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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Friedrichs des Großen erster ZVciffengcmg.

die an Umfang das< was er zu gewinnen hoffte, weit übertrafen, wahrend er
doch der einzige war, der den festen Boden wirklicher militärischer Macht, die
ihre Leistungsfähigkeit schon bewiesen hatte, unter den Füßen hatte und deshalb
den Plänen des Cardinals Fleury gegenüber seine Selbständigkeit mit ganz
anderen Nachdruck betonen konnte als Baiern und Sachsen. Wie die Franzosen
mit Baien umgingen, berichtete ihm sein Gesandter in München, Graf Schmettau,
Als diefer bei den Berathungen über die Operationen des bairisch-französischen
Heeres im Einverständnisz mit dem Kurfürsten darauf drang, daß man nicht
nach Böhmen, wie die Franzosen wollten, sondern gegen Oesterreich, und nicht
nur bis Linz, wie die Franzosen endlich zugestanden, sondern bis Wien vor¬
dringe, welches damals kaum eine Belagerung ausgehalten hätte, flüsterte ihm
der Marquis Beauveau in hochmüthiger Uebereilung zu: "Wenn wir den Kur¬
fürsten zum Herrn von Wien machen, werden wir nicht mehr seine Herren sein."
Es war dann in demselben Monat September, daß in Frankfurt am Main
unter Vermittlung des französische" Gesandte" Marschalls Belleisle Baiern und
Sachsen einen Vertrag abschlossen, in welchem diese beiden Mächte die öster¬
reichischen Erdtaube in der Weise unter sich theilten, daß Bniern Böhmen,
Oberösterreich, Tirol und die vorderösterreichischen Lande erhalten sollte, Sachsen
dagegen Oberschlesien bis zur Reiße, Mähren und das Quartier Obcrmannharts-
bcrg von Niederösterreich, zugleich auch deu Königstitel sür Mähren. Indem
beide Mächte für diesen Vertrag die Garantie Preußens ausbcdangen, natürlich
gegen die Zusicherung Niederschlesicns an letzteres, nud Frankreich nun auf
Friedrichs Beitritt hinarbeitete, trat diesem das Unerwüuschte und Gefährliche
dieses Ausgangs so lebhaft vor die Seele, daß es ihn zu jenem merkwürdigen diplo¬
matischen Coup bewog, der als die Convention von Kleinschnellendorf bekannt ist.

In dem soeben erschienenen zweiten Bande seines Werkes (Gotha, F. A.
Perthes) ist es Grünhagen gelungen, namentlich dnrch seine Studien im Lon¬
doner Archive, speciell durch die Einsicht der Papiere des Lord Hyndford, der
als beiderseitiger Vertrauensmann die Hauptrolle dabei gespielt hat, unsre bisher
lückenhafte Kenntniß von den der Convention vorhergehenden Verhandlungen
und somit auch von ihrer Bedeutuug und den Absichten, die der König damit
verfolgt hat, so zu ergänzen, daß nichts wesentliches mehr dunkel bleibt. Er
hat dann auch der genauen, schrittweisen Darstellung der vom 9. September bis
zum 9. October reichenden Unterhandlungen, der Zusammenkunft Friedrichs mit
Neipperg am 9. October in Kleinschnellendorf und der Art, wie beide Theile
nachträglich sich zur Ausführung der Verabredungen stellen, eine eingehende Be¬
trachtung beigegeben, die die Handlungsweise des Königs von allen Seiten ohne
Voreingenommenheit beleuchtet.

Friedrich lag im September vor Reiße Neipperg gegenüber, dessen Armee
die einzige operativnsfühige war, welche Oesterreich zur Zeit noch hatte, und
welche sich entschließen mußte, den Preußen gegenüber zurückzuziehen, wenn es


Friedrichs des Großen erster ZVciffengcmg.

die an Umfang das< was er zu gewinnen hoffte, weit übertrafen, wahrend er
doch der einzige war, der den festen Boden wirklicher militärischer Macht, die
ihre Leistungsfähigkeit schon bewiesen hatte, unter den Füßen hatte und deshalb
den Plänen des Cardinals Fleury gegenüber seine Selbständigkeit mit ganz
anderen Nachdruck betonen konnte als Baiern und Sachsen. Wie die Franzosen
mit Baien umgingen, berichtete ihm sein Gesandter in München, Graf Schmettau,
Als diefer bei den Berathungen über die Operationen des bairisch-französischen
Heeres im Einverständnisz mit dem Kurfürsten darauf drang, daß man nicht
nach Böhmen, wie die Franzosen wollten, sondern gegen Oesterreich, und nicht
nur bis Linz, wie die Franzosen endlich zugestanden, sondern bis Wien vor¬
dringe, welches damals kaum eine Belagerung ausgehalten hätte, flüsterte ihm
der Marquis Beauveau in hochmüthiger Uebereilung zu: „Wenn wir den Kur¬
fürsten zum Herrn von Wien machen, werden wir nicht mehr seine Herren sein."
Es war dann in demselben Monat September, daß in Frankfurt am Main
unter Vermittlung des französische» Gesandte» Marschalls Belleisle Baiern und
Sachsen einen Vertrag abschlossen, in welchem diese beiden Mächte die öster¬
reichischen Erdtaube in der Weise unter sich theilten, daß Bniern Böhmen,
Oberösterreich, Tirol und die vorderösterreichischen Lande erhalten sollte, Sachsen
dagegen Oberschlesien bis zur Reiße, Mähren und das Quartier Obcrmannharts-
bcrg von Niederösterreich, zugleich auch deu Königstitel sür Mähren. Indem
beide Mächte für diesen Vertrag die Garantie Preußens ausbcdangen, natürlich
gegen die Zusicherung Niederschlesicns an letzteres, nud Frankreich nun auf
Friedrichs Beitritt hinarbeitete, trat diesem das Unerwüuschte und Gefährliche
dieses Ausgangs so lebhaft vor die Seele, daß es ihn zu jenem merkwürdigen diplo¬
matischen Coup bewog, der als die Convention von Kleinschnellendorf bekannt ist.

In dem soeben erschienenen zweiten Bande seines Werkes (Gotha, F. A.
Perthes) ist es Grünhagen gelungen, namentlich dnrch seine Studien im Lon¬
doner Archive, speciell durch die Einsicht der Papiere des Lord Hyndford, der
als beiderseitiger Vertrauensmann die Hauptrolle dabei gespielt hat, unsre bisher
lückenhafte Kenntniß von den der Convention vorhergehenden Verhandlungen
und somit auch von ihrer Bedeutuug und den Absichten, die der König damit
verfolgt hat, so zu ergänzen, daß nichts wesentliches mehr dunkel bleibt. Er
hat dann auch der genauen, schrittweisen Darstellung der vom 9. September bis
zum 9. October reichenden Unterhandlungen, der Zusammenkunft Friedrichs mit
Neipperg am 9. October in Kleinschnellendorf und der Art, wie beide Theile
nachträglich sich zur Ausführung der Verabredungen stellen, eine eingehende Be¬
trachtung beigegeben, die die Handlungsweise des Königs von allen Seiten ohne
Voreingenommenheit beleuchtet.

Friedrich lag im September vor Reiße Neipperg gegenüber, dessen Armee
die einzige operativnsfühige war, welche Oesterreich zur Zeit noch hatte, und
welche sich entschließen mußte, den Preußen gegenüber zurückzuziehen, wenn es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/460>, abgerufen am 15.05.2024.