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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zwei Faustkommentare.

von (jul pro quo greift man sich unwillkürlich an den Kopf und fragt sich,
öl> man nicht am Ende auch vielleicht der Erdgeist sei.

Auch ein so unbedeutender Zug wie der, daß Mephistopheles es für ein
Gesetz der Teufel erklärt, daß sie dort, wo sie hereingeschlüpft, auch wieder
hinaus müßten, wird als symbolisch wichtig für das Ganze ausgedeutet. Der
Teufel kam zum Vorschein, als Faust in seiner Bibelübersetzung bei dem Aus¬
spruche anlangte: Im Anfang war die That; und als am Schlüsse des zweiten
Teils sich als das Endergebnis der durch Faust gewonnenen Weisheit ergiebt,
daß der Anfang des Lebens und der Freiheit die rastlose That sei, wird dem
Mephistopheles damit der Weg gewiesen, auf dem er wieder hinaus muß.

Sogar der klare Wortlaut des Dichters muß sich der vorgefaßten Mei¬
nung des Interpreten beugen. Fausts großer Fluch wird von Marbach hypo¬
thetisch gefaßt, weil sonst Faust schon unrettbar dem Teufel verfallen wäre.
Da aber, trotz der anscheinend hypothetischen Form, der Wortlaut dem wider¬
spricht, meistert er die Fassung des Dichters mit deu Worten: "Logik ist das
nicht, wohl aber Poesie, die logisch interpretirt lauten würde: Wenn Glocken-
klang und Chorgesang, welche mich damals vom Selbstmorde zurückgehalten
haben, nichts waren als ein Trugspiel, dann fluch ich u. s. w."

Doch genug! -- In den zweiten Teil der Dichtung, wo es noch viel mehr
aus- und unterzulegen giebt, dem Verfasser zu folgen, müssen wir von vorn¬
herein ablehnen. Es ist jedoch anzuerkennen, daß er wenigstens von einer bis
ins Einzelne durchgeführten rein allegorischen Deutelei der dort entgegentretenden
bunten Erscheinungswelt sich fern hält, vielmehr der Dichtung als solcher in
diesem Punkte ihre Rechte wahrt. Daß er im Mummenschanz bei der Elc-
Phautengruppe an das moderne Gründertnm und bei Zoilo-Thersites an die
Sozialdemokratie denkt, geht nur so nebenher und soll Wohl nicht ernstlich eine
Auslegung sein. --

Ein völlig andrer Geist weht uns an, wenn wir Schröers Faustansgabc
aufschlagen. Hier fühlen wir festen Boden unter den Füßen und einen Aus¬
gangspunkt, von dem aus sich zu einer Verständigung gelangen läßt. Schröer
steht im "Faust" kein von philosophischer Spekulation eingegebenes Gedicht.
Diese blieb Goethe, wie er sehr gut ausführt, bei seinem poetischen Schaffen
überhaupt stets fremd. Er ging von einem Angeschauten aus, und diese An¬
schauung aufzusuchen, ist die Aufgabe des Kommentators, während eine philo¬
sophische Erklärung überall scheitern muß.

In seiner Einleitung geht Schröer hauptsächlich auf die Entstehungsgeschichte
des Gedichts ein und kommt da zu vielfach von den verschiedenen bisherigen
Annahmen abweichenden Aufstellungen, die eine besondre Prüfung wohl ver¬
dienen. Die ursprüngliche Konzeption rückt er weiter hinauf als es gewöhnlich
geschieht, schon in das Jahr 1769. Er macht diese Annahme ziemlich wahr¬
scheinlich, und es wird sich umsoweniger etwas dagegen einwenden lassen, als


Grenzbott'n I. 1882. 80
Zwei Faustkommentare.

von (jul pro quo greift man sich unwillkürlich an den Kopf und fragt sich,
öl> man nicht am Ende auch vielleicht der Erdgeist sei.

Auch ein so unbedeutender Zug wie der, daß Mephistopheles es für ein
Gesetz der Teufel erklärt, daß sie dort, wo sie hereingeschlüpft, auch wieder
hinaus müßten, wird als symbolisch wichtig für das Ganze ausgedeutet. Der
Teufel kam zum Vorschein, als Faust in seiner Bibelübersetzung bei dem Aus¬
spruche anlangte: Im Anfang war die That; und als am Schlüsse des zweiten
Teils sich als das Endergebnis der durch Faust gewonnenen Weisheit ergiebt,
daß der Anfang des Lebens und der Freiheit die rastlose That sei, wird dem
Mephistopheles damit der Weg gewiesen, auf dem er wieder hinaus muß.

Sogar der klare Wortlaut des Dichters muß sich der vorgefaßten Mei¬
nung des Interpreten beugen. Fausts großer Fluch wird von Marbach hypo¬
thetisch gefaßt, weil sonst Faust schon unrettbar dem Teufel verfallen wäre.
Da aber, trotz der anscheinend hypothetischen Form, der Wortlaut dem wider¬
spricht, meistert er die Fassung des Dichters mit deu Worten: „Logik ist das
nicht, wohl aber Poesie, die logisch interpretirt lauten würde: Wenn Glocken-
klang und Chorgesang, welche mich damals vom Selbstmorde zurückgehalten
haben, nichts waren als ein Trugspiel, dann fluch ich u. s. w."

Doch genug! — In den zweiten Teil der Dichtung, wo es noch viel mehr
aus- und unterzulegen giebt, dem Verfasser zu folgen, müssen wir von vorn¬
herein ablehnen. Es ist jedoch anzuerkennen, daß er wenigstens von einer bis
ins Einzelne durchgeführten rein allegorischen Deutelei der dort entgegentretenden
bunten Erscheinungswelt sich fern hält, vielmehr der Dichtung als solcher in
diesem Punkte ihre Rechte wahrt. Daß er im Mummenschanz bei der Elc-
Phautengruppe an das moderne Gründertnm und bei Zoilo-Thersites an die
Sozialdemokratie denkt, geht nur so nebenher und soll Wohl nicht ernstlich eine
Auslegung sein. —

Ein völlig andrer Geist weht uns an, wenn wir Schröers Faustansgabc
aufschlagen. Hier fühlen wir festen Boden unter den Füßen und einen Aus¬
gangspunkt, von dem aus sich zu einer Verständigung gelangen läßt. Schröer
steht im „Faust" kein von philosophischer Spekulation eingegebenes Gedicht.
Diese blieb Goethe, wie er sehr gut ausführt, bei seinem poetischen Schaffen
überhaupt stets fremd. Er ging von einem Angeschauten aus, und diese An¬
schauung aufzusuchen, ist die Aufgabe des Kommentators, während eine philo¬
sophische Erklärung überall scheitern muß.

In seiner Einleitung geht Schröer hauptsächlich auf die Entstehungsgeschichte
des Gedichts ein und kommt da zu vielfach von den verschiedenen bisherigen
Annahmen abweichenden Aufstellungen, die eine besondre Prüfung wohl ver¬
dienen. Die ursprüngliche Konzeption rückt er weiter hinauf als es gewöhnlich
geschieht, schon in das Jahr 1769. Er macht diese Annahme ziemlich wahr¬
scheinlich, und es wird sich umsoweniger etwas dagegen einwenden lassen, als


Grenzbott'n I. 1882. 80
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[0241] Zwei Faustkommentare. von (jul pro quo greift man sich unwillkürlich an den Kopf und fragt sich, öl> man nicht am Ende auch vielleicht der Erdgeist sei. Auch ein so unbedeutender Zug wie der, daß Mephistopheles es für ein Gesetz der Teufel erklärt, daß sie dort, wo sie hereingeschlüpft, auch wieder hinaus müßten, wird als symbolisch wichtig für das Ganze ausgedeutet. Der Teufel kam zum Vorschein, als Faust in seiner Bibelübersetzung bei dem Aus¬ spruche anlangte: Im Anfang war die That; und als am Schlüsse des zweiten Teils sich als das Endergebnis der durch Faust gewonnenen Weisheit ergiebt, daß der Anfang des Lebens und der Freiheit die rastlose That sei, wird dem Mephistopheles damit der Weg gewiesen, auf dem er wieder hinaus muß. Sogar der klare Wortlaut des Dichters muß sich der vorgefaßten Mei¬ nung des Interpreten beugen. Fausts großer Fluch wird von Marbach hypo¬ thetisch gefaßt, weil sonst Faust schon unrettbar dem Teufel verfallen wäre. Da aber, trotz der anscheinend hypothetischen Form, der Wortlaut dem wider¬ spricht, meistert er die Fassung des Dichters mit deu Worten: „Logik ist das nicht, wohl aber Poesie, die logisch interpretirt lauten würde: Wenn Glocken- klang und Chorgesang, welche mich damals vom Selbstmorde zurückgehalten haben, nichts waren als ein Trugspiel, dann fluch ich u. s. w." Doch genug! — In den zweiten Teil der Dichtung, wo es noch viel mehr aus- und unterzulegen giebt, dem Verfasser zu folgen, müssen wir von vorn¬ herein ablehnen. Es ist jedoch anzuerkennen, daß er wenigstens von einer bis ins Einzelne durchgeführten rein allegorischen Deutelei der dort entgegentretenden bunten Erscheinungswelt sich fern hält, vielmehr der Dichtung als solcher in diesem Punkte ihre Rechte wahrt. Daß er im Mummenschanz bei der Elc- Phautengruppe an das moderne Gründertnm und bei Zoilo-Thersites an die Sozialdemokratie denkt, geht nur so nebenher und soll Wohl nicht ernstlich eine Auslegung sein. — Ein völlig andrer Geist weht uns an, wenn wir Schröers Faustansgabc aufschlagen. Hier fühlen wir festen Boden unter den Füßen und einen Aus¬ gangspunkt, von dem aus sich zu einer Verständigung gelangen läßt. Schröer steht im „Faust" kein von philosophischer Spekulation eingegebenes Gedicht. Diese blieb Goethe, wie er sehr gut ausführt, bei seinem poetischen Schaffen überhaupt stets fremd. Er ging von einem Angeschauten aus, und diese An¬ schauung aufzusuchen, ist die Aufgabe des Kommentators, während eine philo¬ sophische Erklärung überall scheitern muß. In seiner Einleitung geht Schröer hauptsächlich auf die Entstehungsgeschichte des Gedichts ein und kommt da zu vielfach von den verschiedenen bisherigen Annahmen abweichenden Aufstellungen, die eine besondre Prüfung wohl ver¬ dienen. Die ursprüngliche Konzeption rückt er weiter hinauf als es gewöhnlich geschieht, schon in das Jahr 1769. Er macht diese Annahme ziemlich wahr¬ scheinlich, und es wird sich umsoweniger etwas dagegen einwenden lassen, als Grenzbott'n I. 1882. 80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/241>, abgerufen am 09.06.2024.