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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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die erste Forderung wieder aufgeben; er drängte ungeduldiger als je zum Ab¬
schluß und befahl Podewils am 9, Juni, er solle von Oberschlesien zu erlangen
suchen, soviel er könnte, eventuell aber selbst auf die Abtretung von Niederschlesien
mit Reiße und der Grafschaft Glatz hin binnen 24 Stunden die Präliminarien
abschließen. Es war unter diesen Umständen ein eigner Glücksfall, daß, als
diese Depesche am II. Juni in Breslau eintraf, Podewils bereits am 10. Juni
durch die Drohung, die Verhandlungen würden sonst wieder ohne Resultat ab-
gebrochen werden, Lord Hyndford zu dem Geständniß gebracht hatte, daß er
schlimmsten Falles ganz Oberschlesien ohne Teschen und Troppau anzubieten
bevollmächtigt sei. So betraf der Abschluß uur noch Nebenpunkte, die durch
gegenseitiges Nachgeben erledigt wurden, und diesmal beeilte sich der Wiener
Hof ohne Weiterungen zuzugreifen, sodaß Friedrich schon am 21. Juni die Rati-
fication der Präliminarien in den Händen hatte, die ihm eine Provinz gewährten,
welche seinen bisherigen Staat um ein volles Drittel vergrößerte.

So war geschehen, was man nach der ganzen Lage der Dinge und der
Natur der antipragmatischen Allianz erwarten mußte. War Frankreich empfindlich
davon berührt, so muß hervorgehoben werden, daß gerade die schwächliche und
ungeschickte Kriegführung des Marschalls Brvglic in Böhmen und die Besorgniß,
der Leiter der französischen Politik, Cardinal Fleury, könne selbst durch einen
plötzlichen Separatfrieden ihn ganz oder zum Theil um die Früchte seiner Krieg¬
führung bringen, den König zu so schnellem Abschluß drängte. Die Staats-
raison des 18. Jahrhunderts kannte nur eine Interessenpolitik, ihr entsprechend
hat Friedrich gehandelt. Treffend charakterisirt Grünhagcn die Situation in
dem Capitel über die Berechtigung des Friedens: "Der Herrscher eines kleinen
Staates von verhältnismäßig geringen Hilfsgnellen ringt mit Aufbietung aller
Energie darnach, unter Benutzung günstiger Umstände inmitten feindlich gesinnter
Großmächte soweit emporzukommen, um seinem Staate die Möglichkeit einer
selbständigen Politik, einer freien Selbstbestimmung zu sichern. Alle Kräfte seines
Landes setzt er an das große Unternehmen, und das Glück lächelt ihm, er wird
militärisch Herr des gewünschten Landerwerbes; mir als es sich darum handelt,
auch den Bundesgenossen den in Aussicht genommenen Antheil zu sichern, haben
alle seine Anstrengungen, welche diese nicht hinreichend unterstützten, keinen Er¬
folg, und er sieht sich vor die Alternative gestellt, das bereits erworbene um
der Vuudesgcuosseu willen wieder aufs Spiel zu setzen und seinen erschöpften
Ländern neue Opfer zuzumuthen, oder aber, die Vnndcsgcnosscn im Stiche lassend,
sich mit seinem Gewinn aus dem Spiele zurückzuziehen und einen Sonderfrieden
zu schließen." Und daran knüpft er weiter folgende sehr richtige Erwägung: "Wenn
trotz aller der Erwägungen, die zu Friedrichs Gunsten sprachen, sein Verfahren
vielfach mit unbilliger Härte beurtheilt worden ist, so müssen wir dabei auch
immer daran denken, daß daran vor allem der doch ganz colossale Gewinn,
den er und er allein aus dem ganzen Kampfe davongetragen, die Hauptschuld


die erste Forderung wieder aufgeben; er drängte ungeduldiger als je zum Ab¬
schluß und befahl Podewils am 9, Juni, er solle von Oberschlesien zu erlangen
suchen, soviel er könnte, eventuell aber selbst auf die Abtretung von Niederschlesien
mit Reiße und der Grafschaft Glatz hin binnen 24 Stunden die Präliminarien
abschließen. Es war unter diesen Umständen ein eigner Glücksfall, daß, als
diese Depesche am II. Juni in Breslau eintraf, Podewils bereits am 10. Juni
durch die Drohung, die Verhandlungen würden sonst wieder ohne Resultat ab-
gebrochen werden, Lord Hyndford zu dem Geständniß gebracht hatte, daß er
schlimmsten Falles ganz Oberschlesien ohne Teschen und Troppau anzubieten
bevollmächtigt sei. So betraf der Abschluß uur noch Nebenpunkte, die durch
gegenseitiges Nachgeben erledigt wurden, und diesmal beeilte sich der Wiener
Hof ohne Weiterungen zuzugreifen, sodaß Friedrich schon am 21. Juni die Rati-
fication der Präliminarien in den Händen hatte, die ihm eine Provinz gewährten,
welche seinen bisherigen Staat um ein volles Drittel vergrößerte.

So war geschehen, was man nach der ganzen Lage der Dinge und der
Natur der antipragmatischen Allianz erwarten mußte. War Frankreich empfindlich
davon berührt, so muß hervorgehoben werden, daß gerade die schwächliche und
ungeschickte Kriegführung des Marschalls Brvglic in Böhmen und die Besorgniß,
der Leiter der französischen Politik, Cardinal Fleury, könne selbst durch einen
plötzlichen Separatfrieden ihn ganz oder zum Theil um die Früchte seiner Krieg¬
führung bringen, den König zu so schnellem Abschluß drängte. Die Staats-
raison des 18. Jahrhunderts kannte nur eine Interessenpolitik, ihr entsprechend
hat Friedrich gehandelt. Treffend charakterisirt Grünhagcn die Situation in
dem Capitel über die Berechtigung des Friedens: „Der Herrscher eines kleinen
Staates von verhältnismäßig geringen Hilfsgnellen ringt mit Aufbietung aller
Energie darnach, unter Benutzung günstiger Umstände inmitten feindlich gesinnter
Großmächte soweit emporzukommen, um seinem Staate die Möglichkeit einer
selbständigen Politik, einer freien Selbstbestimmung zu sichern. Alle Kräfte seines
Landes setzt er an das große Unternehmen, und das Glück lächelt ihm, er wird
militärisch Herr des gewünschten Landerwerbes; mir als es sich darum handelt,
auch den Bundesgenossen den in Aussicht genommenen Antheil zu sichern, haben
alle seine Anstrengungen, welche diese nicht hinreichend unterstützten, keinen Er¬
folg, und er sieht sich vor die Alternative gestellt, das bereits erworbene um
der Vuudesgcuosseu willen wieder aufs Spiel zu setzen und seinen erschöpften
Ländern neue Opfer zuzumuthen, oder aber, die Vnndcsgcnosscn im Stiche lassend,
sich mit seinem Gewinn aus dem Spiele zurückzuziehen und einen Sonderfrieden
zu schließen." Und daran knüpft er weiter folgende sehr richtige Erwägung: „Wenn
trotz aller der Erwägungen, die zu Friedrichs Gunsten sprachen, sein Verfahren
vielfach mit unbilliger Härte beurtheilt worden ist, so müssen wir dabei auch
immer daran denken, daß daran vor allem der doch ganz colossale Gewinn,
den er und er allein aus dem ganzen Kampfe davongetragen, die Hauptschuld


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/464>, abgerufen am 21.09.2024.