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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ethnologie und Ethik.

stücke, der nun einmal ein unveräußerliches Eigenthum menschlichen Denkens zu
sein scheint.

Auch das Werk, welches uns zu den vorstehenden Betrachtungen Veran¬
lassung bietet, die Grundlegung der Ethik von B> Ccirneri (Wien, Braumüller,
1881) trägt diesen Stempel einer gefährlichen Verquickung rein speculativer Tän¬
deleien mit sachlichen Erörterungen. Der Verfasser hat schou in mehreren
Schriften (so "Darwinismus und Sittlichkeit," Wien, 1871) den Einklang der
Darwinschen Theorie mit echter Sittlichkeit zu erweisen gesucht und zwar merk¬
würdiger Weise unter Anwendung der Hegelschen Dialektik. Schon die Ein-
theilung der Untersuchungen in "Einheitlichkeit, Widerstreit und Versöhnung,"
erinnert auffallend an die berühmte Hegelsche Trias von Thesis, Antithesis und
Synthesis. Die Thatsachen werden willkürlich nach diesem abstanden Schema
znrechtgeschnitten. Darnach läßt sich schon von vornherein vermuthen, daß die
eigentliche Ausführung des Details ebenfalls von fictiven Prämissen und leeren
Begriffsspielereien nicht frei sein wird. Nur ein Beispiel für viele. Nachdem
Carreri die specifischen Energien in der Wahrnehmung, wie sie Joh. Müller
aufstellte, verworfen, fährt er fort: "Die verschiednen Ergebnisse einer hohen Diffe-
renzirung ccntralisirter Organismen entspringen nach diesem Grundsatze (nämlich
des Monismus) den wechselnden Verbindungen der Elementcirtheilc und Nerven-
thätigkeitcn. Diese Ergebnisse sind aber dann nicht zu beurtheilen als bloße
Wirkungen des Stoffs, sondern als Erscheinungen desselben, und zwar
als die Krönung der gestimmten Naturcntwicklung" (S. 32). Wir gäben viel
darum, wenn wir diesen geheimnißvollen Gegensatz verstehen könnten! Nicht
bloße Wirkungen, also noch mehr als das, aber was denn? Und im impo-
nirenden Contrast dazu die "Erscheinungen" des Stoffes, die jene Steigerung
der einfachen Wirkung darstellen sollen, als ob Erscheinung überhaupt denkbar
wäre ohne ein causales Moment, das erst erklärt, von wem denn jenes Etwas
eine Erscheinung ist. Endlich zum Schluß die ästhetische Phrase, "als die
Krönung der gestimmten Naturentwicklnng," als beglückender Lohn für jene
treffliche Unterscheidung einer bloßen Wirkung und einer Erscheinung des Stoffes!
Das sind doch dialektische Spielereien völlig nutzloser Art, mit denen schlechter¬
dings gar nichts erreicht wird. Leider steckt, wie gesagt, dieser unselige specu-
lative Zug uns Deutschen zu sehr im Blute, daß selbst der grimmigste Gegner
der Hegelschen Philosophie, Schopenhauer, von dieser Schwäche nicht frei ge¬
blieben ist.

Als Hauptzweck seiner Darstellung betrachtet der Verfasser die Lösung der
Frage: "Inwiefern ist bei einem consequent durchgeführten Determinismus eine
ethische Weltanschauung möglich?" (S. 2.) Damit hat er den Ausgangspunkt der
spinozisiischen Philosophie acceptirt, welche von der gewöhnlichen Meinung des
Ubönun s-Mtrium inäiSÄönti!" bekanntlich scharf abweicht, einem rückhaltlosen
Necessitiren aller menschlichen Handlungen zustimmt und eine absolute Verwerfung


Ethnologie und Ethik.

stücke, der nun einmal ein unveräußerliches Eigenthum menschlichen Denkens zu
sein scheint.

Auch das Werk, welches uns zu den vorstehenden Betrachtungen Veran¬
lassung bietet, die Grundlegung der Ethik von B> Ccirneri (Wien, Braumüller,
1881) trägt diesen Stempel einer gefährlichen Verquickung rein speculativer Tän¬
deleien mit sachlichen Erörterungen. Der Verfasser hat schou in mehreren
Schriften (so „Darwinismus und Sittlichkeit," Wien, 1871) den Einklang der
Darwinschen Theorie mit echter Sittlichkeit zu erweisen gesucht und zwar merk¬
würdiger Weise unter Anwendung der Hegelschen Dialektik. Schon die Ein-
theilung der Untersuchungen in „Einheitlichkeit, Widerstreit und Versöhnung,"
erinnert auffallend an die berühmte Hegelsche Trias von Thesis, Antithesis und
Synthesis. Die Thatsachen werden willkürlich nach diesem abstanden Schema
znrechtgeschnitten. Darnach läßt sich schon von vornherein vermuthen, daß die
eigentliche Ausführung des Details ebenfalls von fictiven Prämissen und leeren
Begriffsspielereien nicht frei sein wird. Nur ein Beispiel für viele. Nachdem
Carreri die specifischen Energien in der Wahrnehmung, wie sie Joh. Müller
aufstellte, verworfen, fährt er fort: „Die verschiednen Ergebnisse einer hohen Diffe-
renzirung ccntralisirter Organismen entspringen nach diesem Grundsatze (nämlich
des Monismus) den wechselnden Verbindungen der Elementcirtheilc und Nerven-
thätigkeitcn. Diese Ergebnisse sind aber dann nicht zu beurtheilen als bloße
Wirkungen des Stoffs, sondern als Erscheinungen desselben, und zwar
als die Krönung der gestimmten Naturcntwicklung" (S. 32). Wir gäben viel
darum, wenn wir diesen geheimnißvollen Gegensatz verstehen könnten! Nicht
bloße Wirkungen, also noch mehr als das, aber was denn? Und im impo-
nirenden Contrast dazu die „Erscheinungen" des Stoffes, die jene Steigerung
der einfachen Wirkung darstellen sollen, als ob Erscheinung überhaupt denkbar
wäre ohne ein causales Moment, das erst erklärt, von wem denn jenes Etwas
eine Erscheinung ist. Endlich zum Schluß die ästhetische Phrase, „als die
Krönung der gestimmten Naturentwicklnng," als beglückender Lohn für jene
treffliche Unterscheidung einer bloßen Wirkung und einer Erscheinung des Stoffes!
Das sind doch dialektische Spielereien völlig nutzloser Art, mit denen schlechter¬
dings gar nichts erreicht wird. Leider steckt, wie gesagt, dieser unselige specu-
lative Zug uns Deutschen zu sehr im Blute, daß selbst der grimmigste Gegner
der Hegelschen Philosophie, Schopenhauer, von dieser Schwäche nicht frei ge¬
blieben ist.

Als Hauptzweck seiner Darstellung betrachtet der Verfasser die Lösung der
Frage: „Inwiefern ist bei einem consequent durchgeführten Determinismus eine
ethische Weltanschauung möglich?" (S. 2.) Damit hat er den Ausgangspunkt der
spinozisiischen Philosophie acceptirt, welche von der gewöhnlichen Meinung des
Ubönun s-Mtrium inäiSÄönti!» bekanntlich scharf abweicht, einem rückhaltlosen
Necessitiren aller menschlichen Handlungen zustimmt und eine absolute Verwerfung


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[0081] Ethnologie und Ethik. stücke, der nun einmal ein unveräußerliches Eigenthum menschlichen Denkens zu sein scheint. Auch das Werk, welches uns zu den vorstehenden Betrachtungen Veran¬ lassung bietet, die Grundlegung der Ethik von B> Ccirneri (Wien, Braumüller, 1881) trägt diesen Stempel einer gefährlichen Verquickung rein speculativer Tän¬ deleien mit sachlichen Erörterungen. Der Verfasser hat schou in mehreren Schriften (so „Darwinismus und Sittlichkeit," Wien, 1871) den Einklang der Darwinschen Theorie mit echter Sittlichkeit zu erweisen gesucht und zwar merk¬ würdiger Weise unter Anwendung der Hegelschen Dialektik. Schon die Ein- theilung der Untersuchungen in „Einheitlichkeit, Widerstreit und Versöhnung," erinnert auffallend an die berühmte Hegelsche Trias von Thesis, Antithesis und Synthesis. Die Thatsachen werden willkürlich nach diesem abstanden Schema znrechtgeschnitten. Darnach läßt sich schon von vornherein vermuthen, daß die eigentliche Ausführung des Details ebenfalls von fictiven Prämissen und leeren Begriffsspielereien nicht frei sein wird. Nur ein Beispiel für viele. Nachdem Carreri die specifischen Energien in der Wahrnehmung, wie sie Joh. Müller aufstellte, verworfen, fährt er fort: „Die verschiednen Ergebnisse einer hohen Diffe- renzirung ccntralisirter Organismen entspringen nach diesem Grundsatze (nämlich des Monismus) den wechselnden Verbindungen der Elementcirtheilc und Nerven- thätigkeitcn. Diese Ergebnisse sind aber dann nicht zu beurtheilen als bloße Wirkungen des Stoffs, sondern als Erscheinungen desselben, und zwar als die Krönung der gestimmten Naturcntwicklung" (S. 32). Wir gäben viel darum, wenn wir diesen geheimnißvollen Gegensatz verstehen könnten! Nicht bloße Wirkungen, also noch mehr als das, aber was denn? Und im impo- nirenden Contrast dazu die „Erscheinungen" des Stoffes, die jene Steigerung der einfachen Wirkung darstellen sollen, als ob Erscheinung überhaupt denkbar wäre ohne ein causales Moment, das erst erklärt, von wem denn jenes Etwas eine Erscheinung ist. Endlich zum Schluß die ästhetische Phrase, „als die Krönung der gestimmten Naturentwicklnng," als beglückender Lohn für jene treffliche Unterscheidung einer bloßen Wirkung und einer Erscheinung des Stoffes! Das sind doch dialektische Spielereien völlig nutzloser Art, mit denen schlechter¬ dings gar nichts erreicht wird. Leider steckt, wie gesagt, dieser unselige specu- lative Zug uns Deutschen zu sehr im Blute, daß selbst der grimmigste Gegner der Hegelschen Philosophie, Schopenhauer, von dieser Schwäche nicht frei ge¬ blieben ist. Als Hauptzweck seiner Darstellung betrachtet der Verfasser die Lösung der Frage: „Inwiefern ist bei einem consequent durchgeführten Determinismus eine ethische Weltanschauung möglich?" (S. 2.) Damit hat er den Ausgangspunkt der spinozisiischen Philosophie acceptirt, welche von der gewöhnlichen Meinung des Ubönun s-Mtrium inäiSÄönti!» bekanntlich scharf abweicht, einem rückhaltlosen Necessitiren aller menschlichen Handlungen zustimmt und eine absolute Verwerfung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/81>, abgerufen am 29.05.2024.