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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Teil der ehemaligen Republik Polen, welcher unter preußischer Herrschaft steht,
sich eines Grades von Wohlstand, von Rechtssicherheit, von Anhänglichkeit der
Einwohner an die Regierung erfreut, wie er in dem ganzen Umfange der Republik
Polen, so lauge es eine polnische Geschichte giebt, nicht vorhanden und nicht
erhört gewesen ist____ Es ist trotz aller Vcrführuugsmittel, die bei den ungefähr
alle fünfzehn Jahre sich wiederholenden Insurrektionen zur Auffrischung der
Gefühle angewendet wurden, nicht gelungen, die preußischen Unterthanen polnischer
Zunge in irgend erheblicher Zahl so zu verführen, daß sie sich an diesen Bestrebungen
einer Minorität beteiligt hätten. Es ist dies vorzugsweise vom Adel, gutsherr¬
lichen Beamten und Arbeitern geschehen. Der Bauer hat stets mit großer Energie
gegen jeden Versuch, die Zustände, von denen er durch seine Väter gehört hatte
^die Herrschaft des adlichen Knrbatsch über das geknechtete, als Lasttier behandelte
und bis aufs Blut ausgesaugte Landvolk der Jahre vor 1796 und 1815 ist
gemeint I, wiederherzustellen, zu den Waffen gegriffen in Reih und Glied, mit
einer Energie, welche die Regierung im Jahre 1848 nötigte, im Interesse der
Menschlichkeit untre als polnische Truppen gegen die Aufständischen zu verwenden.
Diese selben Gefühle der Anhänglichkeit haben die polnischen Soldaten ans allen
Schlachtfeldern bethätigt, sie haben ihre Treue gegen den König ans den dänischen
und auf den böhmischen Schlachtfeldern >wir können hinzufügen: auch auf den
französischen^ mit ihrem Blut und mit der ihrer Nationalität eigentümlichen
Tapferkeit besiegelt."

Die Wahlen im Posenschen scheinen gegen diese dankbare Anhänglichkeit
zu sprechen. Sie waren aber nur das Resultat einer fast beispiellosen Agitation,
bei welcher die polnische Geistlichkeit die Hauptrolle spielte. 1867 sagte ein
Pfarrer, den der Kanzler im Reichstage mit Namen anführte, einer bäuerlichen
Wahlversammlung: "Die Wahlen sind vor der Thür; man muß sich zusammen-
nehmen, sonst wird man uns verbieten, polnisch zu sprechen, polnisch zu schlafen,
polnisch zu beten, zu singen und zu weinen, polnisch eine Kanzelrede zu halten.
Unsre Kinder werden alle deutsch werden, und dann geht es in Deutschland
gerade so wie in Rußland, dann werden wir gehängt werden, wenn wir uns
Polen nennen." Ein andrer Geistlicher empfahl den Bauern seine eigne Wahl,
indem er den Polen vorspiegelte, die Regierung wolle ihnen ihre Sprache und
ihren Glauben nehmen, den Deutschen, man wolle sie zu Evangelischen machen.
Die polnischen Bauern eiues Dorfes sagten ihrem Gutsherrn, sie müßten für
den rcgicrnugsfeindlichcn Propst stimmen, sie könnten nicht anders; denu es handle
sich um ihr Seelenheil, der Propst habe ihnen gesagt, wenn sie seine Zettel nicht
abgaben, so könnten sie bei der Osterbeichte nicht auf Absolution rechnen. Eine
ganze Anzahl von Pfarrern hielten Wahlreden von der Kanzel, in welchen sie
unter vielen Thränen ihrer Gemeinde verkündete", wenn man nicht einen Polen
wähle, so werde man unausbleiblich gezwungen werden, die katholische Religion
und die polnische Sprache aufzugeben. Unmittelbar darauf verteilte dann ge-


Teil der ehemaligen Republik Polen, welcher unter preußischer Herrschaft steht,
sich eines Grades von Wohlstand, von Rechtssicherheit, von Anhänglichkeit der
Einwohner an die Regierung erfreut, wie er in dem ganzen Umfange der Republik
Polen, so lauge es eine polnische Geschichte giebt, nicht vorhanden und nicht
erhört gewesen ist____ Es ist trotz aller Vcrführuugsmittel, die bei den ungefähr
alle fünfzehn Jahre sich wiederholenden Insurrektionen zur Auffrischung der
Gefühle angewendet wurden, nicht gelungen, die preußischen Unterthanen polnischer
Zunge in irgend erheblicher Zahl so zu verführen, daß sie sich an diesen Bestrebungen
einer Minorität beteiligt hätten. Es ist dies vorzugsweise vom Adel, gutsherr¬
lichen Beamten und Arbeitern geschehen. Der Bauer hat stets mit großer Energie
gegen jeden Versuch, die Zustände, von denen er durch seine Väter gehört hatte
^die Herrschaft des adlichen Knrbatsch über das geknechtete, als Lasttier behandelte
und bis aufs Blut ausgesaugte Landvolk der Jahre vor 1796 und 1815 ist
gemeint I, wiederherzustellen, zu den Waffen gegriffen in Reih und Glied, mit
einer Energie, welche die Regierung im Jahre 1848 nötigte, im Interesse der
Menschlichkeit untre als polnische Truppen gegen die Aufständischen zu verwenden.
Diese selben Gefühle der Anhänglichkeit haben die polnischen Soldaten ans allen
Schlachtfeldern bethätigt, sie haben ihre Treue gegen den König ans den dänischen
und auf den böhmischen Schlachtfeldern >wir können hinzufügen: auch auf den
französischen^ mit ihrem Blut und mit der ihrer Nationalität eigentümlichen
Tapferkeit besiegelt."

Die Wahlen im Posenschen scheinen gegen diese dankbare Anhänglichkeit
zu sprechen. Sie waren aber nur das Resultat einer fast beispiellosen Agitation,
bei welcher die polnische Geistlichkeit die Hauptrolle spielte. 1867 sagte ein
Pfarrer, den der Kanzler im Reichstage mit Namen anführte, einer bäuerlichen
Wahlversammlung: „Die Wahlen sind vor der Thür; man muß sich zusammen-
nehmen, sonst wird man uns verbieten, polnisch zu sprechen, polnisch zu schlafen,
polnisch zu beten, zu singen und zu weinen, polnisch eine Kanzelrede zu halten.
Unsre Kinder werden alle deutsch werden, und dann geht es in Deutschland
gerade so wie in Rußland, dann werden wir gehängt werden, wenn wir uns
Polen nennen." Ein andrer Geistlicher empfahl den Bauern seine eigne Wahl,
indem er den Polen vorspiegelte, die Regierung wolle ihnen ihre Sprache und
ihren Glauben nehmen, den Deutschen, man wolle sie zu Evangelischen machen.
Die polnischen Bauern eiues Dorfes sagten ihrem Gutsherrn, sie müßten für
den rcgicrnugsfeindlichcn Propst stimmen, sie könnten nicht anders; denu es handle
sich um ihr Seelenheil, der Propst habe ihnen gesagt, wenn sie seine Zettel nicht
abgaben, so könnten sie bei der Osterbeichte nicht auf Absolution rechnen. Eine
ganze Anzahl von Pfarrern hielten Wahlreden von der Kanzel, in welchen sie
unter vielen Thränen ihrer Gemeinde verkündete», wenn man nicht einen Polen
wähle, so werde man unausbleiblich gezwungen werden, die katholische Religion
und die polnische Sprache aufzugeben. Unmittelbar darauf verteilte dann ge-


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[0651] Teil der ehemaligen Republik Polen, welcher unter preußischer Herrschaft steht, sich eines Grades von Wohlstand, von Rechtssicherheit, von Anhänglichkeit der Einwohner an die Regierung erfreut, wie er in dem ganzen Umfange der Republik Polen, so lauge es eine polnische Geschichte giebt, nicht vorhanden und nicht erhört gewesen ist____ Es ist trotz aller Vcrführuugsmittel, die bei den ungefähr alle fünfzehn Jahre sich wiederholenden Insurrektionen zur Auffrischung der Gefühle angewendet wurden, nicht gelungen, die preußischen Unterthanen polnischer Zunge in irgend erheblicher Zahl so zu verführen, daß sie sich an diesen Bestrebungen einer Minorität beteiligt hätten. Es ist dies vorzugsweise vom Adel, gutsherr¬ lichen Beamten und Arbeitern geschehen. Der Bauer hat stets mit großer Energie gegen jeden Versuch, die Zustände, von denen er durch seine Väter gehört hatte ^die Herrschaft des adlichen Knrbatsch über das geknechtete, als Lasttier behandelte und bis aufs Blut ausgesaugte Landvolk der Jahre vor 1796 und 1815 ist gemeint I, wiederherzustellen, zu den Waffen gegriffen in Reih und Glied, mit einer Energie, welche die Regierung im Jahre 1848 nötigte, im Interesse der Menschlichkeit untre als polnische Truppen gegen die Aufständischen zu verwenden. Diese selben Gefühle der Anhänglichkeit haben die polnischen Soldaten ans allen Schlachtfeldern bethätigt, sie haben ihre Treue gegen den König ans den dänischen und auf den böhmischen Schlachtfeldern >wir können hinzufügen: auch auf den französischen^ mit ihrem Blut und mit der ihrer Nationalität eigentümlichen Tapferkeit besiegelt." Die Wahlen im Posenschen scheinen gegen diese dankbare Anhänglichkeit zu sprechen. Sie waren aber nur das Resultat einer fast beispiellosen Agitation, bei welcher die polnische Geistlichkeit die Hauptrolle spielte. 1867 sagte ein Pfarrer, den der Kanzler im Reichstage mit Namen anführte, einer bäuerlichen Wahlversammlung: „Die Wahlen sind vor der Thür; man muß sich zusammen- nehmen, sonst wird man uns verbieten, polnisch zu sprechen, polnisch zu schlafen, polnisch zu beten, zu singen und zu weinen, polnisch eine Kanzelrede zu halten. Unsre Kinder werden alle deutsch werden, und dann geht es in Deutschland gerade so wie in Rußland, dann werden wir gehängt werden, wenn wir uns Polen nennen." Ein andrer Geistlicher empfahl den Bauern seine eigne Wahl, indem er den Polen vorspiegelte, die Regierung wolle ihnen ihre Sprache und ihren Glauben nehmen, den Deutschen, man wolle sie zu Evangelischen machen. Die polnischen Bauern eiues Dorfes sagten ihrem Gutsherrn, sie müßten für den rcgicrnugsfeindlichcn Propst stimmen, sie könnten nicht anders; denu es handle sich um ihr Seelenheil, der Propst habe ihnen gesagt, wenn sie seine Zettel nicht abgaben, so könnten sie bei der Osterbeichte nicht auf Absolution rechnen. Eine ganze Anzahl von Pfarrern hielten Wahlreden von der Kanzel, in welchen sie unter vielen Thränen ihrer Gemeinde verkündete», wenn man nicht einen Polen wähle, so werde man unausbleiblich gezwungen werden, die katholische Religion und die polnische Sprache aufzugeben. Unmittelbar darauf verteilte dann ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/651>, abgerufen am 17.06.2024.