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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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sucht fanden hier nie ihre Rechnung. Das Bemühen einzelner, sich auf Kosten
des Ganzen geltend zu machen, prallte an der festgefügten Ordnung ab, und
der Unsitte, das Engagement gewissermaßen nur als die Station zu betrachten,
von welcher ans Beutezüge nach allen Seiten ausgeführt werden können, war
bis vor kurzem wenigstens eine Schranke gezogen. Deshalb kehrten Dawison,
die Seebach u. a. einem Institut den Rücken, welches dem Flügelschlag ihrer
freien Seele Fesseln anlegte; wohin dieser sie geführt hat, ist bekannt. Und
in Wien, wo man anfangs über solche Verluste trauerte, drang bald die Er¬
kenntnis wieder durch, daß etwas besseres gerettet worden war: das künstlerische
Zusammenwirken, die Einordnung jedes einzelnen Gliedes in die Organisation,
ohne welche ein Kunstwerk undenkbar ist.

Das seit hundert Jahren gepflegte Zusammenspiel und die Empfindung
und Schätzung für dasselbe im Publikum, eines wie die andern von Generation
zu Generation fortgepflanzt, verschaffen dem Vurgtheater seinen hervorragenden
Platz.

Dieser Vorzug setzt aber eine einheitliche, kräftige Leitung voraus. Die
Verfassung des IbMtre trg.lip!Ü8 scheint dieser Behauptung zu widersprechen, und
die Gründer eines "Deutschen Theaters" in Berlin haben augenscheinlich die
Absicht, sie anch für Dentschland aä Absurcluni zu führen. Wir lassen uns hier
nicht darauf ein, das Statut der Pariser Bühne zu kritisiren und nachzuweisen,
daß in diesen wie in andern Dingen die französischen Muster nicht für uns
passen; nach ziemlich verbreiteter Ansicht wird uus die neue Berliner Schöpfung
nur zu bald von dieser Wahrheit überzeugen. Die Geschichte des Burgtheaters
aber sagt uus, daß die besten Zeiten die eiues festen Regiments gewesen sind.
Im vorigen Jahrhundert gab es eine Art republikanischer Verfassung, doch hielt
es mit derselben weder Schröder noch Kotzebue aus. Führt eine schwache oder
lässige Hand das Steuer, so tauchen die Erinnerungen an die goldnen Zeiten
der Regisseurwirtschaft auf, unmerklich etablirt sich diese und kann dann nnr
durch große Energie wieder beseitigt werden.

So war es vor dreißig Jahren, so ist es hente abermals.

Deinhardstein, der Nachfolger Schreyvogls, hatte die Dinge gehen lassen,
wie sie wollten, und nach einem Interregnum im Jahre 1848 äußerte sich all¬
gemein das Verlangen nach einem wirklichen Direktor, natürlich einem solchen,
der "auf der Höhe der Zeit stünde." An Kandidaten mangelte es nicht, alle aber
drängte Heinrich Laube zurück, der schon von der Paulskirche aus Verbindungen
in Wien angeknüpft hatte. Besonders die Schauspieler waren für ihn, denen
seine mehr gemachten als gedichteten Dramen imponirten und die ihn bei der
Jnszenirnng seiner "Karlsschüler," eines dem Durchschnittsniveau der Theater-
bildung so sympathischen Stückes, als geschickten Regisseur kennen gelernt hatten;
ältere Mitglieder haben nachher hänfig verraten, daß sie in dem ihnen zu Dank
verpflichteten "Literaten" einen Direktor erwarteten, welcher sich gern von den


sucht fanden hier nie ihre Rechnung. Das Bemühen einzelner, sich auf Kosten
des Ganzen geltend zu machen, prallte an der festgefügten Ordnung ab, und
der Unsitte, das Engagement gewissermaßen nur als die Station zu betrachten,
von welcher ans Beutezüge nach allen Seiten ausgeführt werden können, war
bis vor kurzem wenigstens eine Schranke gezogen. Deshalb kehrten Dawison,
die Seebach u. a. einem Institut den Rücken, welches dem Flügelschlag ihrer
freien Seele Fesseln anlegte; wohin dieser sie geführt hat, ist bekannt. Und
in Wien, wo man anfangs über solche Verluste trauerte, drang bald die Er¬
kenntnis wieder durch, daß etwas besseres gerettet worden war: das künstlerische
Zusammenwirken, die Einordnung jedes einzelnen Gliedes in die Organisation,
ohne welche ein Kunstwerk undenkbar ist.

Das seit hundert Jahren gepflegte Zusammenspiel und die Empfindung
und Schätzung für dasselbe im Publikum, eines wie die andern von Generation
zu Generation fortgepflanzt, verschaffen dem Vurgtheater seinen hervorragenden
Platz.

Dieser Vorzug setzt aber eine einheitliche, kräftige Leitung voraus. Die
Verfassung des IbMtre trg.lip!Ü8 scheint dieser Behauptung zu widersprechen, und
die Gründer eines „Deutschen Theaters" in Berlin haben augenscheinlich die
Absicht, sie anch für Dentschland aä Absurcluni zu führen. Wir lassen uns hier
nicht darauf ein, das Statut der Pariser Bühne zu kritisiren und nachzuweisen,
daß in diesen wie in andern Dingen die französischen Muster nicht für uns
passen; nach ziemlich verbreiteter Ansicht wird uus die neue Berliner Schöpfung
nur zu bald von dieser Wahrheit überzeugen. Die Geschichte des Burgtheaters
aber sagt uus, daß die besten Zeiten die eiues festen Regiments gewesen sind.
Im vorigen Jahrhundert gab es eine Art republikanischer Verfassung, doch hielt
es mit derselben weder Schröder noch Kotzebue aus. Führt eine schwache oder
lässige Hand das Steuer, so tauchen die Erinnerungen an die goldnen Zeiten
der Regisseurwirtschaft auf, unmerklich etablirt sich diese und kann dann nnr
durch große Energie wieder beseitigt werden.

So war es vor dreißig Jahren, so ist es hente abermals.

Deinhardstein, der Nachfolger Schreyvogls, hatte die Dinge gehen lassen,
wie sie wollten, und nach einem Interregnum im Jahre 1848 äußerte sich all¬
gemein das Verlangen nach einem wirklichen Direktor, natürlich einem solchen,
der „auf der Höhe der Zeit stünde." An Kandidaten mangelte es nicht, alle aber
drängte Heinrich Laube zurück, der schon von der Paulskirche aus Verbindungen
in Wien angeknüpft hatte. Besonders die Schauspieler waren für ihn, denen
seine mehr gemachten als gedichteten Dramen imponirten und die ihn bei der
Jnszenirnng seiner „Karlsschüler," eines dem Durchschnittsniveau der Theater-
bildung so sympathischen Stückes, als geschickten Regisseur kennen gelernt hatten;
ältere Mitglieder haben nachher hänfig verraten, daß sie in dem ihnen zu Dank
verpflichteten „Literaten" einen Direktor erwarteten, welcher sich gern von den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/44>, abgerufen am 26.05.2024.