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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zwei Laustkommentare.

nicht zu verkennen sei. Mit der Zeit wird sich wohl eine Allsicht allgemein
festsetzen, die zwischen beiden Extremen die richtige Mitte hält.

Der Schwerpunkt der Schröcrschen Arbeit liegt in den fortlaufende" er¬
klärenden Anmerkungen. Leider läßt er sich hier in dem Streben nach Voll¬
ständigkeit von seinem philologischen Erklärungseifer zu weit fortreißen. Wenn
er es sogar für nötig findet zu kommandiren: "Mit Stroh dreschen wird ver¬
gebliche, fruchtlose Arbeit bezeichnet, da Stroh schon gedroschen ist und kein Korn
mehr enthält," so können wir ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß er damit
selber Stroh gedroschen hat. Er scheint uns denn doch seinen Lesern zu wenig
zuzutrauen. So glaubt er Worte wie Ragout, Maxime, Fakultät?c. erklären
zu müssen. Da fragt man sich, welches Publikum er eigentlich im Auge gehabt
habe. Er spricht sich darüber nirgends aus. Unsern heranwachsenden Töchtern
Pflegen wir doch den "Faust" nicht in die Hand zu geben, und sür eine ersprießliche
Lektüre dieses Gedichts ist doch außer der nötigen geistigen Reife auch ein ge¬
wisser Fonds allgemeiner Bildung und eine Summe gewöhnlicher Kenntnisse
eine unumgänglich notwendige Voraussetzung. Die Voraussetzungslostgkeit von
Schröers Kommentar fällt um so mehr auf, als sie in Kontrast steht mit der
Einleitung, die keineswegs darauf berechnet ist, in zusammenfassender Übersicht
den gebildeten Leser in das Ganze der Dichtung, die Geschichte der Sage :c.
einzuführen, sondern sich mehr an ein gelehrtes oder wenigstens mit den ein¬
schlagenden Fragen bereits vertrautes Publikum wendet und nur einige wichtigere
Punkte erörtert. Schröers ausdrücklich betonte Absicht, keiner Schwierigkeit aus
dem Wege gehen zu wollen, ist ja an sich durchaus lobenswert. Aber viele
seiner Erklärungen sind weiter nichts als entbehrliche prosaische Umschreibungen
der Dichterworte. Hierin geht er entschieden zu weit.

So können wir z. B. auch nicht zugeben, daß der Satz:


Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen

"eigentlich unverständlich" sei und erst durch Parallelstellen aus andern Gvethischeii
Werken klar werde. Allerdings klingt er paradox, aber ein Paradoxon ist doch
noch nicht unverständlich. Man braucht die juristische Unterscheidung zwischen
Eigentümer und Besitzer, auf die Schröer Hütte hinweisen sollen, gar nicht einmal
präsent zu haben, um sofort zu fühlen, was der Dichter sagen will, und was
er im zweiten Teile etwas anders gewendet mit den Worten ausdrückt: "Nur
der verdient sich Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muß." Wir
habe" nichts dagegen, wenn man jene Parallelstellen herbeizieht, um nachzuweisen,
wie Goethe zu einer bestimmten Zeit sich gerne in einem gewissen Ideenkreise
bewegt habe. Es ist dies ja lehrreich genng. Nur soll mau nicht den Vorwurf
der "Unverständlichkeit" gegen ihn erheben. Denn ein Vorwurf wäre es. Ein
andres ist es, ob dem Verständnis nachgeholfen werden kann und muß bei vor¬
handener Zweideutigkeit des Ausdruckes, oder durch Aufdeckung von Beziehungen,


Zwei Laustkommentare.

nicht zu verkennen sei. Mit der Zeit wird sich wohl eine Allsicht allgemein
festsetzen, die zwischen beiden Extremen die richtige Mitte hält.

Der Schwerpunkt der Schröcrschen Arbeit liegt in den fortlaufende» er¬
klärenden Anmerkungen. Leider läßt er sich hier in dem Streben nach Voll¬
ständigkeit von seinem philologischen Erklärungseifer zu weit fortreißen. Wenn
er es sogar für nötig findet zu kommandiren: „Mit Stroh dreschen wird ver¬
gebliche, fruchtlose Arbeit bezeichnet, da Stroh schon gedroschen ist und kein Korn
mehr enthält," so können wir ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß er damit
selber Stroh gedroschen hat. Er scheint uns denn doch seinen Lesern zu wenig
zuzutrauen. So glaubt er Worte wie Ragout, Maxime, Fakultät?c. erklären
zu müssen. Da fragt man sich, welches Publikum er eigentlich im Auge gehabt
habe. Er spricht sich darüber nirgends aus. Unsern heranwachsenden Töchtern
Pflegen wir doch den „Faust" nicht in die Hand zu geben, und sür eine ersprießliche
Lektüre dieses Gedichts ist doch außer der nötigen geistigen Reife auch ein ge¬
wisser Fonds allgemeiner Bildung und eine Summe gewöhnlicher Kenntnisse
eine unumgänglich notwendige Voraussetzung. Die Voraussetzungslostgkeit von
Schröers Kommentar fällt um so mehr auf, als sie in Kontrast steht mit der
Einleitung, die keineswegs darauf berechnet ist, in zusammenfassender Übersicht
den gebildeten Leser in das Ganze der Dichtung, die Geschichte der Sage :c.
einzuführen, sondern sich mehr an ein gelehrtes oder wenigstens mit den ein¬
schlagenden Fragen bereits vertrautes Publikum wendet und nur einige wichtigere
Punkte erörtert. Schröers ausdrücklich betonte Absicht, keiner Schwierigkeit aus
dem Wege gehen zu wollen, ist ja an sich durchaus lobenswert. Aber viele
seiner Erklärungen sind weiter nichts als entbehrliche prosaische Umschreibungen
der Dichterworte. Hierin geht er entschieden zu weit.

So können wir z. B. auch nicht zugeben, daß der Satz:


Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen

„eigentlich unverständlich" sei und erst durch Parallelstellen aus andern Gvethischeii
Werken klar werde. Allerdings klingt er paradox, aber ein Paradoxon ist doch
noch nicht unverständlich. Man braucht die juristische Unterscheidung zwischen
Eigentümer und Besitzer, auf die Schröer Hütte hinweisen sollen, gar nicht einmal
präsent zu haben, um sofort zu fühlen, was der Dichter sagen will, und was
er im zweiten Teile etwas anders gewendet mit den Worten ausdrückt: „Nur
der verdient sich Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muß." Wir
habe» nichts dagegen, wenn man jene Parallelstellen herbeizieht, um nachzuweisen,
wie Goethe zu einer bestimmten Zeit sich gerne in einem gewissen Ideenkreise
bewegt habe. Es ist dies ja lehrreich genng. Nur soll mau nicht den Vorwurf
der „Unverständlichkeit" gegen ihn erheben. Denn ein Vorwurf wäre es. Ein
andres ist es, ob dem Verständnis nachgeholfen werden kann und muß bei vor¬
handener Zweideutigkeit des Ausdruckes, oder durch Aufdeckung von Beziehungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/245>, abgerufen am 10.06.2024.