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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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nicht in den Kulthandlungen, sondern in der Bewahrung einer unsterblichen
Bildung. Wie viel davon noch in die Seelen der Menschen übergehen konnte,
wird uns ewig dunkel bleiben, denn in den großen Kämpfen der Weltgeschichte
finden die überwundenen Minoritäten selten einen Wortführer, der völlig klar machte,
was sie bewegt. Gewiß ist, daß AthenaW, als sie nach dem Tode ihres Vaters nach
Byzanz verschlagen, dort irgendwie (nach der Erzählung der byzantinischen Geschicht¬
schreiber) als Bittende in den Kaiserpalast gelangt war, die Gunst der damals
allmächtigen Schwester des Kaisers Theodosius II., der jungfräulichen Pulchcria,
einer eifrigen Christin, und die Neigung des jungen Kaisers gewann, daß sie
ihrer Bekehrung zur Stnatsreligivn keinen Widerstand entgegensetzte und sich
unmittelbar vor ihrer Vermählung laufen ließ. "In der Stefanskirche zu Cvn-
stmitinvvcl wurde diese heilige Handlung vom Patriarchen Attikns vollzogen.
Athenais nahm als Christin die stolzen Namen Alla Eudokia an." Ihre Ver¬
mählung mit Theodosius II. erfolgte bestimmt im Jahre 421, und von diesem
Zeitpunkte an läßt sich die Geschichte der schönen Kaiserin in gewissen Einzel¬
heiten verfolgen. Gregorovius stellt sie in ihrem häuslichen und öffentlichen Leben,
im Jntriguengewirr und im blendenden Prunk des byzantinischen Kaiserpalastes,
im Zusammenhange mit den historischen Vorgängen ihrer Zeit, die zumeist dunkle,
unheilvolle, durch und durch unerquickliche waren, dar. Er schildert ihre Wall¬
fahrt nach Jerusalem im Jahre 438; "eine unberechenbare Verkettung der Lebens¬
schicksale hatte sie aus den Olivenhainen ihrer Vaterstadt Athen zu deu Palmen der
ferner Stadt Davids und Salomos geführt. Beide wunderbaren Städte bezeichneten
für sie den Ausgangspunkt und den Endpunkt ihres Lebeus, und beide waren die
entgegengesetzten Pole der menschlichem Kultur." Bald nach ihrer Rückkehr aus
Palästina nach Constantinopel erlag die Kaiserin Eudokia, deren Jugcudschönhcit
"icht mehr den Sieg über alle gegen sie gerichteten Ränke davon tragen konnte,
'sie wurde gestürzt und mußte es uach den Verhältnissen jener Zeit und des
byzantinischen Hofes noch als Glück erachten, daß sie weder hingerichtet, noch
vergiftet, noch in eines der üblichen Bußklöster gesteckt wurde, sondern Erlaubnis
erhielt, sich nach Jerusalem in eine Art ehrenvoller Verbannung zurückzuziehen.
Zwischen 441 und 444 verließ sie die Kaiserstadt für immer und nahm ihren
dauernden Wohnsitz in der heiligen Stadt, noch immer mit reichen Einkünften,
"och immer in den theologischen Kämpfen einflußreich und bis an ihren Tod
literarisch thätig. Aber freilich stand ihre äußere Situation mit der jahrzehntelang
gewohnten im herben Gegensatz. "Ihr Leben in dem öden, heißen Jerusalem
kann nur ein trauriges gewesen sein. Sie entbehrte dort alles dessen, woran
sie gewöhnt war, des Glanzes und der Fülle der großen Welt, des Zusammen¬
hangs mit deu Strömungen der Gegenwart, mit der Wissenschaft und Kunst
und des Umganges mit bedeutenden Menschen." Und doch würde dies alles
wenig zu besagen, haben vermöchten wir aus dem ganzen Zusammenhange der
Dinge oder aus dem von Gregorovius übersetzten Bruchstücke einer Dichtung der


nicht in den Kulthandlungen, sondern in der Bewahrung einer unsterblichen
Bildung. Wie viel davon noch in die Seelen der Menschen übergehen konnte,
wird uns ewig dunkel bleiben, denn in den großen Kämpfen der Weltgeschichte
finden die überwundenen Minoritäten selten einen Wortführer, der völlig klar machte,
was sie bewegt. Gewiß ist, daß AthenaW, als sie nach dem Tode ihres Vaters nach
Byzanz verschlagen, dort irgendwie (nach der Erzählung der byzantinischen Geschicht¬
schreiber) als Bittende in den Kaiserpalast gelangt war, die Gunst der damals
allmächtigen Schwester des Kaisers Theodosius II., der jungfräulichen Pulchcria,
einer eifrigen Christin, und die Neigung des jungen Kaisers gewann, daß sie
ihrer Bekehrung zur Stnatsreligivn keinen Widerstand entgegensetzte und sich
unmittelbar vor ihrer Vermählung laufen ließ. „In der Stefanskirche zu Cvn-
stmitinvvcl wurde diese heilige Handlung vom Patriarchen Attikns vollzogen.
Athenais nahm als Christin die stolzen Namen Alla Eudokia an." Ihre Ver¬
mählung mit Theodosius II. erfolgte bestimmt im Jahre 421, und von diesem
Zeitpunkte an läßt sich die Geschichte der schönen Kaiserin in gewissen Einzel¬
heiten verfolgen. Gregorovius stellt sie in ihrem häuslichen und öffentlichen Leben,
im Jntriguengewirr und im blendenden Prunk des byzantinischen Kaiserpalastes,
im Zusammenhange mit den historischen Vorgängen ihrer Zeit, die zumeist dunkle,
unheilvolle, durch und durch unerquickliche waren, dar. Er schildert ihre Wall¬
fahrt nach Jerusalem im Jahre 438; „eine unberechenbare Verkettung der Lebens¬
schicksale hatte sie aus den Olivenhainen ihrer Vaterstadt Athen zu deu Palmen der
ferner Stadt Davids und Salomos geführt. Beide wunderbaren Städte bezeichneten
für sie den Ausgangspunkt und den Endpunkt ihres Lebeus, und beide waren die
entgegengesetzten Pole der menschlichem Kultur." Bald nach ihrer Rückkehr aus
Palästina nach Constantinopel erlag die Kaiserin Eudokia, deren Jugcudschönhcit
»icht mehr den Sieg über alle gegen sie gerichteten Ränke davon tragen konnte,
'sie wurde gestürzt und mußte es uach den Verhältnissen jener Zeit und des
byzantinischen Hofes noch als Glück erachten, daß sie weder hingerichtet, noch
vergiftet, noch in eines der üblichen Bußklöster gesteckt wurde, sondern Erlaubnis
erhielt, sich nach Jerusalem in eine Art ehrenvoller Verbannung zurückzuziehen.
Zwischen 441 und 444 verließ sie die Kaiserstadt für immer und nahm ihren
dauernden Wohnsitz in der heiligen Stadt, noch immer mit reichen Einkünften,
»och immer in den theologischen Kämpfen einflußreich und bis an ihren Tod
literarisch thätig. Aber freilich stand ihre äußere Situation mit der jahrzehntelang
gewohnten im herben Gegensatz. „Ihr Leben in dem öden, heißen Jerusalem
kann nur ein trauriges gewesen sein. Sie entbehrte dort alles dessen, woran
sie gewöhnt war, des Glanzes und der Fülle der großen Welt, des Zusammen¬
hangs mit deu Strömungen der Gegenwart, mit der Wissenschaft und Kunst
und des Umganges mit bedeutenden Menschen." Und doch würde dies alles
wenig zu besagen, haben vermöchten wir aus dem ganzen Zusammenhange der
Dinge oder aus dem von Gregorovius übersetzten Bruchstücke einer Dichtung der


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[0045] nicht in den Kulthandlungen, sondern in der Bewahrung einer unsterblichen Bildung. Wie viel davon noch in die Seelen der Menschen übergehen konnte, wird uns ewig dunkel bleiben, denn in den großen Kämpfen der Weltgeschichte finden die überwundenen Minoritäten selten einen Wortführer, der völlig klar machte, was sie bewegt. Gewiß ist, daß AthenaW, als sie nach dem Tode ihres Vaters nach Byzanz verschlagen, dort irgendwie (nach der Erzählung der byzantinischen Geschicht¬ schreiber) als Bittende in den Kaiserpalast gelangt war, die Gunst der damals allmächtigen Schwester des Kaisers Theodosius II., der jungfräulichen Pulchcria, einer eifrigen Christin, und die Neigung des jungen Kaisers gewann, daß sie ihrer Bekehrung zur Stnatsreligivn keinen Widerstand entgegensetzte und sich unmittelbar vor ihrer Vermählung laufen ließ. „In der Stefanskirche zu Cvn- stmitinvvcl wurde diese heilige Handlung vom Patriarchen Attikns vollzogen. Athenais nahm als Christin die stolzen Namen Alla Eudokia an." Ihre Ver¬ mählung mit Theodosius II. erfolgte bestimmt im Jahre 421, und von diesem Zeitpunkte an läßt sich die Geschichte der schönen Kaiserin in gewissen Einzel¬ heiten verfolgen. Gregorovius stellt sie in ihrem häuslichen und öffentlichen Leben, im Jntriguengewirr und im blendenden Prunk des byzantinischen Kaiserpalastes, im Zusammenhange mit den historischen Vorgängen ihrer Zeit, die zumeist dunkle, unheilvolle, durch und durch unerquickliche waren, dar. Er schildert ihre Wall¬ fahrt nach Jerusalem im Jahre 438; „eine unberechenbare Verkettung der Lebens¬ schicksale hatte sie aus den Olivenhainen ihrer Vaterstadt Athen zu deu Palmen der ferner Stadt Davids und Salomos geführt. Beide wunderbaren Städte bezeichneten für sie den Ausgangspunkt und den Endpunkt ihres Lebeus, und beide waren die entgegengesetzten Pole der menschlichem Kultur." Bald nach ihrer Rückkehr aus Palästina nach Constantinopel erlag die Kaiserin Eudokia, deren Jugcudschönhcit »icht mehr den Sieg über alle gegen sie gerichteten Ränke davon tragen konnte, 'sie wurde gestürzt und mußte es uach den Verhältnissen jener Zeit und des byzantinischen Hofes noch als Glück erachten, daß sie weder hingerichtet, noch vergiftet, noch in eines der üblichen Bußklöster gesteckt wurde, sondern Erlaubnis erhielt, sich nach Jerusalem in eine Art ehrenvoller Verbannung zurückzuziehen. Zwischen 441 und 444 verließ sie die Kaiserstadt für immer und nahm ihren dauernden Wohnsitz in der heiligen Stadt, noch immer mit reichen Einkünften, »och immer in den theologischen Kämpfen einflußreich und bis an ihren Tod literarisch thätig. Aber freilich stand ihre äußere Situation mit der jahrzehntelang gewohnten im herben Gegensatz. „Ihr Leben in dem öden, heißen Jerusalem kann nur ein trauriges gewesen sein. Sie entbehrte dort alles dessen, woran sie gewöhnt war, des Glanzes und der Fülle der großen Welt, des Zusammen¬ hangs mit deu Strömungen der Gegenwart, mit der Wissenschaft und Kunst und des Umganges mit bedeutenden Menschen." Und doch würde dies alles wenig zu besagen, haben vermöchten wir aus dem ganzen Zusammenhange der Dinge oder aus dem von Gregorovius übersetzten Bruchstücke einer Dichtung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/45>, abgerufen am 18.05.2024.