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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die politischen Parteien und ihr Einfluß auf Justiz und Verwaltung.

L9, November .1881 zusammentrifft. Beide Staatsmänner stellen zum ersten¬
male mit Präcision die constitutionelle Regierung, wie sie in Deutschland und
Oesterreich verfassungsmäßig geregelt ist, der parlamentarischen Herrschaft in
England, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und in den Vereinigten
Staaten gegenüber. Wie der Reichskanzler unvorbereitet aber aus der reichen
Fülle seiner Erfahrungen mit dem Blicke nicht bloß des Historikers, sondern
desjenigen, der selbst Geschichte gemacht hat, die Schattenseiten der parlamenta¬
rischen Alleinherrschaft kurz bezeichnete, aber mit scharfen und eindrucksvoller
Strichen, so zeigt auch der italienische Staatsmann, wie wenig dieses Regime
den gemachten Hoffnungen entsprochen hat.

Die Gegensätze beider Systeme bestehen in Folgendem. Nach dem deutschen sind
die verschiedenen gesetzgebende!! Gewalten einander völlig gleichberechtigt, Kaiser,
Bundesrath und Reichstag im Reich, .Krone und Kammern in den Einzelstaaten
haben in der Legislative die gleiche Stellung, durch welche sie versuchen müssen,
sachlich miteinander zusammenzukommen. Die Krone steht nicht in der Gefolg¬
schaft einer Partei, sondern wirft durch ihre verantwortlichen Minister ihr volles
Schwergewicht in die Wage. Nach dem zweiten Systeme regiert die jedesmalige
Mehrheit des Unterhauses durch einen Ausschuß, welcher das zeitweilige Mi¬
nisterium bildet. Aufgabe der Krone ist es, die Beschlüsse dieser Mehrheit un¬
bedingt auszuführen, wenn das ihr allein zu Gebote stehende Mittel einer Kammer-
anflösung dieselbe Mehrheit wieder in das Parlament zurückführt.

Ans den ersten Anblick sollte man glauben, daß das letztere System dem
ersteren gegenüber die größeren Vorzüge besitze, weil es am besten die Strömung
des Volkes in der öffentliche,? Meinung wiederspiegle, aber freilich springe" so¬
fort auch zwei Angriffspunkte in die Augen: der eine, daß unter einer solchen
Herrschaft das Königthum von völlig untergeordneter Bedeutung und höchsteus
bestimmt ist, zur Bequemlichkeit der Parteien denselben die Wahl eines Staats¬
oberhauptes mit den im Gefolge desselben befindlichen Intriguen zu ersparen.
Der andere: daß ein plötzlicher Umschwung in der öffentlichen Meinung die
Gefahr mit sich führt, die Staatsmaschine aus einem Extrem plötzlich ins andre
zu stürzen und daß, wer eine parlamentarische Regierung für ein constitutionelles
Axiom hält, dasselbe auch zur Geltung bringen muß, wenn die socialdemokra¬
tische Partei eine Parlamentsmehrheit besitzt und diese zur Zerstörung eben
desjenigen Staates beuutzt, zu dessen Regierung sie berufen wird.

Von diesen beiden Nachtheilen, die von der schwerwiegendsten Bedeutung
sind, soll vorläufig abgesehen werden. Untersuchen wir vielmehr an der
Hand der Rede des Reichskanzlers und der Schilderungen von Minghetti,
welche sonstigen Folgen für das Staatsleben ans der reinen Parlaments-
regierung entsprießen können und auch bereits in einzelnen Ländern entspros¬
sen sind.-

Schon Lord Brougham, dessen liberale Anschauungsweise auch von den


Greuzlwteu VI. 1881. <i:i
Die politischen Parteien und ihr Einfluß auf Justiz und Verwaltung.

L9, November .1881 zusammentrifft. Beide Staatsmänner stellen zum ersten¬
male mit Präcision die constitutionelle Regierung, wie sie in Deutschland und
Oesterreich verfassungsmäßig geregelt ist, der parlamentarischen Herrschaft in
England, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und in den Vereinigten
Staaten gegenüber. Wie der Reichskanzler unvorbereitet aber aus der reichen
Fülle seiner Erfahrungen mit dem Blicke nicht bloß des Historikers, sondern
desjenigen, der selbst Geschichte gemacht hat, die Schattenseiten der parlamenta¬
rischen Alleinherrschaft kurz bezeichnete, aber mit scharfen und eindrucksvoller
Strichen, so zeigt auch der italienische Staatsmann, wie wenig dieses Regime
den gemachten Hoffnungen entsprochen hat.

Die Gegensätze beider Systeme bestehen in Folgendem. Nach dem deutschen sind
die verschiedenen gesetzgebende!! Gewalten einander völlig gleichberechtigt, Kaiser,
Bundesrath und Reichstag im Reich, .Krone und Kammern in den Einzelstaaten
haben in der Legislative die gleiche Stellung, durch welche sie versuchen müssen,
sachlich miteinander zusammenzukommen. Die Krone steht nicht in der Gefolg¬
schaft einer Partei, sondern wirft durch ihre verantwortlichen Minister ihr volles
Schwergewicht in die Wage. Nach dem zweiten Systeme regiert die jedesmalige
Mehrheit des Unterhauses durch einen Ausschuß, welcher das zeitweilige Mi¬
nisterium bildet. Aufgabe der Krone ist es, die Beschlüsse dieser Mehrheit un¬
bedingt auszuführen, wenn das ihr allein zu Gebote stehende Mittel einer Kammer-
anflösung dieselbe Mehrheit wieder in das Parlament zurückführt.

Ans den ersten Anblick sollte man glauben, daß das letztere System dem
ersteren gegenüber die größeren Vorzüge besitze, weil es am besten die Strömung
des Volkes in der öffentliche,? Meinung wiederspiegle, aber freilich springe» so¬
fort auch zwei Angriffspunkte in die Augen: der eine, daß unter einer solchen
Herrschaft das Königthum von völlig untergeordneter Bedeutung und höchsteus
bestimmt ist, zur Bequemlichkeit der Parteien denselben die Wahl eines Staats¬
oberhauptes mit den im Gefolge desselben befindlichen Intriguen zu ersparen.
Der andere: daß ein plötzlicher Umschwung in der öffentlichen Meinung die
Gefahr mit sich führt, die Staatsmaschine aus einem Extrem plötzlich ins andre
zu stürzen und daß, wer eine parlamentarische Regierung für ein constitutionelles
Axiom hält, dasselbe auch zur Geltung bringen muß, wenn die socialdemokra¬
tische Partei eine Parlamentsmehrheit besitzt und diese zur Zerstörung eben
desjenigen Staates beuutzt, zu dessen Regierung sie berufen wird.

Von diesen beiden Nachtheilen, die von der schwerwiegendsten Bedeutung
sind, soll vorläufig abgesehen werden. Untersuchen wir vielmehr an der
Hand der Rede des Reichskanzlers und der Schilderungen von Minghetti,
welche sonstigen Folgen für das Staatsleben ans der reinen Parlaments-
regierung entsprießen können und auch bereits in einzelnen Ländern entspros¬
sen sind.-

Schon Lord Brougham, dessen liberale Anschauungsweise auch von den


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[0499] Die politischen Parteien und ihr Einfluß auf Justiz und Verwaltung. L9, November .1881 zusammentrifft. Beide Staatsmänner stellen zum ersten¬ male mit Präcision die constitutionelle Regierung, wie sie in Deutschland und Oesterreich verfassungsmäßig geregelt ist, der parlamentarischen Herrschaft in England, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und in den Vereinigten Staaten gegenüber. Wie der Reichskanzler unvorbereitet aber aus der reichen Fülle seiner Erfahrungen mit dem Blicke nicht bloß des Historikers, sondern desjenigen, der selbst Geschichte gemacht hat, die Schattenseiten der parlamenta¬ rischen Alleinherrschaft kurz bezeichnete, aber mit scharfen und eindrucksvoller Strichen, so zeigt auch der italienische Staatsmann, wie wenig dieses Regime den gemachten Hoffnungen entsprochen hat. Die Gegensätze beider Systeme bestehen in Folgendem. Nach dem deutschen sind die verschiedenen gesetzgebende!! Gewalten einander völlig gleichberechtigt, Kaiser, Bundesrath und Reichstag im Reich, .Krone und Kammern in den Einzelstaaten haben in der Legislative die gleiche Stellung, durch welche sie versuchen müssen, sachlich miteinander zusammenzukommen. Die Krone steht nicht in der Gefolg¬ schaft einer Partei, sondern wirft durch ihre verantwortlichen Minister ihr volles Schwergewicht in die Wage. Nach dem zweiten Systeme regiert die jedesmalige Mehrheit des Unterhauses durch einen Ausschuß, welcher das zeitweilige Mi¬ nisterium bildet. Aufgabe der Krone ist es, die Beschlüsse dieser Mehrheit un¬ bedingt auszuführen, wenn das ihr allein zu Gebote stehende Mittel einer Kammer- anflösung dieselbe Mehrheit wieder in das Parlament zurückführt. Ans den ersten Anblick sollte man glauben, daß das letztere System dem ersteren gegenüber die größeren Vorzüge besitze, weil es am besten die Strömung des Volkes in der öffentliche,? Meinung wiederspiegle, aber freilich springe» so¬ fort auch zwei Angriffspunkte in die Augen: der eine, daß unter einer solchen Herrschaft das Königthum von völlig untergeordneter Bedeutung und höchsteus bestimmt ist, zur Bequemlichkeit der Parteien denselben die Wahl eines Staats¬ oberhauptes mit den im Gefolge desselben befindlichen Intriguen zu ersparen. Der andere: daß ein plötzlicher Umschwung in der öffentlichen Meinung die Gefahr mit sich führt, die Staatsmaschine aus einem Extrem plötzlich ins andre zu stürzen und daß, wer eine parlamentarische Regierung für ein constitutionelles Axiom hält, dasselbe auch zur Geltung bringen muß, wenn die socialdemokra¬ tische Partei eine Parlamentsmehrheit besitzt und diese zur Zerstörung eben desjenigen Staates beuutzt, zu dessen Regierung sie berufen wird. Von diesen beiden Nachtheilen, die von der schwerwiegendsten Bedeutung sind, soll vorläufig abgesehen werden. Untersuchen wir vielmehr an der Hand der Rede des Reichskanzlers und der Schilderungen von Minghetti, welche sonstigen Folgen für das Staatsleben ans der reinen Parlaments- regierung entsprießen können und auch bereits in einzelnen Ländern entspros¬ sen sind.- Schon Lord Brougham, dessen liberale Anschauungsweise auch von den Greuzlwteu VI. 1881. <i:i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/499>, abgerufen am 28.05.2024.