Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichstag und Landtag im neuen Jahre.

gefcihr mit folgenden Worten ausgedrückt haben: Unbestreitbar ist, daß der
König mich im konstitutionellen Staate persönlicher Träger und Inhaber der
staatlichen Gewalt ist. Auch in Verfassungsstaaten regieren die Minister nicht,
sie haben nur die Regierungsakte dem Volke gegenüber zu vertreten. Der Protest
gegen die Parlamentsherrschcift, der im ersten Teile des Erlasses enthalten ist, muß
bei der Zerfahrenheit des Reichstags als gegenstandslos und unnötig bezeichnet
werden; wir haben keine festen und staatsmännisch geschulten Parteien. Die
Verwaltungsbeamten dürfen der Regierung nicht systematisch opponiren, aber es
heißt zu viel verlangen, wenn sie für die Negierung wirken sollen. Thätiges
Wahlorgan darf der Beamte nicht sein. Wenn die Gedanken des königlichen
Manifests gerade jetzt ausgesprochen werden, so kann man dahinter Anschauungen
und Absichten vermuten, die dem Konstitutionalismus fremd sind.

Im folgenden unsre Meinung, die, wie man sehen wird, nur zum Teil
mit der zuletzt angeführten znsammenfüllt. Der Erlaß vom 4. Januar ist ganz
entschieden ein persönliches Manifest des Kaisers und Königs Wilhelm, ein Pen¬
dant zu der Botschaft, mit welcher der Reichstag eröffnet wurde. Er erfolgte
ferner nicht ohne Veranlassung und war somit nicht überflüssig; denn er war
ein Einspruch vom Throne gegenüber den Versuchen gewisser Redner der Oppo¬
sition, das verfassungsmäßige Recht der preußischen Regenten zu verdunkeln.
Er war endlich auch in seinem zweiten Teile wohlbegründet und wohlbcrechtigt.

Auch die Botschaft war eine persönliche Ansprache des Kaisers gewesen.
Die liberalen Redner aber hatten sie nicht als das gelten lassen, obwohl Stil
und Form derselben daran zu zweifeln nicht gestatteten. Hierdurch, sowie durch
parlamentarische Äußerungen über die staatsrechtliche Stellung des Königs über¬
haupt bewogen, erklärte der letztere in dem Erlaß zunächst den Ministern, dann
der Reichs- und üandesvertrctuug und der gestimmten Nation, wie er diese
Stellung auffasse, und wie er über die in der bekannten Rede v. Bennigsens
enthaltene Bcmäkclung der Anschauungen des Ministers von Puttkamer in Be¬
treff des Verhältnisses des Staatsoberhauptes zu seineu Beamten urteile. Der
Sinn des ersten Teils des Erlasses ist kurz gefaßt: Der König von Preußen,
der deutsche Kaiser herrscht nicht bloß, sondern regiert anch. Die selbstver¬
ständliche Unvcrantwortlichkeit und Unverletzlichkeit seiner Person benimmt seinen
Äußerungen nud Handlungen als König und Kaiser die Natur selbständiger
Willensakte in keiner Weise. In Preuße" nud im deutschen Reiche wird ver¬
fassungsmäßig, aber nicht parlamentarisch, wie in England, regiert. Nach den
Verfassungen ist der oberste Träger der Staatsgewalt kein bloßer abstrakter Be¬
griff, kein bloßer Repräsentant des Königtums, kein bloßer Sanktionirungsapparat,
aufgestellt zu dem Zwecke, die nach den Abstimmungen der Mehrheit in den
Parlamenten geschaffenen Gesetze für die Praxis einzuweihen, sondern eine leben¬
dige Persönlichkeit mit einer Meinung und einem Willen, mit denen er nicht
unter, sondern neben und in wesentlichen Beziehungen über der Volksvertretung


Reichstag und Landtag im neuen Jahre.

gefcihr mit folgenden Worten ausgedrückt haben: Unbestreitbar ist, daß der
König mich im konstitutionellen Staate persönlicher Träger und Inhaber der
staatlichen Gewalt ist. Auch in Verfassungsstaaten regieren die Minister nicht,
sie haben nur die Regierungsakte dem Volke gegenüber zu vertreten. Der Protest
gegen die Parlamentsherrschcift, der im ersten Teile des Erlasses enthalten ist, muß
bei der Zerfahrenheit des Reichstags als gegenstandslos und unnötig bezeichnet
werden; wir haben keine festen und staatsmännisch geschulten Parteien. Die
Verwaltungsbeamten dürfen der Regierung nicht systematisch opponiren, aber es
heißt zu viel verlangen, wenn sie für die Negierung wirken sollen. Thätiges
Wahlorgan darf der Beamte nicht sein. Wenn die Gedanken des königlichen
Manifests gerade jetzt ausgesprochen werden, so kann man dahinter Anschauungen
und Absichten vermuten, die dem Konstitutionalismus fremd sind.

Im folgenden unsre Meinung, die, wie man sehen wird, nur zum Teil
mit der zuletzt angeführten znsammenfüllt. Der Erlaß vom 4. Januar ist ganz
entschieden ein persönliches Manifest des Kaisers und Königs Wilhelm, ein Pen¬
dant zu der Botschaft, mit welcher der Reichstag eröffnet wurde. Er erfolgte
ferner nicht ohne Veranlassung und war somit nicht überflüssig; denn er war
ein Einspruch vom Throne gegenüber den Versuchen gewisser Redner der Oppo¬
sition, das verfassungsmäßige Recht der preußischen Regenten zu verdunkeln.
Er war endlich auch in seinem zweiten Teile wohlbegründet und wohlbcrechtigt.

Auch die Botschaft war eine persönliche Ansprache des Kaisers gewesen.
Die liberalen Redner aber hatten sie nicht als das gelten lassen, obwohl Stil
und Form derselben daran zu zweifeln nicht gestatteten. Hierdurch, sowie durch
parlamentarische Äußerungen über die staatsrechtliche Stellung des Königs über¬
haupt bewogen, erklärte der letztere in dem Erlaß zunächst den Ministern, dann
der Reichs- und üandesvertrctuug und der gestimmten Nation, wie er diese
Stellung auffasse, und wie er über die in der bekannten Rede v. Bennigsens
enthaltene Bcmäkclung der Anschauungen des Ministers von Puttkamer in Be¬
treff des Verhältnisses des Staatsoberhauptes zu seineu Beamten urteile. Der
Sinn des ersten Teils des Erlasses ist kurz gefaßt: Der König von Preußen,
der deutsche Kaiser herrscht nicht bloß, sondern regiert anch. Die selbstver¬
ständliche Unvcrantwortlichkeit und Unverletzlichkeit seiner Person benimmt seinen
Äußerungen nud Handlungen als König und Kaiser die Natur selbständiger
Willensakte in keiner Weise. In Preuße» nud im deutschen Reiche wird ver¬
fassungsmäßig, aber nicht parlamentarisch, wie in England, regiert. Nach den
Verfassungen ist der oberste Träger der Staatsgewalt kein bloßer abstrakter Be¬
griff, kein bloßer Repräsentant des Königtums, kein bloßer Sanktionirungsapparat,
aufgestellt zu dem Zwecke, die nach den Abstimmungen der Mehrheit in den
Parlamenten geschaffenen Gesetze für die Praxis einzuweihen, sondern eine leben¬
dige Persönlichkeit mit einer Meinung und einem Willen, mit denen er nicht
unter, sondern neben und in wesentlichen Beziehungen über der Volksvertretung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86331"/>
          <fw type="header" place="top"> Reichstag und Landtag im neuen Jahre.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_883" prev="#ID_882"> gefcihr mit folgenden Worten ausgedrückt haben: Unbestreitbar ist, daß der<lb/>
König mich im konstitutionellen Staate persönlicher Träger und Inhaber der<lb/>
staatlichen Gewalt ist. Auch in Verfassungsstaaten regieren die Minister nicht,<lb/>
sie haben nur die Regierungsakte dem Volke gegenüber zu vertreten. Der Protest<lb/>
gegen die Parlamentsherrschcift, der im ersten Teile des Erlasses enthalten ist, muß<lb/>
bei der Zerfahrenheit des Reichstags als gegenstandslos und unnötig bezeichnet<lb/>
werden; wir haben keine festen und staatsmännisch geschulten Parteien. Die<lb/>
Verwaltungsbeamten dürfen der Regierung nicht systematisch opponiren, aber es<lb/>
heißt zu viel verlangen, wenn sie für die Negierung wirken sollen. Thätiges<lb/>
Wahlorgan darf der Beamte nicht sein. Wenn die Gedanken des königlichen<lb/>
Manifests gerade jetzt ausgesprochen werden, so kann man dahinter Anschauungen<lb/>
und Absichten vermuten, die dem Konstitutionalismus fremd sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_884"> Im folgenden unsre Meinung, die, wie man sehen wird, nur zum Teil<lb/>
mit der zuletzt angeführten znsammenfüllt. Der Erlaß vom 4. Januar ist ganz<lb/>
entschieden ein persönliches Manifest des Kaisers und Königs Wilhelm, ein Pen¬<lb/>
dant zu der Botschaft, mit welcher der Reichstag eröffnet wurde. Er erfolgte<lb/>
ferner nicht ohne Veranlassung und war somit nicht überflüssig; denn er war<lb/>
ein Einspruch vom Throne gegenüber den Versuchen gewisser Redner der Oppo¬<lb/>
sition, das verfassungsmäßige Recht der preußischen Regenten zu verdunkeln.<lb/>
Er war endlich auch in seinem zweiten Teile wohlbegründet und wohlbcrechtigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_885" next="#ID_886"> Auch die Botschaft war eine persönliche Ansprache des Kaisers gewesen.<lb/>
Die liberalen Redner aber hatten sie nicht als das gelten lassen, obwohl Stil<lb/>
und Form derselben daran zu zweifeln nicht gestatteten. Hierdurch, sowie durch<lb/>
parlamentarische Äußerungen über die staatsrechtliche Stellung des Königs über¬<lb/>
haupt bewogen, erklärte der letztere in dem Erlaß zunächst den Ministern, dann<lb/>
der Reichs- und üandesvertrctuug und der gestimmten Nation, wie er diese<lb/>
Stellung auffasse, und wie er über die in der bekannten Rede v. Bennigsens<lb/>
enthaltene Bcmäkclung der Anschauungen des Ministers von Puttkamer in Be¬<lb/>
treff des Verhältnisses des Staatsoberhauptes zu seineu Beamten urteile. Der<lb/>
Sinn des ersten Teils des Erlasses ist kurz gefaßt: Der König von Preußen,<lb/>
der deutsche Kaiser herrscht nicht bloß, sondern regiert anch. Die selbstver¬<lb/>
ständliche Unvcrantwortlichkeit und Unverletzlichkeit seiner Person benimmt seinen<lb/>
Äußerungen nud Handlungen als König und Kaiser die Natur selbständiger<lb/>
Willensakte in keiner Weise. In Preuße» nud im deutschen Reiche wird ver¬<lb/>
fassungsmäßig, aber nicht parlamentarisch, wie in England, regiert. Nach den<lb/>
Verfassungen ist der oberste Träger der Staatsgewalt kein bloßer abstrakter Be¬<lb/>
griff, kein bloßer Repräsentant des Königtums, kein bloßer Sanktionirungsapparat,<lb/>
aufgestellt zu dem Zwecke, die nach den Abstimmungen der Mehrheit in den<lb/>
Parlamenten geschaffenen Gesetze für die Praxis einzuweihen, sondern eine leben¬<lb/>
dige Persönlichkeit mit einer Meinung und einem Willen, mit denen er nicht<lb/>
unter, sondern neben und in wesentlichen Beziehungen über der Volksvertretung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] Reichstag und Landtag im neuen Jahre. gefcihr mit folgenden Worten ausgedrückt haben: Unbestreitbar ist, daß der König mich im konstitutionellen Staate persönlicher Träger und Inhaber der staatlichen Gewalt ist. Auch in Verfassungsstaaten regieren die Minister nicht, sie haben nur die Regierungsakte dem Volke gegenüber zu vertreten. Der Protest gegen die Parlamentsherrschcift, der im ersten Teile des Erlasses enthalten ist, muß bei der Zerfahrenheit des Reichstags als gegenstandslos und unnötig bezeichnet werden; wir haben keine festen und staatsmännisch geschulten Parteien. Die Verwaltungsbeamten dürfen der Regierung nicht systematisch opponiren, aber es heißt zu viel verlangen, wenn sie für die Negierung wirken sollen. Thätiges Wahlorgan darf der Beamte nicht sein. Wenn die Gedanken des königlichen Manifests gerade jetzt ausgesprochen werden, so kann man dahinter Anschauungen und Absichten vermuten, die dem Konstitutionalismus fremd sind. Im folgenden unsre Meinung, die, wie man sehen wird, nur zum Teil mit der zuletzt angeführten znsammenfüllt. Der Erlaß vom 4. Januar ist ganz entschieden ein persönliches Manifest des Kaisers und Königs Wilhelm, ein Pen¬ dant zu der Botschaft, mit welcher der Reichstag eröffnet wurde. Er erfolgte ferner nicht ohne Veranlassung und war somit nicht überflüssig; denn er war ein Einspruch vom Throne gegenüber den Versuchen gewisser Redner der Oppo¬ sition, das verfassungsmäßige Recht der preußischen Regenten zu verdunkeln. Er war endlich auch in seinem zweiten Teile wohlbegründet und wohlbcrechtigt. Auch die Botschaft war eine persönliche Ansprache des Kaisers gewesen. Die liberalen Redner aber hatten sie nicht als das gelten lassen, obwohl Stil und Form derselben daran zu zweifeln nicht gestatteten. Hierdurch, sowie durch parlamentarische Äußerungen über die staatsrechtliche Stellung des Königs über¬ haupt bewogen, erklärte der letztere in dem Erlaß zunächst den Ministern, dann der Reichs- und üandesvertrctuug und der gestimmten Nation, wie er diese Stellung auffasse, und wie er über die in der bekannten Rede v. Bennigsens enthaltene Bcmäkclung der Anschauungen des Ministers von Puttkamer in Be¬ treff des Verhältnisses des Staatsoberhauptes zu seineu Beamten urteile. Der Sinn des ersten Teils des Erlasses ist kurz gefaßt: Der König von Preußen, der deutsche Kaiser herrscht nicht bloß, sondern regiert anch. Die selbstver¬ ständliche Unvcrantwortlichkeit und Unverletzlichkeit seiner Person benimmt seinen Äußerungen nud Handlungen als König und Kaiser die Natur selbständiger Willensakte in keiner Weise. In Preuße» nud im deutschen Reiche wird ver¬ fassungsmäßig, aber nicht parlamentarisch, wie in England, regiert. Nach den Verfassungen ist der oberste Träger der Staatsgewalt kein bloßer abstrakter Be¬ griff, kein bloßer Repräsentant des Königtums, kein bloßer Sanktionirungsapparat, aufgestellt zu dem Zwecke, die nach den Abstimmungen der Mehrheit in den Parlamenten geschaffenen Gesetze für die Praxis einzuweihen, sondern eine leben¬ dige Persönlichkeit mit einer Meinung und einem Willen, mit denen er nicht unter, sondern neben und in wesentlichen Beziehungen über der Volksvertretung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/210>, abgerufen am 10.06.2024.