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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Friedrich Sxielhagon und sein Ich-Roman.

perung des Nationalwillens fühlten und fühlen durften -- daß, sage ich, diese
hochbegünstigten, prädestinirten Menschen am Ende ihrer stolzen Laufbahn über
den Mangel des Verständnisses klagen, den sie bei ihren Zeitgenossen auf Tritt
und Schritt zu befahren haben? von der unverständigen Gegenwart wieder und
wieder um eine verständnißvollere Zukunft appelliren? und so vor eine Aufgabe
gerathen, welche eine bedenkliche Aehnlichkeit mit der Quadratur des Zirkels hat:
das Gemeinwohl des Volkes gegen den Willen der Hälfte des Volkes schaffen zu
sollen? Cäsarenwahnsinn! zetert der Haß der einen, ineommensurables Genie! jauchzt
die Gunst der andern Partei. Auf welcher Seite ist das Recht? Entscheiden
kann es von den Lebenden niemand, die ehrlichen Hasser so wenig wie die ehr¬
lichen Bewunderer und am wenigsten das Geschmeiß der Schmarotzer, das in
der allmächtigen Sonne sein elendes ephemeres Dasein fristet; und nur eins ist
sicher, daß diese modernen Heroen inmitten ihrer Satellitenschcmren zur tiefsten
Einsamkeit verurtheilt sind, die darum nicht weniger schmerzlich von ihnen em¬
pfunden wird, weil die unersättliche Ruhmgier sich in den Mantel der Menschen-
Verachtung hüllt."

Da haben wir's. Die moderne Welt ist so verzwickt, daß sich die Besten
nicht mehr in ihr zurecht finden. Das ist wieder ganz der alte, ehrliche Spielhagen
der problematischen Naturen, der später in Reih und Glied Konfusion anrichtete.
Gute Leute, aber schlechte Musikanten, die Herren Spielhagen und Genossen!

Es ist ja gut und schön, wenn der Dichter über den Zwiespalt in der Welt
klagt, wenn seiner Leier Saiten zu dem Liede ertönen, welches schon an den Wasser¬
bächen Babylons erklang. Wenn er die Herzen rühren will, muß er das Rüh¬
rende singen, den Untergang des Guten, die Qual des Bösen, den Zweifel des
Strebenden, das Ideal im Kampfe mit der rauhen Wirklichkeit. "Was unsterb¬
lich im Gesang soll leben, muß im Leben uutergeh'u." Aber das Untergegangene
muß dem Phönix gleich sein, der sich aus der Asche erhebt, es muß zum un¬
sterblichen Leben erblühen durch seinen Untergang. Das ist die Grundbedingung
des tragischen Dichterwerkes.

Der Dichter muß den Zwiespalt im eignen Busen überwunden haben und
zu einer harmonischen Weltanschauung hindurchgedrungen sein. Er darf mit
dem Zweifel, dem Leid, mit dem Untergang nur spielen, er muß von höherer
Warte herab dem Weinenden mit sicherer Hand den Ausgang aus dem Wirrsal
zeigen. Wenn er das nicht kann, wenn er nicht seine Zeit und ihre Wehen
überblicken und sie sich erklären kann, so soll er sich mit kleinen Aufgaben be¬
gnügen und weltbewegende Fragen ans dem Spiele lassei?. Die Unsterblichkeit
lohnt ihm nicht, sie ist allein der Wahrheit beigesellt, und die Wahrheit ist rein,
klar und sieghaft leuchtend.

Weil er eine große Weltanschauung hatte, darum lebt Homer heute "och,
und die Dichter von heute, welche eine große Weltanschauung haben, werden so
lange leben wie er.


Friedrich Sxielhagon und sein Ich-Roman.

perung des Nationalwillens fühlten und fühlen durften — daß, sage ich, diese
hochbegünstigten, prädestinirten Menschen am Ende ihrer stolzen Laufbahn über
den Mangel des Verständnisses klagen, den sie bei ihren Zeitgenossen auf Tritt
und Schritt zu befahren haben? von der unverständigen Gegenwart wieder und
wieder um eine verständnißvollere Zukunft appelliren? und so vor eine Aufgabe
gerathen, welche eine bedenkliche Aehnlichkeit mit der Quadratur des Zirkels hat:
das Gemeinwohl des Volkes gegen den Willen der Hälfte des Volkes schaffen zu
sollen? Cäsarenwahnsinn! zetert der Haß der einen, ineommensurables Genie! jauchzt
die Gunst der andern Partei. Auf welcher Seite ist das Recht? Entscheiden
kann es von den Lebenden niemand, die ehrlichen Hasser so wenig wie die ehr¬
lichen Bewunderer und am wenigsten das Geschmeiß der Schmarotzer, das in
der allmächtigen Sonne sein elendes ephemeres Dasein fristet; und nur eins ist
sicher, daß diese modernen Heroen inmitten ihrer Satellitenschcmren zur tiefsten
Einsamkeit verurtheilt sind, die darum nicht weniger schmerzlich von ihnen em¬
pfunden wird, weil die unersättliche Ruhmgier sich in den Mantel der Menschen-
Verachtung hüllt."

Da haben wir's. Die moderne Welt ist so verzwickt, daß sich die Besten
nicht mehr in ihr zurecht finden. Das ist wieder ganz der alte, ehrliche Spielhagen
der problematischen Naturen, der später in Reih und Glied Konfusion anrichtete.
Gute Leute, aber schlechte Musikanten, die Herren Spielhagen und Genossen!

Es ist ja gut und schön, wenn der Dichter über den Zwiespalt in der Welt
klagt, wenn seiner Leier Saiten zu dem Liede ertönen, welches schon an den Wasser¬
bächen Babylons erklang. Wenn er die Herzen rühren will, muß er das Rüh¬
rende singen, den Untergang des Guten, die Qual des Bösen, den Zweifel des
Strebenden, das Ideal im Kampfe mit der rauhen Wirklichkeit. „Was unsterb¬
lich im Gesang soll leben, muß im Leben uutergeh'u." Aber das Untergegangene
muß dem Phönix gleich sein, der sich aus der Asche erhebt, es muß zum un¬
sterblichen Leben erblühen durch seinen Untergang. Das ist die Grundbedingung
des tragischen Dichterwerkes.

Der Dichter muß den Zwiespalt im eignen Busen überwunden haben und
zu einer harmonischen Weltanschauung hindurchgedrungen sein. Er darf mit
dem Zweifel, dem Leid, mit dem Untergang nur spielen, er muß von höherer
Warte herab dem Weinenden mit sicherer Hand den Ausgang aus dem Wirrsal
zeigen. Wenn er das nicht kann, wenn er nicht seine Zeit und ihre Wehen
überblicken und sie sich erklären kann, so soll er sich mit kleinen Aufgaben be¬
gnügen und weltbewegende Fragen ans dem Spiele lassei?. Die Unsterblichkeit
lohnt ihm nicht, sie ist allein der Wahrheit beigesellt, und die Wahrheit ist rein,
klar und sieghaft leuchtend.

Weil er eine große Weltanschauung hatte, darum lebt Homer heute »och,
und die Dichter von heute, welche eine große Weltanschauung haben, werden so
lange leben wie er.


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[0566] Friedrich Sxielhagon und sein Ich-Roman. perung des Nationalwillens fühlten und fühlen durften — daß, sage ich, diese hochbegünstigten, prädestinirten Menschen am Ende ihrer stolzen Laufbahn über den Mangel des Verständnisses klagen, den sie bei ihren Zeitgenossen auf Tritt und Schritt zu befahren haben? von der unverständigen Gegenwart wieder und wieder um eine verständnißvollere Zukunft appelliren? und so vor eine Aufgabe gerathen, welche eine bedenkliche Aehnlichkeit mit der Quadratur des Zirkels hat: das Gemeinwohl des Volkes gegen den Willen der Hälfte des Volkes schaffen zu sollen? Cäsarenwahnsinn! zetert der Haß der einen, ineommensurables Genie! jauchzt die Gunst der andern Partei. Auf welcher Seite ist das Recht? Entscheiden kann es von den Lebenden niemand, die ehrlichen Hasser so wenig wie die ehr¬ lichen Bewunderer und am wenigsten das Geschmeiß der Schmarotzer, das in der allmächtigen Sonne sein elendes ephemeres Dasein fristet; und nur eins ist sicher, daß diese modernen Heroen inmitten ihrer Satellitenschcmren zur tiefsten Einsamkeit verurtheilt sind, die darum nicht weniger schmerzlich von ihnen em¬ pfunden wird, weil die unersättliche Ruhmgier sich in den Mantel der Menschen- Verachtung hüllt." Da haben wir's. Die moderne Welt ist so verzwickt, daß sich die Besten nicht mehr in ihr zurecht finden. Das ist wieder ganz der alte, ehrliche Spielhagen der problematischen Naturen, der später in Reih und Glied Konfusion anrichtete. Gute Leute, aber schlechte Musikanten, die Herren Spielhagen und Genossen! Es ist ja gut und schön, wenn der Dichter über den Zwiespalt in der Welt klagt, wenn seiner Leier Saiten zu dem Liede ertönen, welches schon an den Wasser¬ bächen Babylons erklang. Wenn er die Herzen rühren will, muß er das Rüh¬ rende singen, den Untergang des Guten, die Qual des Bösen, den Zweifel des Strebenden, das Ideal im Kampfe mit der rauhen Wirklichkeit. „Was unsterb¬ lich im Gesang soll leben, muß im Leben uutergeh'u." Aber das Untergegangene muß dem Phönix gleich sein, der sich aus der Asche erhebt, es muß zum un¬ sterblichen Leben erblühen durch seinen Untergang. Das ist die Grundbedingung des tragischen Dichterwerkes. Der Dichter muß den Zwiespalt im eignen Busen überwunden haben und zu einer harmonischen Weltanschauung hindurchgedrungen sein. Er darf mit dem Zweifel, dem Leid, mit dem Untergang nur spielen, er muß von höherer Warte herab dem Weinenden mit sicherer Hand den Ausgang aus dem Wirrsal zeigen. Wenn er das nicht kann, wenn er nicht seine Zeit und ihre Wehen überblicken und sie sich erklären kann, so soll er sich mit kleinen Aufgaben be¬ gnügen und weltbewegende Fragen ans dem Spiele lassei?. Die Unsterblichkeit lohnt ihm nicht, sie ist allein der Wahrheit beigesellt, und die Wahrheit ist rein, klar und sieghaft leuchtend. Weil er eine große Weltanschauung hatte, darum lebt Homer heute »och, und die Dichter von heute, welche eine große Weltanschauung haben, werden so lange leben wie er.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/566>, abgerufen am 15.05.2024.