur Armuth und Elend bestand und die Menschheit sich in Halbgötter und
Knechte theilte. Wir meinen die römische Kciiserzcit der ersten Jahrhunderte.
Daß an diesen Znstcinden das römische Reich, so groß und gewaltig es war,
zu Grunde ging, ist niemals verkannt worden. Aber waren die Mißstände in


Grenzboten IV. 1381. Ü7
Zur socialen Frage,

Um aber eine vergangene Periode zur Vergleichmig auszuwählen, müssen
Nur uns zunächst über die besondre Eigenthümlichkeit der gegenwärtige» Klarheit
verschaffe».

An die Stelle der tausend kleinen und kleinste» Gemeinwesen früherer
Jahrhunderte find nilmählich wenige große Staaten getreten, in denen sich das
sittliche und wirthschaftliche Leben der Völker concentrirt. Für die freie Ent¬
faltnag der Kräfte des Bürgers giebt es verhältnißmäßig nur noch geringe
Schranken, und diese Freiheit hat die Wunder der modernen Cultur geschaffen,
das Leben ist — im großen und ganzen — auch für die armen Volksklassen
lnhalt- und genußreicher geworden; praktische Kenntnisse und Bildung steigen
in immer tiefere Klassen herab, und — auch das wird man nicht leugnen
können — die Gefahr von Rückschlägen durch den Krieg hat sich aus vielen
hier nicht näher zu erörternden Gründen, besonders aber durch das gemeinsame
Interesse der'Völker an den Segnungen des Friedens, erheblich gemindert.

Allein dieser scheinbar so erfreuliche Zustand hat arge Schattenseiten, Die
Reichthümer, welche erzeugt worden sind, haben sich sehr ungleich über die
Menschen vertheilt. Die Macht der Maschine und des Capitals, die dem letztern
innewohnende Eigenschaft sich zu vergrößern und kleine Capitalien aufzusaugen,
die Tendenz der Speculation, alle Werthe zu mvbilisiren, unaufhörlich umzusetzen
und künftige mögliche Wertherzeuguug zu discontiren und einzuheimsen, indem
sie zugleich die Gefahr des Mißerfolgs auf das unkundige oder unvorsichtige
Publicum überwälzt — alle diese Ursachen haben die Entstehung einzelner eolos-
salen Vermögen zur Folge gehabt, welche die Arbeit des Volkes beherrschen
und die kleinen Grundeigenthümer vernichten. Diese Vermögen wachsen täglich
in staunenswerthen Maße und geben der Befürchtung Raum, daß daneben selbst
solche kleinere Vermögen, welche jetzt noch für erheblich gelten, nicht werden be¬
stehen können. Es ist ein alter Trostspruch, daß dafür gesorgt sei, daß die
Bäume nicht in den Himmel wachsen, und so mögen auch wir heutigen uns
damit getrosten, daß es unmöglich sei, daß die ganze Menschheit zu Sklaven
weniger Halbgötter herabgewürdigt werde. Es erscheint dieser Trost aber um
so begründeter, als das Bewußtsein der Gefahr bis in die tiefsten Klassen ein¬
gedrungen ist und dort Bewegungen erzeugt hat, welche auch die höheren Klaffen,
ja selbst die Staatsgewalten allmählich nöthigen, der Gefahr ins Ange zu sehen.

Dieses Bewußtsein, diese sich mehr und mehr verbreitende Erkenntniß des
Krankheitsznstcindcs ist es, was uns vielleicht am meisten von einer ähnlichen
Zeitperiode der Vergangenheit unterscheidet, wo ebenfalls die Concentration des
Reichthums in wenigen Händen so colossale Dimensionen annahm, daß daneben
nur Armuth und Elend bestand und die Menschheit sich in Halbgötter und
Knechte theilte. Wir meinen die römische Kciiserzcit der ersten Jahrhunderte.
Daß an diesen Znstcinden das römische Reich, so groß und gewaltig es war,
zu Grunde ging, ist niemals verkannt worden. Aber waren die Mißstände in


Grenzboten IV. 1381. Ü7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151173"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur socialen Frage,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1484"> Um aber eine vergangene Periode zur Vergleichmig auszuwählen, müssen<lb/>
Nur uns zunächst über die besondre Eigenthümlichkeit der gegenwärtige» Klarheit<lb/>
verschaffe».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1485"> An die Stelle der tausend kleinen und kleinste» Gemeinwesen früherer<lb/>
Jahrhunderte find nilmählich wenige große Staaten getreten, in denen sich das<lb/>
sittliche und wirthschaftliche Leben der Völker concentrirt. Für die freie Ent¬<lb/>
faltnag der Kräfte des Bürgers giebt es verhältnißmäßig nur noch geringe<lb/>
Schranken, und diese Freiheit hat die Wunder der modernen Cultur geschaffen,<lb/>
das Leben ist &#x2014; im großen und ganzen &#x2014; auch für die armen Volksklassen<lb/>
lnhalt- und genußreicher geworden; praktische Kenntnisse und Bildung steigen<lb/>
in immer tiefere Klassen herab, und &#x2014; auch das wird man nicht leugnen<lb/>
können &#x2014; die Gefahr von Rückschlägen durch den Krieg hat sich aus vielen<lb/>
hier nicht näher zu erörternden Gründen, besonders aber durch das gemeinsame<lb/>
Interesse der'Völker an den Segnungen des Friedens, erheblich gemindert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1486"> Allein dieser scheinbar so erfreuliche Zustand hat arge Schattenseiten, Die<lb/>
Reichthümer, welche erzeugt worden sind, haben sich sehr ungleich über die<lb/>
Menschen vertheilt. Die Macht der Maschine und des Capitals, die dem letztern<lb/>
innewohnende Eigenschaft sich zu vergrößern und kleine Capitalien aufzusaugen,<lb/>
die Tendenz der Speculation, alle Werthe zu mvbilisiren, unaufhörlich umzusetzen<lb/>
und künftige mögliche Wertherzeuguug zu discontiren und einzuheimsen, indem<lb/>
sie zugleich die Gefahr des Mißerfolgs auf das unkundige oder unvorsichtige<lb/>
Publicum überwälzt &#x2014; alle diese Ursachen haben die Entstehung einzelner eolos-<lb/>
salen Vermögen zur Folge gehabt, welche die Arbeit des Volkes beherrschen<lb/>
und die kleinen Grundeigenthümer vernichten. Diese Vermögen wachsen täglich<lb/>
in staunenswerthen Maße und geben der Befürchtung Raum, daß daneben selbst<lb/>
solche kleinere Vermögen, welche jetzt noch für erheblich gelten, nicht werden be¬<lb/>
stehen können. Es ist ein alter Trostspruch, daß dafür gesorgt sei, daß die<lb/>
Bäume nicht in den Himmel wachsen, und so mögen auch wir heutigen uns<lb/>
damit getrosten, daß es unmöglich sei, daß die ganze Menschheit zu Sklaven<lb/>
weniger Halbgötter herabgewürdigt werde. Es erscheint dieser Trost aber um<lb/>
so begründeter, als das Bewußtsein der Gefahr bis in die tiefsten Klassen ein¬<lb/>
gedrungen ist und dort Bewegungen erzeugt hat, welche auch die höheren Klaffen,<lb/>
ja selbst die Staatsgewalten allmählich nöthigen, der Gefahr ins Ange zu sehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1487" next="#ID_1488"> Dieses Bewußtsein, diese sich mehr und mehr verbreitende Erkenntniß des<lb/>
Krankheitsznstcindcs ist es, was uns vielleicht am meisten von einer ähnlichen<lb/>
Zeitperiode der Vergangenheit unterscheidet, wo ebenfalls die Concentration des<lb/>
Reichthums in wenigen Händen so colossale Dimensionen annahm, daß daneben<lb/>
nur Armuth und Elend bestand und die Menschheit sich in Halbgötter und<lb/>
Knechte theilte. Wir meinen die römische Kciiserzcit der ersten Jahrhunderte.<lb/>
Daß an diesen Znstcinden das römische Reich, so groß und gewaltig es war,<lb/>
zu Grunde ging, ist niemals verkannt worden. Aber waren die Mißstände in</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1381. Ü7</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] Zur socialen Frage, Um aber eine vergangene Periode zur Vergleichmig auszuwählen, müssen Nur uns zunächst über die besondre Eigenthümlichkeit der gegenwärtige» Klarheit verschaffe». An die Stelle der tausend kleinen und kleinste» Gemeinwesen früherer Jahrhunderte find nilmählich wenige große Staaten getreten, in denen sich das sittliche und wirthschaftliche Leben der Völker concentrirt. Für die freie Ent¬ faltnag der Kräfte des Bürgers giebt es verhältnißmäßig nur noch geringe Schranken, und diese Freiheit hat die Wunder der modernen Cultur geschaffen, das Leben ist — im großen und ganzen — auch für die armen Volksklassen lnhalt- und genußreicher geworden; praktische Kenntnisse und Bildung steigen in immer tiefere Klassen herab, und — auch das wird man nicht leugnen können — die Gefahr von Rückschlägen durch den Krieg hat sich aus vielen hier nicht näher zu erörternden Gründen, besonders aber durch das gemeinsame Interesse der'Völker an den Segnungen des Friedens, erheblich gemindert. Allein dieser scheinbar so erfreuliche Zustand hat arge Schattenseiten, Die Reichthümer, welche erzeugt worden sind, haben sich sehr ungleich über die Menschen vertheilt. Die Macht der Maschine und des Capitals, die dem letztern innewohnende Eigenschaft sich zu vergrößern und kleine Capitalien aufzusaugen, die Tendenz der Speculation, alle Werthe zu mvbilisiren, unaufhörlich umzusetzen und künftige mögliche Wertherzeuguug zu discontiren und einzuheimsen, indem sie zugleich die Gefahr des Mißerfolgs auf das unkundige oder unvorsichtige Publicum überwälzt — alle diese Ursachen haben die Entstehung einzelner eolos- salen Vermögen zur Folge gehabt, welche die Arbeit des Volkes beherrschen und die kleinen Grundeigenthümer vernichten. Diese Vermögen wachsen täglich in staunenswerthen Maße und geben der Befürchtung Raum, daß daneben selbst solche kleinere Vermögen, welche jetzt noch für erheblich gelten, nicht werden be¬ stehen können. Es ist ein alter Trostspruch, daß dafür gesorgt sei, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und so mögen auch wir heutigen uns damit getrosten, daß es unmöglich sei, daß die ganze Menschheit zu Sklaven weniger Halbgötter herabgewürdigt werde. Es erscheint dieser Trost aber um so begründeter, als das Bewußtsein der Gefahr bis in die tiefsten Klassen ein¬ gedrungen ist und dort Bewegungen erzeugt hat, welche auch die höheren Klaffen, ja selbst die Staatsgewalten allmählich nöthigen, der Gefahr ins Ange zu sehen. Dieses Bewußtsein, diese sich mehr und mehr verbreitende Erkenntniß des Krankheitsznstcindcs ist es, was uns vielleicht am meisten von einer ähnlichen Zeitperiode der Vergangenheit unterscheidet, wo ebenfalls die Concentration des Reichthums in wenigen Händen so colossale Dimensionen annahm, daß daneben nur Armuth und Elend bestand und die Menschheit sich in Halbgötter und Knechte theilte. Wir meinen die römische Kciiserzcit der ersten Jahrhunderte. Daß an diesen Znstcinden das römische Reich, so groß und gewaltig es war, zu Grunde ging, ist niemals verkannt worden. Aber waren die Mißstände in Grenzboten IV. 1381. Ü7

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/451>, abgerufen am 14.05.2024.