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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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hindert Hain' jedoch nicht, selbst zu prophezeien. Er faßt das Mißverhältnis
des königlichen Einkommens zu dem Volkseinkommen ins Auge, welches sich da¬
mals wie 1 : 30 verhielt, den Hang des englische" Volkes zum Luxus und zur
Korruption, seine Hinneigung zur Monarchie, und sieht die absolute Monarchie,
die er der Volksherrschaft vorzieht, über England hereinbrechen. Seit der Ab¬
fassung jenes Essays ist die königliche Macht, abgesehen von der ersten Hälfte
der Negierung Georgs III , stets gesunken. DaS Verhältnis zwischen Volks¬
und königlichem Einkommen ist ein ganz andres geworden, ES verhält sich wie
1 : 2500. Und dennoch hat das Königtum jetzt vielleicht festere Wurzeln als vor
hundert Jahren. Es ist jedoch trostlos zu prophezeien, denn niemand kann alle
Kräfte voraussehen, die die Geschicke der Völker weben, noch ihre Macht richtig
abmessen. Wer weiß, ob nicht der Sieg des radikalen Prinzips den englischen
arbeitenden Klassen zur materiellen Wohlfahrt verhelfen und dein Lande eine
Periode lauge" Friedens geben wird? Wer weiß, ob nicht der Zusammenbruch
des Oberhauses dem Unterhause die Intelligenz und die staatsmännische Bildung
des englischen Adels zuführen wird? Wer weiß, ob nicht eine Reduktion der
Wahlkvsten, die man auf allen Seiten herbeiwünscht, dem Parlamente junge,
tüchtige, mit der historische", staatswissenschaftlicher und philosophische" Bildung
ihrer Zeit "bewaffnete" Talente zuführen wird? Und wer weiß, ob nicht beide
Ereignisse das Ansehen des Unterhauses wieder heben werden?

Die Wahlkostcn sind noch immer in England ungeheuer. Es werden jetzt nicht
mehr so exorbitante Summen wie im vorigen Jahrhunderte bezahlt, wo eine Wahl
in der Grafschaft Jork 150 000 Pfund Sterling, eine andre in Northhampton
70 000 Pfund Sterling kostete und sich einige Gutsbesitzer das Vergnügen, im
Parlamente zu sitzen, jährlich auf 15 000 Pfund Sterling berechnen konnten.
Aber auch jetzt noch ist die Ausgabe von 5000 Pfund Sterling nichts Außer¬
gewöhnliches. Die offiziellen Berichte sind nicht vollständig treu, da sie den zu
Bestechungen ausgegebenen Betrag natürlich nicht aufführen können. Hier muß
gründlich Wandel geschaffen werden, damit auch unbemittelte tüchtige Männer
ins Parlament gelangen können. Man hat sich in einigen Fällen mit Sub-
skriptivnen geholfen. Auf diese Weise wurde es John Stuart Mill möglich,
einen Sitz zu erlangen. Aber in vielen Fällen angewandt, würde dies Mittel
bald versagen. Die jetzige Regierung sieht die Wichtigkeit der Reform ein. Sie
ließ sich kürzlich über die Wahlkosten in andern Ländern berichten. Vor allem
müssen die Anschauungen des englischen Volkes von Grund ans verändert werden,
welches echt kaufmännisch kalkulirt, daß ein Kandidat sich durch einen Sitz im
Parlamente einen Vorteil verschaffe, für den er bezahlen müsse. Wenigstens
ein Teil der Wahlkosten, schlägt man vor, soll von den Wahlkreisen aufgebracht
werde". Auch die Angelegenheit der nicht in der Grafschaft ansässigen Guts¬
besitzer ist von einschneidender Bedeutung. Mit einem nicht einmal großen Auf-
wande von Kapital kann sich jemand fünfzig Stimmen verschaffen, und dieselben


hindert Hain' jedoch nicht, selbst zu prophezeien. Er faßt das Mißverhältnis
des königlichen Einkommens zu dem Volkseinkommen ins Auge, welches sich da¬
mals wie 1 : 30 verhielt, den Hang des englische» Volkes zum Luxus und zur
Korruption, seine Hinneigung zur Monarchie, und sieht die absolute Monarchie,
die er der Volksherrschaft vorzieht, über England hereinbrechen. Seit der Ab¬
fassung jenes Essays ist die königliche Macht, abgesehen von der ersten Hälfte
der Negierung Georgs III , stets gesunken. DaS Verhältnis zwischen Volks¬
und königlichem Einkommen ist ein ganz andres geworden, ES verhält sich wie
1 : 2500. Und dennoch hat das Königtum jetzt vielleicht festere Wurzeln als vor
hundert Jahren. Es ist jedoch trostlos zu prophezeien, denn niemand kann alle
Kräfte voraussehen, die die Geschicke der Völker weben, noch ihre Macht richtig
abmessen. Wer weiß, ob nicht der Sieg des radikalen Prinzips den englischen
arbeitenden Klassen zur materiellen Wohlfahrt verhelfen und dein Lande eine
Periode lauge» Friedens geben wird? Wer weiß, ob nicht der Zusammenbruch
des Oberhauses dem Unterhause die Intelligenz und die staatsmännische Bildung
des englischen Adels zuführen wird? Wer weiß, ob nicht eine Reduktion der
Wahlkvsten, die man auf allen Seiten herbeiwünscht, dem Parlamente junge,
tüchtige, mit der historische», staatswissenschaftlicher und philosophische» Bildung
ihrer Zeit „bewaffnete" Talente zuführen wird? Und wer weiß, ob nicht beide
Ereignisse das Ansehen des Unterhauses wieder heben werden?

Die Wahlkostcn sind noch immer in England ungeheuer. Es werden jetzt nicht
mehr so exorbitante Summen wie im vorigen Jahrhunderte bezahlt, wo eine Wahl
in der Grafschaft Jork 150 000 Pfund Sterling, eine andre in Northhampton
70 000 Pfund Sterling kostete und sich einige Gutsbesitzer das Vergnügen, im
Parlamente zu sitzen, jährlich auf 15 000 Pfund Sterling berechnen konnten.
Aber auch jetzt noch ist die Ausgabe von 5000 Pfund Sterling nichts Außer¬
gewöhnliches. Die offiziellen Berichte sind nicht vollständig treu, da sie den zu
Bestechungen ausgegebenen Betrag natürlich nicht aufführen können. Hier muß
gründlich Wandel geschaffen werden, damit auch unbemittelte tüchtige Männer
ins Parlament gelangen können. Man hat sich in einigen Fällen mit Sub-
skriptivnen geholfen. Auf diese Weise wurde es John Stuart Mill möglich,
einen Sitz zu erlangen. Aber in vielen Fällen angewandt, würde dies Mittel
bald versagen. Die jetzige Regierung sieht die Wichtigkeit der Reform ein. Sie
ließ sich kürzlich über die Wahlkosten in andern Ländern berichten. Vor allem
müssen die Anschauungen des englischen Volkes von Grund ans verändert werden,
welches echt kaufmännisch kalkulirt, daß ein Kandidat sich durch einen Sitz im
Parlamente einen Vorteil verschaffe, für den er bezahlen müsse. Wenigstens
ein Teil der Wahlkosten, schlägt man vor, soll von den Wahlkreisen aufgebracht
werde». Auch die Angelegenheit der nicht in der Grafschaft ansässigen Guts¬
besitzer ist von einschneidender Bedeutung. Mit einem nicht einmal großen Auf-
wande von Kapital kann sich jemand fünfzig Stimmen verschaffen, und dieselben


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[0224] hindert Hain' jedoch nicht, selbst zu prophezeien. Er faßt das Mißverhältnis des königlichen Einkommens zu dem Volkseinkommen ins Auge, welches sich da¬ mals wie 1 : 30 verhielt, den Hang des englische» Volkes zum Luxus und zur Korruption, seine Hinneigung zur Monarchie, und sieht die absolute Monarchie, die er der Volksherrschaft vorzieht, über England hereinbrechen. Seit der Ab¬ fassung jenes Essays ist die königliche Macht, abgesehen von der ersten Hälfte der Negierung Georgs III , stets gesunken. DaS Verhältnis zwischen Volks¬ und königlichem Einkommen ist ein ganz andres geworden, ES verhält sich wie 1 : 2500. Und dennoch hat das Königtum jetzt vielleicht festere Wurzeln als vor hundert Jahren. Es ist jedoch trostlos zu prophezeien, denn niemand kann alle Kräfte voraussehen, die die Geschicke der Völker weben, noch ihre Macht richtig abmessen. Wer weiß, ob nicht der Sieg des radikalen Prinzips den englischen arbeitenden Klassen zur materiellen Wohlfahrt verhelfen und dein Lande eine Periode lauge» Friedens geben wird? Wer weiß, ob nicht der Zusammenbruch des Oberhauses dem Unterhause die Intelligenz und die staatsmännische Bildung des englischen Adels zuführen wird? Wer weiß, ob nicht eine Reduktion der Wahlkvsten, die man auf allen Seiten herbeiwünscht, dem Parlamente junge, tüchtige, mit der historische», staatswissenschaftlicher und philosophische» Bildung ihrer Zeit „bewaffnete" Talente zuführen wird? Und wer weiß, ob nicht beide Ereignisse das Ansehen des Unterhauses wieder heben werden? Die Wahlkostcn sind noch immer in England ungeheuer. Es werden jetzt nicht mehr so exorbitante Summen wie im vorigen Jahrhunderte bezahlt, wo eine Wahl in der Grafschaft Jork 150 000 Pfund Sterling, eine andre in Northhampton 70 000 Pfund Sterling kostete und sich einige Gutsbesitzer das Vergnügen, im Parlamente zu sitzen, jährlich auf 15 000 Pfund Sterling berechnen konnten. Aber auch jetzt noch ist die Ausgabe von 5000 Pfund Sterling nichts Außer¬ gewöhnliches. Die offiziellen Berichte sind nicht vollständig treu, da sie den zu Bestechungen ausgegebenen Betrag natürlich nicht aufführen können. Hier muß gründlich Wandel geschaffen werden, damit auch unbemittelte tüchtige Männer ins Parlament gelangen können. Man hat sich in einigen Fällen mit Sub- skriptivnen geholfen. Auf diese Weise wurde es John Stuart Mill möglich, einen Sitz zu erlangen. Aber in vielen Fällen angewandt, würde dies Mittel bald versagen. Die jetzige Regierung sieht die Wichtigkeit der Reform ein. Sie ließ sich kürzlich über die Wahlkosten in andern Ländern berichten. Vor allem müssen die Anschauungen des englischen Volkes von Grund ans verändert werden, welches echt kaufmännisch kalkulirt, daß ein Kandidat sich durch einen Sitz im Parlamente einen Vorteil verschaffe, für den er bezahlen müsse. Wenigstens ein Teil der Wahlkosten, schlägt man vor, soll von den Wahlkreisen aufgebracht werde». Auch die Angelegenheit der nicht in der Grafschaft ansässigen Guts¬ besitzer ist von einschneidender Bedeutung. Mit einem nicht einmal großen Auf- wande von Kapital kann sich jemand fünfzig Stimmen verschaffen, und dieselben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/224>, abgerufen am 10.06.2024.