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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Freiligrath in seinen Briefen.

Freund, daß mir deine Sendung recht in der Seele wohlgethan hat? Laß dir
warm und treu die Hand dafür drücken! Du bist wirklich fast der einzige noch,
der mir in solcher Weise zeigt, daß ich nicht ganz vergessen bin drüben, und
glaube mir, daß ich das anzuerkennen weiß. Daß ich euch nicht vergessen habe,
daß ich, wie verschlagen mich von der Heimat und wie fernab den behaglichen
Gleisen einer rein literarischen Existenz, dennoch treu gedenkend an der Heimat
und den alten, ruhig in ihr gebliebenen Freunden festhalte; daß ich mir einen
freien, unbefangenen Blick für die geistigen Bestrebungen des Vaterlandes be¬
wahrt habe; und daß mein Herz, trotz alledem und alledem, unvcrbittcrt ge¬
blieben ist -- das, glaube ich, habe ich durch meine Anthologie "Dichtung nud
Dichter" zur Genüge bewiesen, und es freut mich, daß dafür der eine oder andre
jetzt wieder zu mir kommt." An einen andern Freund schreibt er: "Ich bin
weder so einseitig noch so schroff, wie du mich dir wahrscheinlich vorstellst. Ich
halte fest an meinen Überzeugungen, und wirke für sie, nach dem Maß meiner
Kräfte, wo ich immer kann, aber ich bin kein Fanatiker. Ich bin, eben
weil ich die Freiheit will, tolerant. Wer das Gute und Rechte anstrebt, ist
mir wert, auch wenn er es nicht auf meine Weise und auf meinem Wege an¬
strebt."

Das Jahr 1866 brachte Freiligrath schwere Sorgen, da die Londoner
Agentur der Schweizer Bank, welcher er in dem letzten Jahrzehnt als Manager
(Bureauchef) vorgestanden hatte, einging. Somit sah sich der alternde Dichter
für den Rest seiner Tage aufs neue einer ungewissen Zukunft preisgegeben. Da
faßten treue Freunde den Plan, für ihn ein Nationalgeschenk, eine "Freiligrath-
dotation" anzuregen, und das noch nicht dagewesene geschah: in kurzer Zeit
waren beinahe sechzigtausend Thaler ausgebracht, welche die Nation selbst dem
Dichter darbrachte, damit er von Sorgen befreit, sein Leben in Ruhe beschließen
könne. Nun ließ sich auch eine Rückkehr ins Vaterland nicht länger von der
Hand weisen, wenn auch die neue preußische Amnestie von 1866 wiederum auf
Freiligrath nicht anwendbar schien. Der letztere Umstand war mit die Veran¬
lassung für den hartnäckigen Dichter, zunächst nicht in Preußen, sondern in
Stuttgart seinen Aufenthalt zu nehmen, obwohl man ihm, wie vorauszusehen
war, weder 1867 bei der Reise den Rhein hinauf und der Begrüßungsfeier in
Rolandseck, noch im Jahre darauf bei den Huldigungen in Köln die geringsten
polizeilichen Schwierigkeiten machte.

So hatte sich doch noch erfüllt, was Freiligrath zehn Jahre früher einem
Freunde als seinen schönsten Wunsch hinstellte: "Gott helfe dem Manager, aber
ich kann mir doch kein größeres Glück für meine alten Tage denken, als einmal
am Rhein oder Weser, oder Ruhr oder Leime, oder Main oder Neckar, ein
stillbeschauliches Leben, an der Seite meiner guten alten Jda, umgeben von
meinen herangewachsenen Kindern und natürlich auch zwischen Blumen und
Bäumen und Büchern, führen zu können!"


Grenzboten I. 1882. 83
Freiligrath in seinen Briefen.

Freund, daß mir deine Sendung recht in der Seele wohlgethan hat? Laß dir
warm und treu die Hand dafür drücken! Du bist wirklich fast der einzige noch,
der mir in solcher Weise zeigt, daß ich nicht ganz vergessen bin drüben, und
glaube mir, daß ich das anzuerkennen weiß. Daß ich euch nicht vergessen habe,
daß ich, wie verschlagen mich von der Heimat und wie fernab den behaglichen
Gleisen einer rein literarischen Existenz, dennoch treu gedenkend an der Heimat
und den alten, ruhig in ihr gebliebenen Freunden festhalte; daß ich mir einen
freien, unbefangenen Blick für die geistigen Bestrebungen des Vaterlandes be¬
wahrt habe; und daß mein Herz, trotz alledem und alledem, unvcrbittcrt ge¬
blieben ist — das, glaube ich, habe ich durch meine Anthologie »Dichtung nud
Dichter« zur Genüge bewiesen, und es freut mich, daß dafür der eine oder andre
jetzt wieder zu mir kommt." An einen andern Freund schreibt er: „Ich bin
weder so einseitig noch so schroff, wie du mich dir wahrscheinlich vorstellst. Ich
halte fest an meinen Überzeugungen, und wirke für sie, nach dem Maß meiner
Kräfte, wo ich immer kann, aber ich bin kein Fanatiker. Ich bin, eben
weil ich die Freiheit will, tolerant. Wer das Gute und Rechte anstrebt, ist
mir wert, auch wenn er es nicht auf meine Weise und auf meinem Wege an¬
strebt."

Das Jahr 1866 brachte Freiligrath schwere Sorgen, da die Londoner
Agentur der Schweizer Bank, welcher er in dem letzten Jahrzehnt als Manager
(Bureauchef) vorgestanden hatte, einging. Somit sah sich der alternde Dichter
für den Rest seiner Tage aufs neue einer ungewissen Zukunft preisgegeben. Da
faßten treue Freunde den Plan, für ihn ein Nationalgeschenk, eine „Freiligrath-
dotation" anzuregen, und das noch nicht dagewesene geschah: in kurzer Zeit
waren beinahe sechzigtausend Thaler ausgebracht, welche die Nation selbst dem
Dichter darbrachte, damit er von Sorgen befreit, sein Leben in Ruhe beschließen
könne. Nun ließ sich auch eine Rückkehr ins Vaterland nicht länger von der
Hand weisen, wenn auch die neue preußische Amnestie von 1866 wiederum auf
Freiligrath nicht anwendbar schien. Der letztere Umstand war mit die Veran¬
lassung für den hartnäckigen Dichter, zunächst nicht in Preußen, sondern in
Stuttgart seinen Aufenthalt zu nehmen, obwohl man ihm, wie vorauszusehen
war, weder 1867 bei der Reise den Rhein hinauf und der Begrüßungsfeier in
Rolandseck, noch im Jahre darauf bei den Huldigungen in Köln die geringsten
polizeilichen Schwierigkeiten machte.

So hatte sich doch noch erfüllt, was Freiligrath zehn Jahre früher einem
Freunde als seinen schönsten Wunsch hinstellte: „Gott helfe dem Manager, aber
ich kann mir doch kein größeres Glück für meine alten Tage denken, als einmal
am Rhein oder Weser, oder Ruhr oder Leime, oder Main oder Neckar, ein
stillbeschauliches Leben, an der Seite meiner guten alten Jda, umgeben von
meinen herangewachsenen Kindern und natürlich auch zwischen Blumen und
Bäumen und Büchern, führen zu können!"


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[0661] Freiligrath in seinen Briefen. Freund, daß mir deine Sendung recht in der Seele wohlgethan hat? Laß dir warm und treu die Hand dafür drücken! Du bist wirklich fast der einzige noch, der mir in solcher Weise zeigt, daß ich nicht ganz vergessen bin drüben, und glaube mir, daß ich das anzuerkennen weiß. Daß ich euch nicht vergessen habe, daß ich, wie verschlagen mich von der Heimat und wie fernab den behaglichen Gleisen einer rein literarischen Existenz, dennoch treu gedenkend an der Heimat und den alten, ruhig in ihr gebliebenen Freunden festhalte; daß ich mir einen freien, unbefangenen Blick für die geistigen Bestrebungen des Vaterlandes be¬ wahrt habe; und daß mein Herz, trotz alledem und alledem, unvcrbittcrt ge¬ blieben ist — das, glaube ich, habe ich durch meine Anthologie »Dichtung nud Dichter« zur Genüge bewiesen, und es freut mich, daß dafür der eine oder andre jetzt wieder zu mir kommt." An einen andern Freund schreibt er: „Ich bin weder so einseitig noch so schroff, wie du mich dir wahrscheinlich vorstellst. Ich halte fest an meinen Überzeugungen, und wirke für sie, nach dem Maß meiner Kräfte, wo ich immer kann, aber ich bin kein Fanatiker. Ich bin, eben weil ich die Freiheit will, tolerant. Wer das Gute und Rechte anstrebt, ist mir wert, auch wenn er es nicht auf meine Weise und auf meinem Wege an¬ strebt." Das Jahr 1866 brachte Freiligrath schwere Sorgen, da die Londoner Agentur der Schweizer Bank, welcher er in dem letzten Jahrzehnt als Manager (Bureauchef) vorgestanden hatte, einging. Somit sah sich der alternde Dichter für den Rest seiner Tage aufs neue einer ungewissen Zukunft preisgegeben. Da faßten treue Freunde den Plan, für ihn ein Nationalgeschenk, eine „Freiligrath- dotation" anzuregen, und das noch nicht dagewesene geschah: in kurzer Zeit waren beinahe sechzigtausend Thaler ausgebracht, welche die Nation selbst dem Dichter darbrachte, damit er von Sorgen befreit, sein Leben in Ruhe beschließen könne. Nun ließ sich auch eine Rückkehr ins Vaterland nicht länger von der Hand weisen, wenn auch die neue preußische Amnestie von 1866 wiederum auf Freiligrath nicht anwendbar schien. Der letztere Umstand war mit die Veran¬ lassung für den hartnäckigen Dichter, zunächst nicht in Preußen, sondern in Stuttgart seinen Aufenthalt zu nehmen, obwohl man ihm, wie vorauszusehen war, weder 1867 bei der Reise den Rhein hinauf und der Begrüßungsfeier in Rolandseck, noch im Jahre darauf bei den Huldigungen in Köln die geringsten polizeilichen Schwierigkeiten machte. So hatte sich doch noch erfüllt, was Freiligrath zehn Jahre früher einem Freunde als seinen schönsten Wunsch hinstellte: „Gott helfe dem Manager, aber ich kann mir doch kein größeres Glück für meine alten Tage denken, als einmal am Rhein oder Weser, oder Ruhr oder Leime, oder Main oder Neckar, ein stillbeschauliches Leben, an der Seite meiner guten alten Jda, umgeben von meinen herangewachsenen Kindern und natürlich auch zwischen Blumen und Bäumen und Büchern, führen zu können!" Grenzboten I. 1882. 83

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/661>, abgerufen am 17.06.2024.