Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

singen, als was sein Publicum hören wollte. Sein Denken, Fühlen, Schallen
war das Denken, Fühlen, Schauen seines Volkes, der harmonisch geordneten,
übersichtlichen, schönen griechischen Welt, Dagegegen ist der moderne Dichter
übel daran, "er, der Arme, der immer durch zwei Brillen sehen muß, von
denen die eine jedem seiner Zeit- und Volksgenossen paßt, während durch die
andre nur er sehen kann."

Zunächst sei hier beiläufig gefragt, wie Spielhagen sich darauf einlassen
konnte, stets von homerischen Dichtern zu reden anstatt von Homer? Für den
Archäologen mögen derartige Dinge gut sein, dem Philologen mag es gestattet
sein, die wissenschaftliche Forschung bis zu der Entdeckung zu treiben, daß Homer
nicht existirt habe, daß Ilias und Odyssee Compilationen seien. Es ist dies das
alte Lied: Der Professor ist eine Person, Gott ist keine. Aber dem, der selbst
ein Dichter sein will, steht das nicht hübsch zu Gesicht. Was würde Spiel¬
hagen antworte", wenn man ihn fragte, ob er die "Problematischen" allein ge¬
schrieben habe? Würde er es nicht übel nehmen, wenn jemand voraussetzte,
ein Bureau vou jungen Leuten schriebe seine Romane? Würde er nicht denken:
Du mußt ein schwaches Schönheitsgefühl haben, wenn du nicht merkst, daß eine
und dieselbe Hand den Anfang und das Ende schuf? Und nun will er dem
Vater Homer weigern, was er sicher für sich selbst in Anspruch nehmen wird:
die Originalität, die Individualität, den Dichter als Person?

Doch zur Sache. Spielhagen ist der Meinung, der moderne Dichter müsse
durch zwei Brillen sehen, eine Volksbrille und eine, welche nur sür ihn passe.
Wenn die Sache nicht so herzlich dumm wäre, könnte man sie wahrhaftig ver¬
wünscht gescheidt nennen. Ist Spielhagen etwa der Meinung, auch der Maler
müsse durch zwei Brillen sehen, eine, durch welche das Volk die Bilder sehe,
eine andre, durch welche er selbst sie betrachte? Ist er der Ansicht, der Bild¬
hauer schaffe Statuen mit Hilfe zweier Brillen, die eine dem Volke, die andre
ihm selber passend? Oder der Architekt baue Häuser mit Hilfe zweier Brillen,
deren eine das Haus zeige, worin das Volk, die andre aber das Haus, worin
er selbst gern wohnte? Oder der Componist schaffe mit zwei Brillen, deren eine,
die Volksbrille, solche Noten erkennen lasse, welche das Volk, die andre aber
solche, welche er selber liebt? Hat er wohl einmal bedacht, daß es überhaupt
keine Künste giebt, sondern nur eine Kunst? Und weiß er, daß die Kunst der
Cultus des Schönen, das Schöne aber nur sich selber gleich, unveränderlich
und immer dasselbe ist? Hat er bedacht, daß der Künstler der Priester des
Schönen, daß er im Dienste einer Gottheit ist? Daß das Volk aber durch ihn
mit dem Ewigen, mit dem Schönen bekannt gemacht werden soll?

Und weiter: Die griechische Welt soll so harmonisch gefügt gewesen sein,
daß keine zwei Brillen nöthig waren; sie war übersichtlich, war verständlich für
den Dichter. Jetzt ist sie nicht mehr übersichtlich, nicht mehr harmonisch, der
Dichter ist nicht mehr der Herold seines Volkes. Mit einem Worte, wie wir


singen, als was sein Publicum hören wollte. Sein Denken, Fühlen, Schallen
war das Denken, Fühlen, Schauen seines Volkes, der harmonisch geordneten,
übersichtlichen, schönen griechischen Welt, Dagegegen ist der moderne Dichter
übel daran, „er, der Arme, der immer durch zwei Brillen sehen muß, von
denen die eine jedem seiner Zeit- und Volksgenossen paßt, während durch die
andre nur er sehen kann."

Zunächst sei hier beiläufig gefragt, wie Spielhagen sich darauf einlassen
konnte, stets von homerischen Dichtern zu reden anstatt von Homer? Für den
Archäologen mögen derartige Dinge gut sein, dem Philologen mag es gestattet
sein, die wissenschaftliche Forschung bis zu der Entdeckung zu treiben, daß Homer
nicht existirt habe, daß Ilias und Odyssee Compilationen seien. Es ist dies das
alte Lied: Der Professor ist eine Person, Gott ist keine. Aber dem, der selbst
ein Dichter sein will, steht das nicht hübsch zu Gesicht. Was würde Spiel¬
hagen antworte», wenn man ihn fragte, ob er die „Problematischen" allein ge¬
schrieben habe? Würde er es nicht übel nehmen, wenn jemand voraussetzte,
ein Bureau vou jungen Leuten schriebe seine Romane? Würde er nicht denken:
Du mußt ein schwaches Schönheitsgefühl haben, wenn du nicht merkst, daß eine
und dieselbe Hand den Anfang und das Ende schuf? Und nun will er dem
Vater Homer weigern, was er sicher für sich selbst in Anspruch nehmen wird:
die Originalität, die Individualität, den Dichter als Person?

Doch zur Sache. Spielhagen ist der Meinung, der moderne Dichter müsse
durch zwei Brillen sehen, eine Volksbrille und eine, welche nur sür ihn passe.
Wenn die Sache nicht so herzlich dumm wäre, könnte man sie wahrhaftig ver¬
wünscht gescheidt nennen. Ist Spielhagen etwa der Meinung, auch der Maler
müsse durch zwei Brillen sehen, eine, durch welche das Volk die Bilder sehe,
eine andre, durch welche er selbst sie betrachte? Ist er der Ansicht, der Bild¬
hauer schaffe Statuen mit Hilfe zweier Brillen, die eine dem Volke, die andre
ihm selber passend? Oder der Architekt baue Häuser mit Hilfe zweier Brillen,
deren eine das Haus zeige, worin das Volk, die andre aber das Haus, worin
er selbst gern wohnte? Oder der Componist schaffe mit zwei Brillen, deren eine,
die Volksbrille, solche Noten erkennen lasse, welche das Volk, die andre aber
solche, welche er selber liebt? Hat er wohl einmal bedacht, daß es überhaupt
keine Künste giebt, sondern nur eine Kunst? Und weiß er, daß die Kunst der
Cultus des Schönen, das Schöne aber nur sich selber gleich, unveränderlich
und immer dasselbe ist? Hat er bedacht, daß der Künstler der Priester des
Schönen, daß er im Dienste einer Gottheit ist? Daß das Volk aber durch ihn
mit dem Ewigen, mit dem Schönen bekannt gemacht werden soll?

Und weiter: Die griechische Welt soll so harmonisch gefügt gewesen sein,
daß keine zwei Brillen nöthig waren; sie war übersichtlich, war verständlich für
den Dichter. Jetzt ist sie nicht mehr übersichtlich, nicht mehr harmonisch, der
Dichter ist nicht mehr der Herold seines Volkes. Mit einem Worte, wie wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0564" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151286"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1828" prev="#ID_1827"> singen, als was sein Publicum hören wollte. Sein Denken, Fühlen, Schallen<lb/>
war das Denken, Fühlen, Schauen seines Volkes, der harmonisch geordneten,<lb/>
übersichtlichen, schönen griechischen Welt, Dagegegen ist der moderne Dichter<lb/>
übel daran, &#x201E;er, der Arme, der immer durch zwei Brillen sehen muß, von<lb/>
denen die eine jedem seiner Zeit- und Volksgenossen paßt, während durch die<lb/>
andre nur er sehen kann."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1829"> Zunächst sei hier beiläufig gefragt, wie Spielhagen sich darauf einlassen<lb/>
konnte, stets von homerischen Dichtern zu reden anstatt von Homer? Für den<lb/>
Archäologen mögen derartige Dinge gut sein, dem Philologen mag es gestattet<lb/>
sein, die wissenschaftliche Forschung bis zu der Entdeckung zu treiben, daß Homer<lb/>
nicht existirt habe, daß Ilias und Odyssee Compilationen seien. Es ist dies das<lb/>
alte Lied: Der Professor ist eine Person, Gott ist keine. Aber dem, der selbst<lb/>
ein Dichter sein will, steht das nicht hübsch zu Gesicht. Was würde Spiel¬<lb/>
hagen antworte», wenn man ihn fragte, ob er die &#x201E;Problematischen" allein ge¬<lb/>
schrieben habe? Würde er es nicht übel nehmen, wenn jemand voraussetzte,<lb/>
ein Bureau vou jungen Leuten schriebe seine Romane? Würde er nicht denken:<lb/>
Du mußt ein schwaches Schönheitsgefühl haben, wenn du nicht merkst, daß eine<lb/>
und dieselbe Hand den Anfang und das Ende schuf? Und nun will er dem<lb/>
Vater Homer weigern, was er sicher für sich selbst in Anspruch nehmen wird:<lb/>
die Originalität, die Individualität, den Dichter als Person?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1830"> Doch zur Sache. Spielhagen ist der Meinung, der moderne Dichter müsse<lb/>
durch zwei Brillen sehen, eine Volksbrille und eine, welche nur sür ihn passe.<lb/>
Wenn die Sache nicht so herzlich dumm wäre, könnte man sie wahrhaftig ver¬<lb/>
wünscht gescheidt nennen. Ist Spielhagen etwa der Meinung, auch der Maler<lb/>
müsse durch zwei Brillen sehen, eine, durch welche das Volk die Bilder sehe,<lb/>
eine andre, durch welche er selbst sie betrachte? Ist er der Ansicht, der Bild¬<lb/>
hauer schaffe Statuen mit Hilfe zweier Brillen, die eine dem Volke, die andre<lb/>
ihm selber passend? Oder der Architekt baue Häuser mit Hilfe zweier Brillen,<lb/>
deren eine das Haus zeige, worin das Volk, die andre aber das Haus, worin<lb/>
er selbst gern wohnte? Oder der Componist schaffe mit zwei Brillen, deren eine,<lb/>
die Volksbrille, solche Noten erkennen lasse, welche das Volk, die andre aber<lb/>
solche, welche er selber liebt? Hat er wohl einmal bedacht, daß es überhaupt<lb/>
keine Künste giebt, sondern nur eine Kunst? Und weiß er, daß die Kunst der<lb/>
Cultus des Schönen, das Schöne aber nur sich selber gleich, unveränderlich<lb/>
und immer dasselbe ist? Hat er bedacht, daß der Künstler der Priester des<lb/>
Schönen, daß er im Dienste einer Gottheit ist? Daß das Volk aber durch ihn<lb/>
mit dem Ewigen, mit dem Schönen bekannt gemacht werden soll?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1831" next="#ID_1832"> Und weiter: Die griechische Welt soll so harmonisch gefügt gewesen sein,<lb/>
daß keine zwei Brillen nöthig waren; sie war übersichtlich, war verständlich für<lb/>
den Dichter. Jetzt ist sie nicht mehr übersichtlich, nicht mehr harmonisch, der<lb/>
Dichter ist nicht mehr der Herold seines Volkes. Mit einem Worte, wie wir</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0564] singen, als was sein Publicum hören wollte. Sein Denken, Fühlen, Schallen war das Denken, Fühlen, Schauen seines Volkes, der harmonisch geordneten, übersichtlichen, schönen griechischen Welt, Dagegegen ist der moderne Dichter übel daran, „er, der Arme, der immer durch zwei Brillen sehen muß, von denen die eine jedem seiner Zeit- und Volksgenossen paßt, während durch die andre nur er sehen kann." Zunächst sei hier beiläufig gefragt, wie Spielhagen sich darauf einlassen konnte, stets von homerischen Dichtern zu reden anstatt von Homer? Für den Archäologen mögen derartige Dinge gut sein, dem Philologen mag es gestattet sein, die wissenschaftliche Forschung bis zu der Entdeckung zu treiben, daß Homer nicht existirt habe, daß Ilias und Odyssee Compilationen seien. Es ist dies das alte Lied: Der Professor ist eine Person, Gott ist keine. Aber dem, der selbst ein Dichter sein will, steht das nicht hübsch zu Gesicht. Was würde Spiel¬ hagen antworte», wenn man ihn fragte, ob er die „Problematischen" allein ge¬ schrieben habe? Würde er es nicht übel nehmen, wenn jemand voraussetzte, ein Bureau vou jungen Leuten schriebe seine Romane? Würde er nicht denken: Du mußt ein schwaches Schönheitsgefühl haben, wenn du nicht merkst, daß eine und dieselbe Hand den Anfang und das Ende schuf? Und nun will er dem Vater Homer weigern, was er sicher für sich selbst in Anspruch nehmen wird: die Originalität, die Individualität, den Dichter als Person? Doch zur Sache. Spielhagen ist der Meinung, der moderne Dichter müsse durch zwei Brillen sehen, eine Volksbrille und eine, welche nur sür ihn passe. Wenn die Sache nicht so herzlich dumm wäre, könnte man sie wahrhaftig ver¬ wünscht gescheidt nennen. Ist Spielhagen etwa der Meinung, auch der Maler müsse durch zwei Brillen sehen, eine, durch welche das Volk die Bilder sehe, eine andre, durch welche er selbst sie betrachte? Ist er der Ansicht, der Bild¬ hauer schaffe Statuen mit Hilfe zweier Brillen, die eine dem Volke, die andre ihm selber passend? Oder der Architekt baue Häuser mit Hilfe zweier Brillen, deren eine das Haus zeige, worin das Volk, die andre aber das Haus, worin er selbst gern wohnte? Oder der Componist schaffe mit zwei Brillen, deren eine, die Volksbrille, solche Noten erkennen lasse, welche das Volk, die andre aber solche, welche er selber liebt? Hat er wohl einmal bedacht, daß es überhaupt keine Künste giebt, sondern nur eine Kunst? Und weiß er, daß die Kunst der Cultus des Schönen, das Schöne aber nur sich selber gleich, unveränderlich und immer dasselbe ist? Hat er bedacht, daß der Künstler der Priester des Schönen, daß er im Dienste einer Gottheit ist? Daß das Volk aber durch ihn mit dem Ewigen, mit dem Schönen bekannt gemacht werden soll? Und weiter: Die griechische Welt soll so harmonisch gefügt gewesen sein, daß keine zwei Brillen nöthig waren; sie war übersichtlich, war verständlich für den Dichter. Jetzt ist sie nicht mehr übersichtlich, nicht mehr harmonisch, der Dichter ist nicht mehr der Herold seines Volkes. Mit einem Worte, wie wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/564
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/564>, abgerufen am 29.05.2024.