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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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die Entscheidung concreter Fragen vorbereitet zu sein. Dazu bedarf es eines
Zusammenwirkens von Männern, die das Studium des betreffenden Gegen¬
standes sich zur Lebensaufgabe gemacht haben und das ganze in Betracht kom¬
mende historische und statistische Material beherrschen, mit solchen Interessenten
aller Gewerbszweige, von denen ein einsichtsvolles Urtheil über die Wirkung der
ins Auge gefaßten Maßregeln zu erwarten ist. "Mit andern Worten, die De¬
tailberathung volkswirthschaftlicher Fragen gehört in eine ack b.00 zusammenge¬
setzte Körperschaft, nicht in ein politisches Parlament," welches, abgesehen von
der seinen Mitgliedern mangelnden Vorbildung zur Berathung solcher Fragen
in ihren Einzelnheiten, seine Entscheidungen nach politischen Parteirücksichten zu
treffen gewohnt ist. "Dem Parlamente kann sehr wohl der ihm zustehende Ein¬
fluß gewahrt werden, wenn die aus dem Vvlkswirthschaftsrathe hervorgegangenen
Gesetzcsvorlagen ihm zur Annahme oder Ablehnung mit Ausschluß jeder Amen-
dirung vorgelegt werden."

Der Freihandel ist "ein Ideal, dessen Verwirklichung angestrebt werden muß,
sobald die Bedingungen seiner Möglichkeit gegeben sind; alle Schutzzolltheorien
beanspruchen bloß provisorische Geltung." Die erste jener Bedingungen ist, daß
der Handel zwischen uns und einem andern Staate auf Gegenseitigkeit beruhe,
daß er nicht bloß Empfänger, sondern auch Geber von Jndustrieerzengnissen sei,
und das wird nur der Fall sein, wo die austauschenden Länder auf nahezu
gleicher wirthschaftlicher Culturstufe stehen. "Wo ein Land von höherer wirth¬
schaftlicher Culturstufe mit einem solchen von namhaft tieferer Freihandel treibt,
da gestaltet sich die Handelsfreiheit allemal zur Ausbeutungsfreiheit." Dies
zeigte sich in dem frühern Verhältnisse zwischen Deutschland und England.
Wenn der Welt von letzerem die Freihandelsdoctrin angepriesen wurde, so war
das nationaler Egoismus, da England unter weit günstigeren Bedingungen pro-
ducirte als alle andern Länder. Alle großen Culturstaaten erkannten das und
schlössen sich durch hohe Schutzzölle gegen die Ausbeutungsgclüste der englischen
Handelspolitik ab. Nur Deutschland "segelte infolge einer sachwidrigen Ver¬
quickung von wirthschaftlichem und politischem Liberalismus auch in den siebziger
Jahren noch im Fahrwasser der Tarifherabsetzungen weiter. .. . Die Folge davon
war ein Metallabfluß, der schon vor dem französischen Kriege unsre Valuta
bedrohte und dieselbe trotz solider Bankverhültnisse tief unter Pari herabgedrückt
haben würde, wenn die französische Kriegseontribution nicht gerade hingereicht
hätte, die Verluste eines Jahrzehnts zu decken."

Wer den wahren Freihandel will, bei welchem kein Theil verliert, sondern
beide gewinnen, der muß zunächst gegen die englische Ausbeutungsfrciheit wirken,
also für Schutzzölle. Das daran sich schließende positive Verfahren hat mit
der Gründung und allmählichen Erweiterung des deutschen Zollvereins begonnen
und muß mit allmählicher Ausdehnung desselben zu einem continentalen Zoll¬
vereine fortgesetzt werden, der ganz Europa mit Ausnahme Englands umfaßt


die Entscheidung concreter Fragen vorbereitet zu sein. Dazu bedarf es eines
Zusammenwirkens von Männern, die das Studium des betreffenden Gegen¬
standes sich zur Lebensaufgabe gemacht haben und das ganze in Betracht kom¬
mende historische und statistische Material beherrschen, mit solchen Interessenten
aller Gewerbszweige, von denen ein einsichtsvolles Urtheil über die Wirkung der
ins Auge gefaßten Maßregeln zu erwarten ist. „Mit andern Worten, die De¬
tailberathung volkswirthschaftlicher Fragen gehört in eine ack b.00 zusammenge¬
setzte Körperschaft, nicht in ein politisches Parlament," welches, abgesehen von
der seinen Mitgliedern mangelnden Vorbildung zur Berathung solcher Fragen
in ihren Einzelnheiten, seine Entscheidungen nach politischen Parteirücksichten zu
treffen gewohnt ist. „Dem Parlamente kann sehr wohl der ihm zustehende Ein¬
fluß gewahrt werden, wenn die aus dem Vvlkswirthschaftsrathe hervorgegangenen
Gesetzcsvorlagen ihm zur Annahme oder Ablehnung mit Ausschluß jeder Amen-
dirung vorgelegt werden."

Der Freihandel ist „ein Ideal, dessen Verwirklichung angestrebt werden muß,
sobald die Bedingungen seiner Möglichkeit gegeben sind; alle Schutzzolltheorien
beanspruchen bloß provisorische Geltung." Die erste jener Bedingungen ist, daß
der Handel zwischen uns und einem andern Staate auf Gegenseitigkeit beruhe,
daß er nicht bloß Empfänger, sondern auch Geber von Jndustrieerzengnissen sei,
und das wird nur der Fall sein, wo die austauschenden Länder auf nahezu
gleicher wirthschaftlicher Culturstufe stehen. „Wo ein Land von höherer wirth¬
schaftlicher Culturstufe mit einem solchen von namhaft tieferer Freihandel treibt,
da gestaltet sich die Handelsfreiheit allemal zur Ausbeutungsfreiheit." Dies
zeigte sich in dem frühern Verhältnisse zwischen Deutschland und England.
Wenn der Welt von letzerem die Freihandelsdoctrin angepriesen wurde, so war
das nationaler Egoismus, da England unter weit günstigeren Bedingungen pro-
ducirte als alle andern Länder. Alle großen Culturstaaten erkannten das und
schlössen sich durch hohe Schutzzölle gegen die Ausbeutungsgclüste der englischen
Handelspolitik ab. Nur Deutschland „segelte infolge einer sachwidrigen Ver¬
quickung von wirthschaftlichem und politischem Liberalismus auch in den siebziger
Jahren noch im Fahrwasser der Tarifherabsetzungen weiter. .. . Die Folge davon
war ein Metallabfluß, der schon vor dem französischen Kriege unsre Valuta
bedrohte und dieselbe trotz solider Bankverhültnisse tief unter Pari herabgedrückt
haben würde, wenn die französische Kriegseontribution nicht gerade hingereicht
hätte, die Verluste eines Jahrzehnts zu decken."

Wer den wahren Freihandel will, bei welchem kein Theil verliert, sondern
beide gewinnen, der muß zunächst gegen die englische Ausbeutungsfrciheit wirken,
also für Schutzzölle. Das daran sich schließende positive Verfahren hat mit
der Gründung und allmählichen Erweiterung des deutschen Zollvereins begonnen
und muß mit allmählicher Ausdehnung desselben zu einem continentalen Zoll¬
vereine fortgesetzt werden, der ganz Europa mit Ausnahme Englands umfaßt


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[0540] die Entscheidung concreter Fragen vorbereitet zu sein. Dazu bedarf es eines Zusammenwirkens von Männern, die das Studium des betreffenden Gegen¬ standes sich zur Lebensaufgabe gemacht haben und das ganze in Betracht kom¬ mende historische und statistische Material beherrschen, mit solchen Interessenten aller Gewerbszweige, von denen ein einsichtsvolles Urtheil über die Wirkung der ins Auge gefaßten Maßregeln zu erwarten ist. „Mit andern Worten, die De¬ tailberathung volkswirthschaftlicher Fragen gehört in eine ack b.00 zusammenge¬ setzte Körperschaft, nicht in ein politisches Parlament," welches, abgesehen von der seinen Mitgliedern mangelnden Vorbildung zur Berathung solcher Fragen in ihren Einzelnheiten, seine Entscheidungen nach politischen Parteirücksichten zu treffen gewohnt ist. „Dem Parlamente kann sehr wohl der ihm zustehende Ein¬ fluß gewahrt werden, wenn die aus dem Vvlkswirthschaftsrathe hervorgegangenen Gesetzcsvorlagen ihm zur Annahme oder Ablehnung mit Ausschluß jeder Amen- dirung vorgelegt werden." Der Freihandel ist „ein Ideal, dessen Verwirklichung angestrebt werden muß, sobald die Bedingungen seiner Möglichkeit gegeben sind; alle Schutzzolltheorien beanspruchen bloß provisorische Geltung." Die erste jener Bedingungen ist, daß der Handel zwischen uns und einem andern Staate auf Gegenseitigkeit beruhe, daß er nicht bloß Empfänger, sondern auch Geber von Jndustrieerzengnissen sei, und das wird nur der Fall sein, wo die austauschenden Länder auf nahezu gleicher wirthschaftlicher Culturstufe stehen. „Wo ein Land von höherer wirth¬ schaftlicher Culturstufe mit einem solchen von namhaft tieferer Freihandel treibt, da gestaltet sich die Handelsfreiheit allemal zur Ausbeutungsfreiheit." Dies zeigte sich in dem frühern Verhältnisse zwischen Deutschland und England. Wenn der Welt von letzerem die Freihandelsdoctrin angepriesen wurde, so war das nationaler Egoismus, da England unter weit günstigeren Bedingungen pro- ducirte als alle andern Länder. Alle großen Culturstaaten erkannten das und schlössen sich durch hohe Schutzzölle gegen die Ausbeutungsgclüste der englischen Handelspolitik ab. Nur Deutschland „segelte infolge einer sachwidrigen Ver¬ quickung von wirthschaftlichem und politischem Liberalismus auch in den siebziger Jahren noch im Fahrwasser der Tarifherabsetzungen weiter. .. . Die Folge davon war ein Metallabfluß, der schon vor dem französischen Kriege unsre Valuta bedrohte und dieselbe trotz solider Bankverhültnisse tief unter Pari herabgedrückt haben würde, wenn die französische Kriegseontribution nicht gerade hingereicht hätte, die Verluste eines Jahrzehnts zu decken." Wer den wahren Freihandel will, bei welchem kein Theil verliert, sondern beide gewinnen, der muß zunächst gegen die englische Ausbeutungsfrciheit wirken, also für Schutzzölle. Das daran sich schließende positive Verfahren hat mit der Gründung und allmählichen Erweiterung des deutschen Zollvereins begonnen und muß mit allmählicher Ausdehnung desselben zu einem continentalen Zoll¬ vereine fortgesetzt werden, der ganz Europa mit Ausnahme Englands umfaßt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/540>, abgerufen am 15.05.2024.