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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Bildungselementen mich dieser Zeit erfüllt, ist Carlyle niemals völlig über den
Widerspruch hinausgekommen, der zwischen dem Sohn des Farmers von Eccle-
fecchan und dein gefeiertsten und wirknngsreichstcn englischen Schriftsteller not¬
wendigerweise bestehen mußte. An sich ist es ein Glück, aus den Niederungen
des Lebens zu dessen Höhen zu steigen. Indeß die Bedingung dabei bleibt doch,
daß kein feindlicher Gegensatz zwischen den Idealen der ersten Jugend und denen
der Mannestage existire. Dieser unbedingte Einklang blieb Carlyle versagt.
Der echte schottische Puritanismus, von dem Carlyles Vater durchdrungen war,
kennt kein Pallirer mit andern Mächten, schließt jede Freude an der Herrlich¬
keit der Welt aus und ist überzeugt, daß der Herr nur auf rauhen und dornigem
Wegen gefunden werden könne. Er duldet nur eine Wissenschaft: die Theo¬
logie, und von dieser wandte der jugendliche Carlyle sich (wahrscheinlich nach
schweren innern Kämpfen) entschieden ab und gab seine Seele an das hin, was
dem schottischen Prediger, zu welchem ihn seine Eltern bestimmt hatten, Eitelkeit
der Eitelkeiten geblieben wäre. Wie ernst und streng, wie priesterlich und pro¬
phetisch nun auch der jugendliche Autor seinen neuen Beruf erfassen, wie ge¬
waltig die Psalmen seiner Knabcntnge in all sein späteres Thun und Meinen
hiueinklingen mochten -- der Widerspruch war damit so wenig aus Carlyles
Seele gebannt, wie er jemals aus der Seele eines größeren Vorgängers.
Miltons. verschwunden ist. In seiner "Französischen Revolution" rief Carlyle
einem Landsmann, dem abenteuerlichen Seehelden Paul Jones, uach, ob ein stilles
Leben unter deu Seinen und ein paar Fuß schottischer Erde nicht all seinen
bunten Erlebnissen und Weltfahrten vorzuziehen gewesen wären? Eine ähnliche
Frage muß Carlyle oft sich selbst vorgelegt haben; in ihrer Folge ruht er von
den Mühen seines Daseins nicht in der britischen Nuhmeshalle der Westminster-
"blei, sondern an der Seite seiner Väter auf dem Dorfkirchhof von Ecclefecchan.
Zwischen Anfang und Ende aber lag ein ganzes reiches Leben, in dem die
Widersprüche der angeerbten und der selbsterworbenen Bildung und Weltan¬
schauung hart mit einander rangen. Und so wenig Carlyle ohne den Puritaner,
den "Schotten des alten Testaments," begriffen werden kann, so wenig kann
er ans dem Puritaner allein verstanden werden, wollend und uichtwollend ist
der Schriftsteller mit dem weltweiten Blick von dem bloßen Bußprediger, zu
dem er einst bestimmt war, und in den er gelegentlich zurückfiel, geschieden.

Carlyles Entschluß, sich einen eignen, seinen innersten Bedürfnissen ent¬
sprechenden Weg durchs Leben zu bahnen, siel in sein zweiundzwanzigstcs Lebens¬
jahr (er war 1795 geboren) und er empfand selbst nnter Entbehrungen an¬
fänglich eine gewisse Genugthuung über denselben. Aber freilich rang er eben
damals im Jahre 1818 zu hart mit dem Leben. "Obwohl feine Zeit, berichtet
der deutsche Biograph, mit Unterrichten und kleineren Arbeiten für Dr. Brcmsters
Encyklopädie und dem -- freilich laxen -- Studium der Jurisprudenz ziemlich
ü> Anspruch genommen war, fand er doch nirgends Befriedigung; er war in


Bildungselementen mich dieser Zeit erfüllt, ist Carlyle niemals völlig über den
Widerspruch hinausgekommen, der zwischen dem Sohn des Farmers von Eccle-
fecchan und dein gefeiertsten und wirknngsreichstcn englischen Schriftsteller not¬
wendigerweise bestehen mußte. An sich ist es ein Glück, aus den Niederungen
des Lebens zu dessen Höhen zu steigen. Indeß die Bedingung dabei bleibt doch,
daß kein feindlicher Gegensatz zwischen den Idealen der ersten Jugend und denen
der Mannestage existire. Dieser unbedingte Einklang blieb Carlyle versagt.
Der echte schottische Puritanismus, von dem Carlyles Vater durchdrungen war,
kennt kein Pallirer mit andern Mächten, schließt jede Freude an der Herrlich¬
keit der Welt aus und ist überzeugt, daß der Herr nur auf rauhen und dornigem
Wegen gefunden werden könne. Er duldet nur eine Wissenschaft: die Theo¬
logie, und von dieser wandte der jugendliche Carlyle sich (wahrscheinlich nach
schweren innern Kämpfen) entschieden ab und gab seine Seele an das hin, was
dem schottischen Prediger, zu welchem ihn seine Eltern bestimmt hatten, Eitelkeit
der Eitelkeiten geblieben wäre. Wie ernst und streng, wie priesterlich und pro¬
phetisch nun auch der jugendliche Autor seinen neuen Beruf erfassen, wie ge¬
waltig die Psalmen seiner Knabcntnge in all sein späteres Thun und Meinen
hiueinklingen mochten — der Widerspruch war damit so wenig aus Carlyles
Seele gebannt, wie er jemals aus der Seele eines größeren Vorgängers.
Miltons. verschwunden ist. In seiner „Französischen Revolution" rief Carlyle
einem Landsmann, dem abenteuerlichen Seehelden Paul Jones, uach, ob ein stilles
Leben unter deu Seinen und ein paar Fuß schottischer Erde nicht all seinen
bunten Erlebnissen und Weltfahrten vorzuziehen gewesen wären? Eine ähnliche
Frage muß Carlyle oft sich selbst vorgelegt haben; in ihrer Folge ruht er von
den Mühen seines Daseins nicht in der britischen Nuhmeshalle der Westminster-
"blei, sondern an der Seite seiner Väter auf dem Dorfkirchhof von Ecclefecchan.
Zwischen Anfang und Ende aber lag ein ganzes reiches Leben, in dem die
Widersprüche der angeerbten und der selbsterworbenen Bildung und Weltan¬
schauung hart mit einander rangen. Und so wenig Carlyle ohne den Puritaner,
den „Schotten des alten Testaments," begriffen werden kann, so wenig kann
er ans dem Puritaner allein verstanden werden, wollend und uichtwollend ist
der Schriftsteller mit dem weltweiten Blick von dem bloßen Bußprediger, zu
dem er einst bestimmt war, und in den er gelegentlich zurückfiel, geschieden.

Carlyles Entschluß, sich einen eignen, seinen innersten Bedürfnissen ent¬
sprechenden Weg durchs Leben zu bahnen, siel in sein zweiundzwanzigstcs Lebens¬
jahr (er war 1795 geboren) und er empfand selbst nnter Entbehrungen an¬
fänglich eine gewisse Genugthuung über denselben. Aber freilich rang er eben
damals im Jahre 1818 zu hart mit dem Leben. „Obwohl feine Zeit, berichtet
der deutsche Biograph, mit Unterrichten und kleineren Arbeiten für Dr. Brcmsters
Encyklopädie und dem — freilich laxen — Studium der Jurisprudenz ziemlich
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[0023] Bildungselementen mich dieser Zeit erfüllt, ist Carlyle niemals völlig über den Widerspruch hinausgekommen, der zwischen dem Sohn des Farmers von Eccle- fecchan und dein gefeiertsten und wirknngsreichstcn englischen Schriftsteller not¬ wendigerweise bestehen mußte. An sich ist es ein Glück, aus den Niederungen des Lebens zu dessen Höhen zu steigen. Indeß die Bedingung dabei bleibt doch, daß kein feindlicher Gegensatz zwischen den Idealen der ersten Jugend und denen der Mannestage existire. Dieser unbedingte Einklang blieb Carlyle versagt. Der echte schottische Puritanismus, von dem Carlyles Vater durchdrungen war, kennt kein Pallirer mit andern Mächten, schließt jede Freude an der Herrlich¬ keit der Welt aus und ist überzeugt, daß der Herr nur auf rauhen und dornigem Wegen gefunden werden könne. Er duldet nur eine Wissenschaft: die Theo¬ logie, und von dieser wandte der jugendliche Carlyle sich (wahrscheinlich nach schweren innern Kämpfen) entschieden ab und gab seine Seele an das hin, was dem schottischen Prediger, zu welchem ihn seine Eltern bestimmt hatten, Eitelkeit der Eitelkeiten geblieben wäre. Wie ernst und streng, wie priesterlich und pro¬ phetisch nun auch der jugendliche Autor seinen neuen Beruf erfassen, wie ge¬ waltig die Psalmen seiner Knabcntnge in all sein späteres Thun und Meinen hiueinklingen mochten — der Widerspruch war damit so wenig aus Carlyles Seele gebannt, wie er jemals aus der Seele eines größeren Vorgängers. Miltons. verschwunden ist. In seiner „Französischen Revolution" rief Carlyle einem Landsmann, dem abenteuerlichen Seehelden Paul Jones, uach, ob ein stilles Leben unter deu Seinen und ein paar Fuß schottischer Erde nicht all seinen bunten Erlebnissen und Weltfahrten vorzuziehen gewesen wären? Eine ähnliche Frage muß Carlyle oft sich selbst vorgelegt haben; in ihrer Folge ruht er von den Mühen seines Daseins nicht in der britischen Nuhmeshalle der Westminster- "blei, sondern an der Seite seiner Väter auf dem Dorfkirchhof von Ecclefecchan. Zwischen Anfang und Ende aber lag ein ganzes reiches Leben, in dem die Widersprüche der angeerbten und der selbsterworbenen Bildung und Weltan¬ schauung hart mit einander rangen. Und so wenig Carlyle ohne den Puritaner, den „Schotten des alten Testaments," begriffen werden kann, so wenig kann er ans dem Puritaner allein verstanden werden, wollend und uichtwollend ist der Schriftsteller mit dem weltweiten Blick von dem bloßen Bußprediger, zu dem er einst bestimmt war, und in den er gelegentlich zurückfiel, geschieden. Carlyles Entschluß, sich einen eignen, seinen innersten Bedürfnissen ent¬ sprechenden Weg durchs Leben zu bahnen, siel in sein zweiundzwanzigstcs Lebens¬ jahr (er war 1795 geboren) und er empfand selbst nnter Entbehrungen an¬ fänglich eine gewisse Genugthuung über denselben. Aber freilich rang er eben damals im Jahre 1818 zu hart mit dem Leben. „Obwohl feine Zeit, berichtet der deutsche Biograph, mit Unterrichten und kleineren Arbeiten für Dr. Brcmsters Encyklopädie und dem — freilich laxen — Studium der Jurisprudenz ziemlich ü> Anspruch genommen war, fand er doch nirgends Befriedigung; er war in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/23>, abgerufen am 26.05.2024.