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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Theater und Polizei.

mäßigste der neueren Zeit gewesen ist, weil die Form des Amphitheaters auch
für das Aeußere beibehalten und damit die Möglichkeit gegeben war, das Pu-
blicum auf der ganzen Ausdehnung des Halbkreises gleichzeitig abströmen zu
lassen. Der Ehrgeiz der Architekten, welche den Meister nicht nachahmen wollten,
die unvernünftigen Anforderungen der Theaterverwaltungen, welche Hunderte
von Logen und Tausende von Sitzplätzen auf Kosten der Communicationen,
und überdies Bureaus, Magazine, Werkstätten unter demselben: Dach verlangten,
die Speculation der Privatunternehmer endlich, die nicht auf den Miethzins für
Localitäten verzichten mochten, welche auf den Straßenseiten liegen, weshalb
alle erdenklichen Gewölbe, Kaufläden und Miethwohnungen wie ein Gehäuse
um das Theater herumgebaut wurden, haben uns so weit von jenem Ideal
entfernt, daß mancher große Prachtbau sich in der Disposition der Räume wenig
von jenen Spelunken unterscheidet, deren Vorbilder gewisse Pariser Boulevard¬
theater gewesen zu sein scheinen. Das soll nun anders werde", vorausgesetzt,
daß die jetzige Aufregung lange genug vorhält.

Allein es ergiebt sich ferner, daß diejenigen Vorsichtsmaßregeln, welche
nach dem Brande zu Nizza anbefohlen wurden, so wenig beobachtet worden sind
wie ältere Vorschriften. Der Drahtvorhang war nicht practicabel, die Ocllampen
zur Erhellung der Corridore brannten nicht, die Wasserleitung ließ sich nicht
in Wirkung setzen, das Dienstpersonal, welches nur für solche Fälle angestellt
sein soll, fehlte oder lief davon; es soll während der kurzen Dauer der letzte"
Direction des Ningtheaters schon mehr als einmal Feuer ausgekommen sein.
"Das ist entsetzlich, das ist empörend, welche Pflichtversäumniß der -- Polizei!"
So rufen im Chorus die entschieden liberalen Blätter.

Wer die ausführlichen Berichte über die Vorgänge auf dem Wiener Schotten¬
ring am Abend des 8. December liest, muß in der That zu dem Schlüsse kommen,
daß auch nach Abzug aller herkömmlichen Uebertreibungen und dreisten Erfin¬
dungen (wie solche ja bereits constatirt sind) verschiedene Polizeiorgane sich im
höchsten Grade kopflos benommen haben, daß die Vorkehrungen nicht die besten
gewesen sein müssen. Aber daß der Brand im Innern längere Zeit wüthen
konnte, ehe die Polizei überhaupt davon benachrichtigt wurde, daß nichts zur
Unterdrückung des Feuers, nichts zum Schutze des Publikums geschah, vielmehr
durch Ablöschen des Gases die Rettung fast zur Unmöglichkeit gemacht wurde --
soll daran auch die Polizei schuld sein?

"Natürlich!" heißt es von derselben Seite. "Warum hat sie nicht an eben
jenem Abend alle vorgeschriebenen Anstalten revidirt? Das war ihre Pflicht."

Bei einem weniger traurigen Anlaß würde man sagen, es sei zum Lache".
In demselben Athem wird über die Einmischung des Staats in alle möglichen
Angelegenheiten, über die Bevormundung, über die Beschränkung der Autonomie
gezetert, das I/MW tÄrs, Ig,i88ö2 xg-sssr als Summe aller Stantsweishcit ge¬
priesen, und wird die Staatsgewalt geschmäht, weil sie sich dort nicht eingemischt


Theater und Polizei.

mäßigste der neueren Zeit gewesen ist, weil die Form des Amphitheaters auch
für das Aeußere beibehalten und damit die Möglichkeit gegeben war, das Pu-
blicum auf der ganzen Ausdehnung des Halbkreises gleichzeitig abströmen zu
lassen. Der Ehrgeiz der Architekten, welche den Meister nicht nachahmen wollten,
die unvernünftigen Anforderungen der Theaterverwaltungen, welche Hunderte
von Logen und Tausende von Sitzplätzen auf Kosten der Communicationen,
und überdies Bureaus, Magazine, Werkstätten unter demselben: Dach verlangten,
die Speculation der Privatunternehmer endlich, die nicht auf den Miethzins für
Localitäten verzichten mochten, welche auf den Straßenseiten liegen, weshalb
alle erdenklichen Gewölbe, Kaufläden und Miethwohnungen wie ein Gehäuse
um das Theater herumgebaut wurden, haben uns so weit von jenem Ideal
entfernt, daß mancher große Prachtbau sich in der Disposition der Räume wenig
von jenen Spelunken unterscheidet, deren Vorbilder gewisse Pariser Boulevard¬
theater gewesen zu sein scheinen. Das soll nun anders werde», vorausgesetzt,
daß die jetzige Aufregung lange genug vorhält.

Allein es ergiebt sich ferner, daß diejenigen Vorsichtsmaßregeln, welche
nach dem Brande zu Nizza anbefohlen wurden, so wenig beobachtet worden sind
wie ältere Vorschriften. Der Drahtvorhang war nicht practicabel, die Ocllampen
zur Erhellung der Corridore brannten nicht, die Wasserleitung ließ sich nicht
in Wirkung setzen, das Dienstpersonal, welches nur für solche Fälle angestellt
sein soll, fehlte oder lief davon; es soll während der kurzen Dauer der letzte»
Direction des Ningtheaters schon mehr als einmal Feuer ausgekommen sein.
„Das ist entsetzlich, das ist empörend, welche Pflichtversäumniß der — Polizei!"
So rufen im Chorus die entschieden liberalen Blätter.

Wer die ausführlichen Berichte über die Vorgänge auf dem Wiener Schotten¬
ring am Abend des 8. December liest, muß in der That zu dem Schlüsse kommen,
daß auch nach Abzug aller herkömmlichen Uebertreibungen und dreisten Erfin¬
dungen (wie solche ja bereits constatirt sind) verschiedene Polizeiorgane sich im
höchsten Grade kopflos benommen haben, daß die Vorkehrungen nicht die besten
gewesen sein müssen. Aber daß der Brand im Innern längere Zeit wüthen
konnte, ehe die Polizei überhaupt davon benachrichtigt wurde, daß nichts zur
Unterdrückung des Feuers, nichts zum Schutze des Publikums geschah, vielmehr
durch Ablöschen des Gases die Rettung fast zur Unmöglichkeit gemacht wurde —
soll daran auch die Polizei schuld sein?

„Natürlich!" heißt es von derselben Seite. „Warum hat sie nicht an eben
jenem Abend alle vorgeschriebenen Anstalten revidirt? Das war ihre Pflicht."

Bei einem weniger traurigen Anlaß würde man sagen, es sei zum Lache».
In demselben Athem wird über die Einmischung des Staats in alle möglichen
Angelegenheiten, über die Bevormundung, über die Beschränkung der Autonomie
gezetert, das I/MW tÄrs, Ig,i88ö2 xg-sssr als Summe aller Stantsweishcit ge¬
priesen, und wird die Staatsgewalt geschmäht, weil sie sich dort nicht eingemischt


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[0568] Theater und Polizei. mäßigste der neueren Zeit gewesen ist, weil die Form des Amphitheaters auch für das Aeußere beibehalten und damit die Möglichkeit gegeben war, das Pu- blicum auf der ganzen Ausdehnung des Halbkreises gleichzeitig abströmen zu lassen. Der Ehrgeiz der Architekten, welche den Meister nicht nachahmen wollten, die unvernünftigen Anforderungen der Theaterverwaltungen, welche Hunderte von Logen und Tausende von Sitzplätzen auf Kosten der Communicationen, und überdies Bureaus, Magazine, Werkstätten unter demselben: Dach verlangten, die Speculation der Privatunternehmer endlich, die nicht auf den Miethzins für Localitäten verzichten mochten, welche auf den Straßenseiten liegen, weshalb alle erdenklichen Gewölbe, Kaufläden und Miethwohnungen wie ein Gehäuse um das Theater herumgebaut wurden, haben uns so weit von jenem Ideal entfernt, daß mancher große Prachtbau sich in der Disposition der Räume wenig von jenen Spelunken unterscheidet, deren Vorbilder gewisse Pariser Boulevard¬ theater gewesen zu sein scheinen. Das soll nun anders werde», vorausgesetzt, daß die jetzige Aufregung lange genug vorhält. Allein es ergiebt sich ferner, daß diejenigen Vorsichtsmaßregeln, welche nach dem Brande zu Nizza anbefohlen wurden, so wenig beobachtet worden sind wie ältere Vorschriften. Der Drahtvorhang war nicht practicabel, die Ocllampen zur Erhellung der Corridore brannten nicht, die Wasserleitung ließ sich nicht in Wirkung setzen, das Dienstpersonal, welches nur für solche Fälle angestellt sein soll, fehlte oder lief davon; es soll während der kurzen Dauer der letzte» Direction des Ningtheaters schon mehr als einmal Feuer ausgekommen sein. „Das ist entsetzlich, das ist empörend, welche Pflichtversäumniß der — Polizei!" So rufen im Chorus die entschieden liberalen Blätter. Wer die ausführlichen Berichte über die Vorgänge auf dem Wiener Schotten¬ ring am Abend des 8. December liest, muß in der That zu dem Schlüsse kommen, daß auch nach Abzug aller herkömmlichen Uebertreibungen und dreisten Erfin¬ dungen (wie solche ja bereits constatirt sind) verschiedene Polizeiorgane sich im höchsten Grade kopflos benommen haben, daß die Vorkehrungen nicht die besten gewesen sein müssen. Aber daß der Brand im Innern längere Zeit wüthen konnte, ehe die Polizei überhaupt davon benachrichtigt wurde, daß nichts zur Unterdrückung des Feuers, nichts zum Schutze des Publikums geschah, vielmehr durch Ablöschen des Gases die Rettung fast zur Unmöglichkeit gemacht wurde — soll daran auch die Polizei schuld sein? „Natürlich!" heißt es von derselben Seite. „Warum hat sie nicht an eben jenem Abend alle vorgeschriebenen Anstalten revidirt? Das war ihre Pflicht." Bei einem weniger traurigen Anlaß würde man sagen, es sei zum Lache». In demselben Athem wird über die Einmischung des Staats in alle möglichen Angelegenheiten, über die Bevormundung, über die Beschränkung der Autonomie gezetert, das I/MW tÄrs, Ig,i88ö2 xg-sssr als Summe aller Stantsweishcit ge¬ priesen, und wird die Staatsgewalt geschmäht, weil sie sich dort nicht eingemischt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/568>, abgerufen am 15.05.2024.