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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Alaviermusik seit Robert Schumann.

Menge in den Schaufenstern mich der guten Musikalienhandlungen ausgelegt
finden. Hinter den meisten dieser bildergeschmückteu (obendrein oft recht ge¬
schmacklosen) Umschläge, hinter diesen sinnigen anziehenden Titeln steckt in der
Regel nichts als die fadeste Klimperei. Auf der ersten Seite putzt und spreizt
sich das Klavier, ohne zu einem einzigen Worte zu kommen. Dann folgt ein
echter oder nachgeahmter Gassenhauer (am liebsten sentimentalen Schlages), ver¬
ziert mit den Abfällen der Virtuosentafeln: sechs bis zehnmal wird eine triviale
Melodie mit noch trivialeren Anspielungen wiederholt.

Es giebt Musikfreunde, welche über diese seichte Salonmusik in großen Eifer
geraten und sie mit sittlicher Entrüstung bekämpfen. Die Erscheinung ist aller¬
dings in mancher Beziehung traurig, aber weder neu noch unbegreiflich. Das
Klavierspiel ist nun einmal im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts Modesnche
geworden. Es bietet nicht bloß einen Zeitvertreib, ein Vergnügen, sondern
auch eine billige Gelegenheit, ein bischen Staat zu machen. Das beschränkteste
Mädchen erhält einen höhern, einen künstlerischen Anstrich, wenn unter seinen
Fingern die Saiten rauschen. Noch am Ende des vorigen Jahrhunderts bot
die Komposition wenig, was sich für den Salon eignete. So viele reizende
Stückchen auch in den Werken der alten Suitenkomponisten enthalten sind -- po¬
pulär kann man sie nicht nennen, weil sie immer gut musikalisch gebildete Spieler
voraussetzen. Die gewöhnlichen Tänze aber waren nicht vornehm genug, die So¬
naten wenn nicht zu hoch, so doch zu lang. Da kamen dann zur rechten Zeit die
Nocturnos auf, die Impromptus, die Moments und gleichzeitig der brillante Stil,
der sich dieser einfachen, leichtverständlichen Formen bemächtigte und sie so zurichtete,
daß sie nach etwas aussähen. Seit jener Zeit drängt sich alle Welt zum Klavier,
und darunter eine große Menge jener unberufenen, die von Musik keine Ahnung
haben, niemals haben werden und haben wollen. Ein Ascher, ein Beyer, ein
besten ist für sie mehr wert als ein Bach, ein Beethoven und ein Schumann.
Es wird ganz gewiß wieder eine Zeit kommen, in welcher die Musik diese
falschen Götter los wird und wo der allgemeine Geschmack sich von dieser
niedrigen Klaviermanie abwendet. Die billigen Ausgaben der Klassiker helfen
diese Wandlung vorbereiten. Das wichtigste hat dafür der Klavierunterricht zu
thun, der bis in die neueste Zeit zu einem guten Teil in den Händen von
Halbmusikern gelegen hat. Die Klavierlehrer stehen an der Spitze der innern
Musikalischen Mission. Wenn man abends zur klavierspieleuden Zeit durch die
Straßen spaziert, sollte man vor jedem Hause, aus welchem die Töne einer
Beethovenschen Sonate herausklingen, in Gedanken den Hut abziehe" vor dem
Manne, der dort unterrichtet.

In die Zeit der ärgsten Verflachung der Klaviermusik fällt das Auftreten
Robert Schumanns. Bald nach Mozarts Tode hatten der Pianofortebau
und die Technik des Klavierspieles beide gleichzeitig gewaltige Fortschritte gemacht
und das von Natur nur spärlich mit Klangmittcln bedachte Instrument mit neuen


Die Alaviermusik seit Robert Schumann.

Menge in den Schaufenstern mich der guten Musikalienhandlungen ausgelegt
finden. Hinter den meisten dieser bildergeschmückteu (obendrein oft recht ge¬
schmacklosen) Umschläge, hinter diesen sinnigen anziehenden Titeln steckt in der
Regel nichts als die fadeste Klimperei. Auf der ersten Seite putzt und spreizt
sich das Klavier, ohne zu einem einzigen Worte zu kommen. Dann folgt ein
echter oder nachgeahmter Gassenhauer (am liebsten sentimentalen Schlages), ver¬
ziert mit den Abfällen der Virtuosentafeln: sechs bis zehnmal wird eine triviale
Melodie mit noch trivialeren Anspielungen wiederholt.

Es giebt Musikfreunde, welche über diese seichte Salonmusik in großen Eifer
geraten und sie mit sittlicher Entrüstung bekämpfen. Die Erscheinung ist aller¬
dings in mancher Beziehung traurig, aber weder neu noch unbegreiflich. Das
Klavierspiel ist nun einmal im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts Modesnche
geworden. Es bietet nicht bloß einen Zeitvertreib, ein Vergnügen, sondern
auch eine billige Gelegenheit, ein bischen Staat zu machen. Das beschränkteste
Mädchen erhält einen höhern, einen künstlerischen Anstrich, wenn unter seinen
Fingern die Saiten rauschen. Noch am Ende des vorigen Jahrhunderts bot
die Komposition wenig, was sich für den Salon eignete. So viele reizende
Stückchen auch in den Werken der alten Suitenkomponisten enthalten sind — po¬
pulär kann man sie nicht nennen, weil sie immer gut musikalisch gebildete Spieler
voraussetzen. Die gewöhnlichen Tänze aber waren nicht vornehm genug, die So¬
naten wenn nicht zu hoch, so doch zu lang. Da kamen dann zur rechten Zeit die
Nocturnos auf, die Impromptus, die Moments und gleichzeitig der brillante Stil,
der sich dieser einfachen, leichtverständlichen Formen bemächtigte und sie so zurichtete,
daß sie nach etwas aussähen. Seit jener Zeit drängt sich alle Welt zum Klavier,
und darunter eine große Menge jener unberufenen, die von Musik keine Ahnung
haben, niemals haben werden und haben wollen. Ein Ascher, ein Beyer, ein
besten ist für sie mehr wert als ein Bach, ein Beethoven und ein Schumann.
Es wird ganz gewiß wieder eine Zeit kommen, in welcher die Musik diese
falschen Götter los wird und wo der allgemeine Geschmack sich von dieser
niedrigen Klaviermanie abwendet. Die billigen Ausgaben der Klassiker helfen
diese Wandlung vorbereiten. Das wichtigste hat dafür der Klavierunterricht zu
thun, der bis in die neueste Zeit zu einem guten Teil in den Händen von
Halbmusikern gelegen hat. Die Klavierlehrer stehen an der Spitze der innern
Musikalischen Mission. Wenn man abends zur klavierspieleuden Zeit durch die
Straßen spaziert, sollte man vor jedem Hause, aus welchem die Töne einer
Beethovenschen Sonate herausklingen, in Gedanken den Hut abziehe» vor dem
Manne, der dort unterrichtet.

In die Zeit der ärgsten Verflachung der Klaviermusik fällt das Auftreten
Robert Schumanns. Bald nach Mozarts Tode hatten der Pianofortebau
und die Technik des Klavierspieles beide gleichzeitig gewaltige Fortschritte gemacht
und das von Natur nur spärlich mit Klangmittcln bedachte Instrument mit neuen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/31>, abgerufen am 19.05.2024.