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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Molivre-Biographien.

Laune, wie Nonsicmr as ?orlroöÄUANÄ<z, us boni'Aöois Aöirtitlrommö, I^hö kour-
dvrie" als 8eg.xin, zu schaffen, wüßte man nicht ans neuern Beispielen, wie gut
sich diese Gegensätze miteinander vertragen, ja wie man gerade in den Dar¬
stellern von hinreißendster Komik auf der Bühne im Leben oft die schwer¬
mütigsten Menschen antrifft. Auch von Molivre, dem beliebten Komiker, der
schon durch seine Erscheinung Lachen erregte, wird uns berichtet, daß ihm eine
ernste, still beobachtende Lebensart eigen war. So darf uns andrerseits der
ausgelassene Humor, der in dem "Schwanengesang" Mvliöres herrscht, wo er
noch einmal, wie in den frühern Possen "Die Liebe als Arzt" und "Der Arzt
wider Willen," in ninbarmherzigster Weise den ärztlichen Stand geißelt, nicht
über des Dichters Seelenstimmung täuschen. Mahrenholtz scheint auch hier die
Wechselwirkung zwischen eignem Erlebinß und poetischem Schaffen leugnen zu
wollen, obwohl sie sich mit Gewalt aufdrängt und dnrch die einige Zeit zuvor
gegen Moliöre gerichtete Schmähschrift Nomirs dyxoooncli'L, in der er als ein¬
gebildeter, reizbarer, seiner Umgebung lästiger Mensch geschildert ist, noch
glaublicher gemacht wird, und obwohl die traurige Katastrophe nur zu bald in
erschreckender Weise eintrat.

Das tragische Ende Molieres ist bekannt. Vor der vierten Aufführung
des "Eingebildeten Kranken" -- es war am 17. Februar 1673 - fühlte er
sich übler als je. Trotzdem ließ er aus außer" Rücksichten spielen und führte
die angreifende Titelrolle des Stückes mit größter Anstrengung und unter Auf¬
bietung seiner ganzen Kraft bis zu Ende durch, obwohl schon in der letzte"
Scene Blut seinem Munde entströmte und er zusammenzubrechen drohte, so daß
er uur mit Mühe seinen Zustand dem Publicum zu verbergen vermochte. Ein
Paar Stunden darnach trat ein Blutsturz ein, und der "Eingebildete Kranke"
war -- ein todter Maun. So ist er, wie ans dem Schlachtfelde der Krieger,
auf dem Boden, da er seine Geistesschlachten schlug, bis zum letzte" Athemzuge
tapfer aufhaltend als Held dahingcsnnken.

Moliöre hinterließ nur eine Tochter. Als diese fünfzig Jahre später
kinderlos starb, erlosch mit ihr die Familie Mvliöres. Auch sonst fehlt es fast
a" allen Reliquien des großen Dichters. Seine Grabstätte ist in der Revo¬
lutionszeit zerstört und seine Gebeine sind zerstreut worden, nur eine Kinnlade
von ihm wird gläubigen Seelen noch vorgezeigt. Nicht bloß seine Briefe,
sondern auch sein ganzer schriftlicher Nachlaß mit den Originalniederschriften
seiner Stücke ist spurlos verschwunden ^ nur ein paar unbedeutende Zeilen voll
seiner Hand sind erhalten. Man hat in dieser merkwürdigen Vernichtung alles
dessen, was an Moliüre hätte gemahnen können, ein planmüßiges Handeln der
dem Dichter des "Tartüffe" auch noch nach seinem Tode feindlichen Mächte er¬
blicken wollen. Wie dem auch sein mag, eins haben sie nicht aus der Welt schaffen
können: den in seinen Werken wehenden Geist, der fortdauern und fortwirken wird,
so lauge bis unsre Cultur untergegangen und durch eine neue ersetzt sein wird.


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Zwei Molivre-Biographien.

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dvrie» als 8eg.xin, zu schaffen, wüßte man nicht ans neuern Beispielen, wie gut
sich diese Gegensätze miteinander vertragen, ja wie man gerade in den Dar¬
stellern von hinreißendster Komik auf der Bühne im Leben oft die schwer¬
mütigsten Menschen antrifft. Auch von Molivre, dem beliebten Komiker, der
schon durch seine Erscheinung Lachen erregte, wird uns berichtet, daß ihm eine
ernste, still beobachtende Lebensart eigen war. So darf uns andrerseits der
ausgelassene Humor, der in dem „Schwanengesang" Mvliöres herrscht, wo er
noch einmal, wie in den frühern Possen „Die Liebe als Arzt" und „Der Arzt
wider Willen," in ninbarmherzigster Weise den ärztlichen Stand geißelt, nicht
über des Dichters Seelenstimmung täuschen. Mahrenholtz scheint auch hier die
Wechselwirkung zwischen eignem Erlebinß und poetischem Schaffen leugnen zu
wollen, obwohl sie sich mit Gewalt aufdrängt und dnrch die einige Zeit zuvor
gegen Moliöre gerichtete Schmähschrift Nomirs dyxoooncli'L, in der er als ein¬
gebildeter, reizbarer, seiner Umgebung lästiger Mensch geschildert ist, noch
glaublicher gemacht wird, und obwohl die traurige Katastrophe nur zu bald in
erschreckender Weise eintrat.

Das tragische Ende Molieres ist bekannt. Vor der vierten Aufführung
des „Eingebildeten Kranken" — es war am 17. Februar 1673 - fühlte er
sich übler als je. Trotzdem ließ er aus außer» Rücksichten spielen und führte
die angreifende Titelrolle des Stückes mit größter Anstrengung und unter Auf¬
bietung seiner ganzen Kraft bis zu Ende durch, obwohl schon in der letzte»
Scene Blut seinem Munde entströmte und er zusammenzubrechen drohte, so daß
er uur mit Mühe seinen Zustand dem Publicum zu verbergen vermochte. Ein
Paar Stunden darnach trat ein Blutsturz ein, und der „Eingebildete Kranke"
war — ein todter Maun. So ist er, wie ans dem Schlachtfelde der Krieger,
auf dem Boden, da er seine Geistesschlachten schlug, bis zum letzte» Athemzuge
tapfer aufhaltend als Held dahingcsnnken.

Moliöre hinterließ nur eine Tochter. Als diese fünfzig Jahre später
kinderlos starb, erlosch mit ihr die Familie Mvliöres. Auch sonst fehlt es fast
a» allen Reliquien des großen Dichters. Seine Grabstätte ist in der Revo¬
lutionszeit zerstört und seine Gebeine sind zerstreut worden, nur eine Kinnlade
von ihm wird gläubigen Seelen noch vorgezeigt. Nicht bloß seine Briefe,
sondern auch sein ganzer schriftlicher Nachlaß mit den Originalniederschriften
seiner Stücke ist spurlos verschwunden ^ nur ein paar unbedeutende Zeilen voll
seiner Hand sind erhalten. Man hat in dieser merkwürdigen Vernichtung alles
dessen, was an Moliüre hätte gemahnen können, ein planmüßiges Handeln der
dem Dichter des „Tartüffe" auch noch nach seinem Tode feindlichen Mächte er¬
blicken wollen. Wie dem auch sein mag, eins haben sie nicht aus der Welt schaffen
können: den in seinen Werken wehenden Geist, der fortdauern und fortwirken wird,
so lauge bis unsre Cultur untergegangen und durch eine neue ersetzt sein wird.


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[0515] Zwei Molivre-Biographien. Laune, wie Nonsicmr as ?orlroöÄUANÄ<z, us boni'Aöois Aöirtitlrommö, I^hö kour- dvrie» als 8eg.xin, zu schaffen, wüßte man nicht ans neuern Beispielen, wie gut sich diese Gegensätze miteinander vertragen, ja wie man gerade in den Dar¬ stellern von hinreißendster Komik auf der Bühne im Leben oft die schwer¬ mütigsten Menschen antrifft. Auch von Molivre, dem beliebten Komiker, der schon durch seine Erscheinung Lachen erregte, wird uns berichtet, daß ihm eine ernste, still beobachtende Lebensart eigen war. So darf uns andrerseits der ausgelassene Humor, der in dem „Schwanengesang" Mvliöres herrscht, wo er noch einmal, wie in den frühern Possen „Die Liebe als Arzt" und „Der Arzt wider Willen," in ninbarmherzigster Weise den ärztlichen Stand geißelt, nicht über des Dichters Seelenstimmung täuschen. Mahrenholtz scheint auch hier die Wechselwirkung zwischen eignem Erlebinß und poetischem Schaffen leugnen zu wollen, obwohl sie sich mit Gewalt aufdrängt und dnrch die einige Zeit zuvor gegen Moliöre gerichtete Schmähschrift Nomirs dyxoooncli'L, in der er als ein¬ gebildeter, reizbarer, seiner Umgebung lästiger Mensch geschildert ist, noch glaublicher gemacht wird, und obwohl die traurige Katastrophe nur zu bald in erschreckender Weise eintrat. Das tragische Ende Molieres ist bekannt. Vor der vierten Aufführung des „Eingebildeten Kranken" — es war am 17. Februar 1673 - fühlte er sich übler als je. Trotzdem ließ er aus außer» Rücksichten spielen und führte die angreifende Titelrolle des Stückes mit größter Anstrengung und unter Auf¬ bietung seiner ganzen Kraft bis zu Ende durch, obwohl schon in der letzte» Scene Blut seinem Munde entströmte und er zusammenzubrechen drohte, so daß er uur mit Mühe seinen Zustand dem Publicum zu verbergen vermochte. Ein Paar Stunden darnach trat ein Blutsturz ein, und der „Eingebildete Kranke" war — ein todter Maun. So ist er, wie ans dem Schlachtfelde der Krieger, auf dem Boden, da er seine Geistesschlachten schlug, bis zum letzte» Athemzuge tapfer aufhaltend als Held dahingcsnnken. Moliöre hinterließ nur eine Tochter. Als diese fünfzig Jahre später kinderlos starb, erlosch mit ihr die Familie Mvliöres. Auch sonst fehlt es fast a» allen Reliquien des großen Dichters. Seine Grabstätte ist in der Revo¬ lutionszeit zerstört und seine Gebeine sind zerstreut worden, nur eine Kinnlade von ihm wird gläubigen Seelen noch vorgezeigt. Nicht bloß seine Briefe, sondern auch sein ganzer schriftlicher Nachlaß mit den Originalniederschriften seiner Stücke ist spurlos verschwunden ^ nur ein paar unbedeutende Zeilen voll seiner Hand sind erhalten. Man hat in dieser merkwürdigen Vernichtung alles dessen, was an Moliüre hätte gemahnen können, ein planmüßiges Handeln der dem Dichter des „Tartüffe" auch noch nach seinem Tode feindlichen Mächte er¬ blicken wollen. Wie dem auch sein mag, eins haben sie nicht aus der Welt schaffen können: den in seinen Werken wehenden Geist, der fortdauern und fortwirken wird, so lauge bis unsre Cultur untergegangen und durch eine neue ersetzt sein wird. Ärnljbmm IV. 188t. on

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/515>, abgerufen am 15.05.2024.