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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die deutsche Bühne der Gegenwart,

derselben an, daß er Manieren hat, so hat er bei der Hälfte schon gewonnenes
Spiel. Daß die schauspielerische Begabung sich durch keine Bildung erzwingen
läßt, wird dabei vollständig übersehen; man will lieber den gebildet redenden,
maßvollen, d. h. entsetzlich matten Franz Moor als den Dämon, der uns mit
der Erzählung seiner Vision bis ins innerste Mark ergreift. Man verehrt den
feinfühligen Schauspieler, der es mit der Leidenschaft glimpflich nimmt, aber
man verabscheut das kräftige Talent, das des Guten zu viel thut. Eine junge
Sängerin mit ausländischem Name", die von einem Impresario, der die
Lärmtrommel vor ihr rührte, geführt, vor einigen Jahren zwei oder drei Opern¬
rollen in italienischer Sprache recht schwächlich traktirte, erntete in einer gebil¬
deten Gesellschaft begeistertes Lob, weil sie als Margarete in der Gvunvdschen
Oper so "laclMlis" aufgetreten sei. Kann man sich, wenn dies möglich ist, wun¬
dern, daß die Vertreter des Heldenfachs, die am meisten versucht sind, Stimme
und Empfindung zu zeigen, sich diesen Wink der eleganten Welt besonders zu
Herzen nehmen und um jeden Preis so matt und conventionell wie möglich sind?
Noch ganz kürzlich hatte ich Gelegenheit im Hoftheater zu Stuttgart, einer nicht
sonderlich aecreditirten Kunststätte, eine Aufführung der "Geschwister" zu sehen,
in der die Marianne in den gewöhnlichsten Soubrettenmanieren gehalten und
der Wilhelm so unglaublich marklos und lau gespielt und gesprochen wurde,
daß man sich sagen mußte, der Darsteller könne von dem überleidenschaftlichen
Inhalt seiner Rolle keine Ahnung haben -- wenn man nicht wüßte, daß er den
Doktortitel trüge und demnach doch wohl mehr als ein gewöhnlicher Routinier sein
müsse. Oder gelten wohl gar die "Geschwister" für ein Konversationsstück?
Dann war jedenfalls die Konversation jener Tage eine andre als die unsrige.
Aus jedem Worte der kleinen Dichtung quillt ein Strahl jenes lebhaften Ge¬
fühls, welches Leben und Literatur der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
durchflutete, die zurückgehaltene Empfindung will jeden Augenblick die Dämme
brechen, und wo sie hervorstürzt, da wird sie zu Zeiten, wie in dem Monolog Wil¬
helms, in welchem er sich die Reihe der Verlassenen vorführt, deren Herz er mit leicht¬
sinnigen Gefälligkeiten ausschloß, maß- und fessellos. Und diese Fülle der Ge¬
sichte denke man sich in ganz gewöhnlichem Tone glatt und verstündig vorgetragen!
In Mannheim gab ein oft gerühmter Schauspieler den Don Cesar in West-
Moretos "Donna Diana." Er hatte eine schöne, imposante und trefflich spie¬
lende Partnerin und in den jungen Prinzen zwei liebenswürdige Gefährten; er
selbst aber gab in langsamsten Tempo, erregungslos, die prächtige Erzählung
des Turniers zum Besten, phlegmatisch war er am Anfang und blieb es am
Ende, und wenn der Held die Maske der Verstellung endlich abwirft und befreit,
beglückt ausruft: "So laß mich denn, du göttliche, dir sage", daß alle meine
Pulse für dich schlagen," selbst da kam unser Cesar nicht aus seiner gleichgil-
tigen Gemütsruhe, und kaum hörbar verhauchten seine letzten Worte hinter dem
Gehege der Zähne. Das sind nur einige Beispiele, die jeder Kenner der Bühne


Die deutsche Bühne der Gegenwart,

derselben an, daß er Manieren hat, so hat er bei der Hälfte schon gewonnenes
Spiel. Daß die schauspielerische Begabung sich durch keine Bildung erzwingen
läßt, wird dabei vollständig übersehen; man will lieber den gebildet redenden,
maßvollen, d. h. entsetzlich matten Franz Moor als den Dämon, der uns mit
der Erzählung seiner Vision bis ins innerste Mark ergreift. Man verehrt den
feinfühligen Schauspieler, der es mit der Leidenschaft glimpflich nimmt, aber
man verabscheut das kräftige Talent, das des Guten zu viel thut. Eine junge
Sängerin mit ausländischem Name», die von einem Impresario, der die
Lärmtrommel vor ihr rührte, geführt, vor einigen Jahren zwei oder drei Opern¬
rollen in italienischer Sprache recht schwächlich traktirte, erntete in einer gebil¬
deten Gesellschaft begeistertes Lob, weil sie als Margarete in der Gvunvdschen
Oper so „laclMlis" aufgetreten sei. Kann man sich, wenn dies möglich ist, wun¬
dern, daß die Vertreter des Heldenfachs, die am meisten versucht sind, Stimme
und Empfindung zu zeigen, sich diesen Wink der eleganten Welt besonders zu
Herzen nehmen und um jeden Preis so matt und conventionell wie möglich sind?
Noch ganz kürzlich hatte ich Gelegenheit im Hoftheater zu Stuttgart, einer nicht
sonderlich aecreditirten Kunststätte, eine Aufführung der „Geschwister" zu sehen,
in der die Marianne in den gewöhnlichsten Soubrettenmanieren gehalten und
der Wilhelm so unglaublich marklos und lau gespielt und gesprochen wurde,
daß man sich sagen mußte, der Darsteller könne von dem überleidenschaftlichen
Inhalt seiner Rolle keine Ahnung haben — wenn man nicht wüßte, daß er den
Doktortitel trüge und demnach doch wohl mehr als ein gewöhnlicher Routinier sein
müsse. Oder gelten wohl gar die „Geschwister" für ein Konversationsstück?
Dann war jedenfalls die Konversation jener Tage eine andre als die unsrige.
Aus jedem Worte der kleinen Dichtung quillt ein Strahl jenes lebhaften Ge¬
fühls, welches Leben und Literatur der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
durchflutete, die zurückgehaltene Empfindung will jeden Augenblick die Dämme
brechen, und wo sie hervorstürzt, da wird sie zu Zeiten, wie in dem Monolog Wil¬
helms, in welchem er sich die Reihe der Verlassenen vorführt, deren Herz er mit leicht¬
sinnigen Gefälligkeiten ausschloß, maß- und fessellos. Und diese Fülle der Ge¬
sichte denke man sich in ganz gewöhnlichem Tone glatt und verstündig vorgetragen!
In Mannheim gab ein oft gerühmter Schauspieler den Don Cesar in West-
Moretos „Donna Diana." Er hatte eine schöne, imposante und trefflich spie¬
lende Partnerin und in den jungen Prinzen zwei liebenswürdige Gefährten; er
selbst aber gab in langsamsten Tempo, erregungslos, die prächtige Erzählung
des Turniers zum Besten, phlegmatisch war er am Anfang und blieb es am
Ende, und wenn der Held die Maske der Verstellung endlich abwirft und befreit,
beglückt ausruft: „So laß mich denn, du göttliche, dir sage», daß alle meine
Pulse für dich schlagen," selbst da kam unser Cesar nicht aus seiner gleichgil-
tigen Gemütsruhe, und kaum hörbar verhauchten seine letzten Worte hinter dem
Gehege der Zähne. Das sind nur einige Beispiele, die jeder Kenner der Bühne


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[0036] Die deutsche Bühne der Gegenwart, derselben an, daß er Manieren hat, so hat er bei der Hälfte schon gewonnenes Spiel. Daß die schauspielerische Begabung sich durch keine Bildung erzwingen läßt, wird dabei vollständig übersehen; man will lieber den gebildet redenden, maßvollen, d. h. entsetzlich matten Franz Moor als den Dämon, der uns mit der Erzählung seiner Vision bis ins innerste Mark ergreift. Man verehrt den feinfühligen Schauspieler, der es mit der Leidenschaft glimpflich nimmt, aber man verabscheut das kräftige Talent, das des Guten zu viel thut. Eine junge Sängerin mit ausländischem Name», die von einem Impresario, der die Lärmtrommel vor ihr rührte, geführt, vor einigen Jahren zwei oder drei Opern¬ rollen in italienischer Sprache recht schwächlich traktirte, erntete in einer gebil¬ deten Gesellschaft begeistertes Lob, weil sie als Margarete in der Gvunvdschen Oper so „laclMlis" aufgetreten sei. Kann man sich, wenn dies möglich ist, wun¬ dern, daß die Vertreter des Heldenfachs, die am meisten versucht sind, Stimme und Empfindung zu zeigen, sich diesen Wink der eleganten Welt besonders zu Herzen nehmen und um jeden Preis so matt und conventionell wie möglich sind? Noch ganz kürzlich hatte ich Gelegenheit im Hoftheater zu Stuttgart, einer nicht sonderlich aecreditirten Kunststätte, eine Aufführung der „Geschwister" zu sehen, in der die Marianne in den gewöhnlichsten Soubrettenmanieren gehalten und der Wilhelm so unglaublich marklos und lau gespielt und gesprochen wurde, daß man sich sagen mußte, der Darsteller könne von dem überleidenschaftlichen Inhalt seiner Rolle keine Ahnung haben — wenn man nicht wüßte, daß er den Doktortitel trüge und demnach doch wohl mehr als ein gewöhnlicher Routinier sein müsse. Oder gelten wohl gar die „Geschwister" für ein Konversationsstück? Dann war jedenfalls die Konversation jener Tage eine andre als die unsrige. Aus jedem Worte der kleinen Dichtung quillt ein Strahl jenes lebhaften Ge¬ fühls, welches Leben und Literatur der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durchflutete, die zurückgehaltene Empfindung will jeden Augenblick die Dämme brechen, und wo sie hervorstürzt, da wird sie zu Zeiten, wie in dem Monolog Wil¬ helms, in welchem er sich die Reihe der Verlassenen vorführt, deren Herz er mit leicht¬ sinnigen Gefälligkeiten ausschloß, maß- und fessellos. Und diese Fülle der Ge¬ sichte denke man sich in ganz gewöhnlichem Tone glatt und verstündig vorgetragen! In Mannheim gab ein oft gerühmter Schauspieler den Don Cesar in West- Moretos „Donna Diana." Er hatte eine schöne, imposante und trefflich spie¬ lende Partnerin und in den jungen Prinzen zwei liebenswürdige Gefährten; er selbst aber gab in langsamsten Tempo, erregungslos, die prächtige Erzählung des Turniers zum Besten, phlegmatisch war er am Anfang und blieb es am Ende, und wenn der Held die Maske der Verstellung endlich abwirft und befreit, beglückt ausruft: „So laß mich denn, du göttliche, dir sage», daß alle meine Pulse für dich schlagen," selbst da kam unser Cesar nicht aus seiner gleichgil- tigen Gemütsruhe, und kaum hörbar verhauchten seine letzten Worte hinter dem Gehege der Zähne. Das sind nur einige Beispiele, die jeder Kenner der Bühne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/36>, abgerufen am 18.05.2024.