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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Friedrich Spielhagen und sein Ich-Roman.

Dieselbe Wahrnehmung machte man in den spätern Romanen Spielhagens, wo
er, durch den Erfolg bei der Menge kühn gemacht, freilich mehr und mehr auf¬
hörte zu zweifeln und sich zu wundern und dafür anfing, den eignen Gedanken¬
schleim für den Nährbrei der Welt zu halten, aber doch nicht imstande war,
sich zu einer einheitlichen Weltanschauung hindurchzuringen. Dies trat besonders
i" dem Roman "In Reih' und Glied" hervor, wo er es wagte, einen Mann
zu schildern, der von ihm schon aus dem einfachen Grunde nicht erfaßt werden
konnte, weil er an geistiger Bedeutung über dem Darsteller stand, und wo er
Verhältnisse und Zustände der wirtschaftlichen Entwicklung anschaulich machen
wollte, welche jenseits seines Horizontes lagen.

Man konnte aus diesem Roman wieder rückwärts schließen: Wenn Spiel¬
hagen nicht einmal die Zustände des realen Lebens seines eignen Volkes in
einer logischen Weise, sei es selbst in falscher Richtung, aufzufassen imstande ist,
wie will er dann an die höchsten Probleme auf jener Grenze sich wagen, wo
die Realität des Menschenlebens überhaupt sich mit dem Gebiete göttlicher Vor¬
sehung berührt? Und so wurde man mit Bedauern bei dieser vielfach liebens¬
würdigen Dichternatur an die harten Worte Schopenhauers erinnert: "Da wird
nach homöopathischer Methode das schwache Minimum eines Gedankens mit
50 Seiten Wortschwall diluirt, und nun, mit grenzenlosem Zutrauen zur wahr¬
haft deutschen Geduld des Lesers, ganz gelassen, Seite nach Seite, so fortge-
trcitscht. Vergeblich hofft der zu dieser Lectüre verurtheilte Kopf auf eigentliche,
solide und substantielle Gedanken, schmachtet, ja, er schmachtet nach irgend einem
Gedanken, wie der Reisende in der arabischen Wüste nach Wasser -- und muß
verschmachten." Schopenhauer spricht hier allerdings vom Philosophen, aber soll
nicht auch der Dichter so ein bischen Philosoph sein? Soll nicht auch im
Roman wenigstens so ein bischen zu denken gegeben werden? Wir meinen,
er sollte die Eigenschaften des Philosophen erst recht besitzen, da er die Bilder
des Lebens doch wohl nicht bloß Photographiren soll. Und Spielhagen will
auch denken. Wir erinnern uns neben andern seiner Denkanläufe einer Stelle
aus den "Problematischen," wo die beiden Helden den alten bekannten Satz
über die Verachtung erwägen: Verachte die Welt ?e. Genannte Helden stolpern
über das "Verachte dich selbst" und fallen beim "Verachte, daß du verachtet
wirst" völlig zu Boden. Ja, wenn hier des Dichters Philosophie schon schei¬
tert, dann hat er eben die allereinfachsten und ersten Geisteszüge großer Männer
nie bemerkt.

Nun fiel uns dieser Tage ein Aufsatz über den Ich-Roman von Spiel¬
hagen, in den Westermannschen Monatsheften, ins Auge, und wir konnten uus
bei der Lectüre des Lächelns nicht erwehren. Was zunächst die Einleitung und
die Fundamentalsätze der Auseinandersetzung betrifft -- geschrieben in jenem
modern gewordenen Stil, der auch Auerbach und neuerdings Gustav Freytag
anhaftet und bedenklich an den der?iöoi6usöL ricUeulss gemahnt -- so mußten


Friedrich Spielhagen und sein Ich-Roman.

Dieselbe Wahrnehmung machte man in den spätern Romanen Spielhagens, wo
er, durch den Erfolg bei der Menge kühn gemacht, freilich mehr und mehr auf¬
hörte zu zweifeln und sich zu wundern und dafür anfing, den eignen Gedanken¬
schleim für den Nährbrei der Welt zu halten, aber doch nicht imstande war,
sich zu einer einheitlichen Weltanschauung hindurchzuringen. Dies trat besonders
i» dem Roman „In Reih' und Glied" hervor, wo er es wagte, einen Mann
zu schildern, der von ihm schon aus dem einfachen Grunde nicht erfaßt werden
konnte, weil er an geistiger Bedeutung über dem Darsteller stand, und wo er
Verhältnisse und Zustände der wirtschaftlichen Entwicklung anschaulich machen
wollte, welche jenseits seines Horizontes lagen.

Man konnte aus diesem Roman wieder rückwärts schließen: Wenn Spiel¬
hagen nicht einmal die Zustände des realen Lebens seines eignen Volkes in
einer logischen Weise, sei es selbst in falscher Richtung, aufzufassen imstande ist,
wie will er dann an die höchsten Probleme auf jener Grenze sich wagen, wo
die Realität des Menschenlebens überhaupt sich mit dem Gebiete göttlicher Vor¬
sehung berührt? Und so wurde man mit Bedauern bei dieser vielfach liebens¬
würdigen Dichternatur an die harten Worte Schopenhauers erinnert: „Da wird
nach homöopathischer Methode das schwache Minimum eines Gedankens mit
50 Seiten Wortschwall diluirt, und nun, mit grenzenlosem Zutrauen zur wahr¬
haft deutschen Geduld des Lesers, ganz gelassen, Seite nach Seite, so fortge-
trcitscht. Vergeblich hofft der zu dieser Lectüre verurtheilte Kopf auf eigentliche,
solide und substantielle Gedanken, schmachtet, ja, er schmachtet nach irgend einem
Gedanken, wie der Reisende in der arabischen Wüste nach Wasser — und muß
verschmachten." Schopenhauer spricht hier allerdings vom Philosophen, aber soll
nicht auch der Dichter so ein bischen Philosoph sein? Soll nicht auch im
Roman wenigstens so ein bischen zu denken gegeben werden? Wir meinen,
er sollte die Eigenschaften des Philosophen erst recht besitzen, da er die Bilder
des Lebens doch wohl nicht bloß Photographiren soll. Und Spielhagen will
auch denken. Wir erinnern uns neben andern seiner Denkanläufe einer Stelle
aus den „Problematischen," wo die beiden Helden den alten bekannten Satz
über die Verachtung erwägen: Verachte die Welt ?e. Genannte Helden stolpern
über das „Verachte dich selbst" und fallen beim „Verachte, daß du verachtet
wirst" völlig zu Boden. Ja, wenn hier des Dichters Philosophie schon schei¬
tert, dann hat er eben die allereinfachsten und ersten Geisteszüge großer Männer
nie bemerkt.

Nun fiel uns dieser Tage ein Aufsatz über den Ich-Roman von Spiel¬
hagen, in den Westermannschen Monatsheften, ins Auge, und wir konnten uus
bei der Lectüre des Lächelns nicht erwehren. Was zunächst die Einleitung und
die Fundamentalsätze der Auseinandersetzung betrifft — geschrieben in jenem
modern gewordenen Stil, der auch Auerbach und neuerdings Gustav Freytag
anhaftet und bedenklich an den der?iöoi6usöL ricUeulss gemahnt — so mußten


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[0562] Friedrich Spielhagen und sein Ich-Roman. Dieselbe Wahrnehmung machte man in den spätern Romanen Spielhagens, wo er, durch den Erfolg bei der Menge kühn gemacht, freilich mehr und mehr auf¬ hörte zu zweifeln und sich zu wundern und dafür anfing, den eignen Gedanken¬ schleim für den Nährbrei der Welt zu halten, aber doch nicht imstande war, sich zu einer einheitlichen Weltanschauung hindurchzuringen. Dies trat besonders i» dem Roman „In Reih' und Glied" hervor, wo er es wagte, einen Mann zu schildern, der von ihm schon aus dem einfachen Grunde nicht erfaßt werden konnte, weil er an geistiger Bedeutung über dem Darsteller stand, und wo er Verhältnisse und Zustände der wirtschaftlichen Entwicklung anschaulich machen wollte, welche jenseits seines Horizontes lagen. Man konnte aus diesem Roman wieder rückwärts schließen: Wenn Spiel¬ hagen nicht einmal die Zustände des realen Lebens seines eignen Volkes in einer logischen Weise, sei es selbst in falscher Richtung, aufzufassen imstande ist, wie will er dann an die höchsten Probleme auf jener Grenze sich wagen, wo die Realität des Menschenlebens überhaupt sich mit dem Gebiete göttlicher Vor¬ sehung berührt? Und so wurde man mit Bedauern bei dieser vielfach liebens¬ würdigen Dichternatur an die harten Worte Schopenhauers erinnert: „Da wird nach homöopathischer Methode das schwache Minimum eines Gedankens mit 50 Seiten Wortschwall diluirt, und nun, mit grenzenlosem Zutrauen zur wahr¬ haft deutschen Geduld des Lesers, ganz gelassen, Seite nach Seite, so fortge- trcitscht. Vergeblich hofft der zu dieser Lectüre verurtheilte Kopf auf eigentliche, solide und substantielle Gedanken, schmachtet, ja, er schmachtet nach irgend einem Gedanken, wie der Reisende in der arabischen Wüste nach Wasser — und muß verschmachten." Schopenhauer spricht hier allerdings vom Philosophen, aber soll nicht auch der Dichter so ein bischen Philosoph sein? Soll nicht auch im Roman wenigstens so ein bischen zu denken gegeben werden? Wir meinen, er sollte die Eigenschaften des Philosophen erst recht besitzen, da er die Bilder des Lebens doch wohl nicht bloß Photographiren soll. Und Spielhagen will auch denken. Wir erinnern uns neben andern seiner Denkanläufe einer Stelle aus den „Problematischen," wo die beiden Helden den alten bekannten Satz über die Verachtung erwägen: Verachte die Welt ?e. Genannte Helden stolpern über das „Verachte dich selbst" und fallen beim „Verachte, daß du verachtet wirst" völlig zu Boden. Ja, wenn hier des Dichters Philosophie schon schei¬ tert, dann hat er eben die allereinfachsten und ersten Geisteszüge großer Männer nie bemerkt. Nun fiel uns dieser Tage ein Aufsatz über den Ich-Roman von Spiel¬ hagen, in den Westermannschen Monatsheften, ins Auge, und wir konnten uus bei der Lectüre des Lächelns nicht erwehren. Was zunächst die Einleitung und die Fundamentalsätze der Auseinandersetzung betrifft — geschrieben in jenem modern gewordenen Stil, der auch Auerbach und neuerdings Gustav Freytag anhaftet und bedenklich an den der?iöoi6usöL ricUeulss gemahnt — so mußten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/562>, abgerufen am 14.05.2024.