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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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aus dem feinen Sünde hervorzaubert, lange, schmale Gräser, die die Weißen,
einförmigen Sanddünen beleben, Algen und Tange, die von dem Boden des
Meeres nach der Oberfläche sich emporzuschlingen streben.

Wenn aber Rügen alle diese mannichfachen Reize des Meeresstrandes mit der
ganzen langgestreckten Küste der Ostsee teilt, so besitzt es zugleich noch andre
landschaftliche Schönheiten, die es vor allen Strandgegenden des deutschen Nordens
auszeichnen und ihm einen durchaus eigentümlichen Charakter verleihen. Da
sind in erster Linie die Kreidefelsen am nordöstlichen Strande von Jasmund zu
nennen, die sich, wie in Stubbenkammer, bis zur Hohe von mehreren hundert Fuß
über dem Meeresspiegel erheben. Und diese, trotz ihrer stetig fortschreitenden
Verwitterung doch immer blendend weißen Riffe sind umsäumt von dem wunder¬
barsten Waldesgrün, das die Natur zum Schmucke über eine Landschaft aus¬
breiten kann. Die herrlichsten Bnchendome wölben sich über den höchsten Spitzen
der schneeweißen "Klinker", und der Blick des Wandrers, der am Rande dieser
senkrecht in die Tiefe stürzenden Höhen unter dem grünen Blätterdache steht,
schweift weit hinaus über die unendliche Fläche der blauen oder vom leichten
Windhauche zu weißen Schanmwellen gekräuselten Flut. Und noch weithin ins
Meer hinaus lassen sich die Weißen Kreidebänke und Felsenriffe unter den durch¬
sichtigen Wellen erkennen, bald den Gliedern eines versunkenen Niesenschiffes,
bald auch den Zinnen und Mauern einer altertümlichen Stadt gleichend. Dieses
geheimnisvolle Heraufschimmeru des Meeresgrundes ist es auch gewesen, was
die Veranlassung gegeben hat zu der Sage von der versunkenen Herrlichkeit der
"Meereskönigin" Vineta, der mächtigen und reichen Seestadt, die einst an der
Nordküste der Insel Usedom gestanden haben soll.

Mehr aber als alles dies verleiht die reizvolle, stetig sich wiederholende und
in den mannichfachsten Formen wiederkehrende Mischung von Meer und Land dem
Rügenschen Eilande sein ganz besondres Gepräge. Da der Kern der Insel "ach
verschiedenen Seiten hin von abgesonderten Höhenzügen, wie eine Festung von
vorgeschobenen Forts, umgeben ist, so ist das Meer in alle Senkungen, welche
die vorlagernden Höhen von dem eigentlichen "Festlande" trennen, hineinge¬
drungen und umströmt so alle die einzelnen Glieder, die der Rumpf in den
bizarrsten Formen und Gestaltungen ins Meer hinaussendet. Nirgends aber
tritt die Zerrissenheit der Gestalt des Eilandes in solcher Mannichfaltigkeit und
Abwechselung hervor wie bei der Halbinsel Mvnchsgut, welche sich an die Granitz,
eine von dem herrlichsten Buchenwalde gekrönte Erhebung im südöstlichen Teile
der Hnnptinsel, als deren südlicher Ausläufer anschließt. Der langgestreckte
Höhenzug, welcher gewissermaßen das Gerüst der Halbinsel und zugleich die öst¬
liche Schutzmauer gegen die anstürmenden Wogen des Meeres bildet, entsendet
wieder nach Westen zu verschiedene andre Höhenzüge, die teils in gleicher Höhe
von dem östlichen Hauptzuge ausstrahlen, teils von demselben durch längere oder
kürzere Bodensenkungen getrennt sind. Diese letztem, welche gleich schmalen


aus dem feinen Sünde hervorzaubert, lange, schmale Gräser, die die Weißen,
einförmigen Sanddünen beleben, Algen und Tange, die von dem Boden des
Meeres nach der Oberfläche sich emporzuschlingen streben.

Wenn aber Rügen alle diese mannichfachen Reize des Meeresstrandes mit der
ganzen langgestreckten Küste der Ostsee teilt, so besitzt es zugleich noch andre
landschaftliche Schönheiten, die es vor allen Strandgegenden des deutschen Nordens
auszeichnen und ihm einen durchaus eigentümlichen Charakter verleihen. Da
sind in erster Linie die Kreidefelsen am nordöstlichen Strande von Jasmund zu
nennen, die sich, wie in Stubbenkammer, bis zur Hohe von mehreren hundert Fuß
über dem Meeresspiegel erheben. Und diese, trotz ihrer stetig fortschreitenden
Verwitterung doch immer blendend weißen Riffe sind umsäumt von dem wunder¬
barsten Waldesgrün, das die Natur zum Schmucke über eine Landschaft aus¬
breiten kann. Die herrlichsten Bnchendome wölben sich über den höchsten Spitzen
der schneeweißen „Klinker", und der Blick des Wandrers, der am Rande dieser
senkrecht in die Tiefe stürzenden Höhen unter dem grünen Blätterdache steht,
schweift weit hinaus über die unendliche Fläche der blauen oder vom leichten
Windhauche zu weißen Schanmwellen gekräuselten Flut. Und noch weithin ins
Meer hinaus lassen sich die Weißen Kreidebänke und Felsenriffe unter den durch¬
sichtigen Wellen erkennen, bald den Gliedern eines versunkenen Niesenschiffes,
bald auch den Zinnen und Mauern einer altertümlichen Stadt gleichend. Dieses
geheimnisvolle Heraufschimmeru des Meeresgrundes ist es auch gewesen, was
die Veranlassung gegeben hat zu der Sage von der versunkenen Herrlichkeit der
„Meereskönigin" Vineta, der mächtigen und reichen Seestadt, die einst an der
Nordküste der Insel Usedom gestanden haben soll.

Mehr aber als alles dies verleiht die reizvolle, stetig sich wiederholende und
in den mannichfachsten Formen wiederkehrende Mischung von Meer und Land dem
Rügenschen Eilande sein ganz besondres Gepräge. Da der Kern der Insel »ach
verschiedenen Seiten hin von abgesonderten Höhenzügen, wie eine Festung von
vorgeschobenen Forts, umgeben ist, so ist das Meer in alle Senkungen, welche
die vorlagernden Höhen von dem eigentlichen „Festlande" trennen, hineinge¬
drungen und umströmt so alle die einzelnen Glieder, die der Rumpf in den
bizarrsten Formen und Gestaltungen ins Meer hinaussendet. Nirgends aber
tritt die Zerrissenheit der Gestalt des Eilandes in solcher Mannichfaltigkeit und
Abwechselung hervor wie bei der Halbinsel Mvnchsgut, welche sich an die Granitz,
eine von dem herrlichsten Buchenwalde gekrönte Erhebung im südöstlichen Teile
der Hnnptinsel, als deren südlicher Ausläufer anschließt. Der langgestreckte
Höhenzug, welcher gewissermaßen das Gerüst der Halbinsel und zugleich die öst¬
liche Schutzmauer gegen die anstürmenden Wogen des Meeres bildet, entsendet
wieder nach Westen zu verschiedene andre Höhenzüge, die teils in gleicher Höhe
von dem östlichen Hauptzuge ausstrahlen, teils von demselben durch längere oder
kürzere Bodensenkungen getrennt sind. Diese letztem, welche gleich schmalen


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[0212] aus dem feinen Sünde hervorzaubert, lange, schmale Gräser, die die Weißen, einförmigen Sanddünen beleben, Algen und Tange, die von dem Boden des Meeres nach der Oberfläche sich emporzuschlingen streben. Wenn aber Rügen alle diese mannichfachen Reize des Meeresstrandes mit der ganzen langgestreckten Küste der Ostsee teilt, so besitzt es zugleich noch andre landschaftliche Schönheiten, die es vor allen Strandgegenden des deutschen Nordens auszeichnen und ihm einen durchaus eigentümlichen Charakter verleihen. Da sind in erster Linie die Kreidefelsen am nordöstlichen Strande von Jasmund zu nennen, die sich, wie in Stubbenkammer, bis zur Hohe von mehreren hundert Fuß über dem Meeresspiegel erheben. Und diese, trotz ihrer stetig fortschreitenden Verwitterung doch immer blendend weißen Riffe sind umsäumt von dem wunder¬ barsten Waldesgrün, das die Natur zum Schmucke über eine Landschaft aus¬ breiten kann. Die herrlichsten Bnchendome wölben sich über den höchsten Spitzen der schneeweißen „Klinker", und der Blick des Wandrers, der am Rande dieser senkrecht in die Tiefe stürzenden Höhen unter dem grünen Blätterdache steht, schweift weit hinaus über die unendliche Fläche der blauen oder vom leichten Windhauche zu weißen Schanmwellen gekräuselten Flut. Und noch weithin ins Meer hinaus lassen sich die Weißen Kreidebänke und Felsenriffe unter den durch¬ sichtigen Wellen erkennen, bald den Gliedern eines versunkenen Niesenschiffes, bald auch den Zinnen und Mauern einer altertümlichen Stadt gleichend. Dieses geheimnisvolle Heraufschimmeru des Meeresgrundes ist es auch gewesen, was die Veranlassung gegeben hat zu der Sage von der versunkenen Herrlichkeit der „Meereskönigin" Vineta, der mächtigen und reichen Seestadt, die einst an der Nordküste der Insel Usedom gestanden haben soll. Mehr aber als alles dies verleiht die reizvolle, stetig sich wiederholende und in den mannichfachsten Formen wiederkehrende Mischung von Meer und Land dem Rügenschen Eilande sein ganz besondres Gepräge. Da der Kern der Insel »ach verschiedenen Seiten hin von abgesonderten Höhenzügen, wie eine Festung von vorgeschobenen Forts, umgeben ist, so ist das Meer in alle Senkungen, welche die vorlagernden Höhen von dem eigentlichen „Festlande" trennen, hineinge¬ drungen und umströmt so alle die einzelnen Glieder, die der Rumpf in den bizarrsten Formen und Gestaltungen ins Meer hinaussendet. Nirgends aber tritt die Zerrissenheit der Gestalt des Eilandes in solcher Mannichfaltigkeit und Abwechselung hervor wie bei der Halbinsel Mvnchsgut, welche sich an die Granitz, eine von dem herrlichsten Buchenwalde gekrönte Erhebung im südöstlichen Teile der Hnnptinsel, als deren südlicher Ausläufer anschließt. Der langgestreckte Höhenzug, welcher gewissermaßen das Gerüst der Halbinsel und zugleich die öst¬ liche Schutzmauer gegen die anstürmenden Wogen des Meeres bildet, entsendet wieder nach Westen zu verschiedene andre Höhenzüge, die teils in gleicher Höhe von dem östlichen Hauptzuge ausstrahlen, teils von demselben durch längere oder kürzere Bodensenkungen getrennt sind. Diese letztem, welche gleich schmalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/212>, abgerufen am 18.05.2024.