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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal.

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Die ägyptische Frage.

Schon 1670 schrieb er: "Frankreich ist von der Vorsehung Gottes berufen, ein
Führer der christlichen Waffen in der Levante zu sein und der Christenheit Godv-
fredos, Balduinos, vor allen Dingen aber Lodooicos sanctos zu gebe", das
ihm gegenüberliegende African anzugreifen, die Raubnester zu zerstören, Ägypten
selbst, so eines der bestgelegenen Länder in der Welt, zu attackiren und selbige
Länder zu übermeistern." Später ließ er Colbert durch den Kurfürsten von
Mainz eine mit meisterhafter Bündigkeit abgefaßte Denkschrift übermitteln, die
Ägypten als den Schlüssel zum ostindischen Handel und den Sitz der Meer--
behcrrschuug darstellte und die französischen Waffen vom Niederrhein nach dem
Nil, dem "Holland der Levante," geführt wissen wollte.

Colbert verschmähte den Rat des deutschen Philosophen und Politikers, da
er meinte, seit dem heiligen Ludwig sei dergleichen nicht mehr mode. Aber Na¬
poleon kam unabhängig von Leibniz auf den Gedanken zurück. Bereits 1797
schrieb er an das Direktorium: "Sollten wir beim Frieden mit England ge¬
zwungen sein, das Kap der guten Hoffnung herauszugeben, so wird es unbedingt
notwendig sei", Ägypten in Besitz zu nehmen." 1799 ersuchte er Tippo Sand,
einen Vertrauten zur Verabredung gemeinsamer Schritte zum Umsturz der bri¬
tischen Herrschaft in Indien nach Suez zu schicken. Sein Feldzug nach dem
Lande der Pyramiden und dessen schließliches Mißlingen ist bekannt. Der Haupt¬
zweck desselben war nach den Äußerungen des Kaisers auf Se. Helena Vernich¬
tung der englischen Macht. "Vom Nil sollte das Heer ausziehen, um beiden
Indien ein neues Geschick zu bereiten. Ägypten sollte San Domingo und die
Antillen ersetzen, die Freiheit der Schwarzen mit den Interessen unsrer Industrie
versöhnen. Die Eroberung dieser Provinz hatte den Sturz aller englischen
Niederlassungen in Amerika und auf der Halbinsel des Ganges zur Folge.
Waren die Franzosen erst Herren der Seehäfen Italiens, Korfus, Maltas und
Alexandriens, so wurde das Mittelmeer ein französischer Binnensee."

Seit dieser Zeit blieben die Augen der Pariser Politiker auf Ägypten ge¬
richtet. Frankreich galt schon zu Anfang der dreißiger Jahre als Mehemed Alis
Patron. Sein Konsul in Alexandrien verfocht die Zweckmäßigkeit einer Erhebung
des Paschas auf Kosten des Sultans. Tausende von Franzosen hatten sich in
den ägyptischen Städten angesiedelt, und viele erfreuten sich einflußreichster
Stellung. Was sich von abendländischer Gesittung, Kunst und Industrie im
Lande befand, war größtenteils französischen Ursprungs. "Die Ägypter," sagte
Ibrahim Pascha selbst, "sind Kinder der Franzosen." Auch in den Kriegen
Mehemed Alis mit der Pforte nahm Frankreich nach Möglichkeit Partei für
den ersteren, und wenn derselbe nicht mehr dabei erreichte, so war es nicht die
Schuld der Pariser Politiker. Diese wollten im Hinblick auf das Vorgehen
Rußlands und dessen gestiegenen Einfluß in Konstantinopel Verjüngung der
osmanischen Monarchie durch deren Aufgehen in dem Staatsorganismus des
ägyptischen Vizekönigs. Aber England war diesem Plane durchaus abgeneigt,


Die ägyptische Frage.

Schon 1670 schrieb er: „Frankreich ist von der Vorsehung Gottes berufen, ein
Führer der christlichen Waffen in der Levante zu sein und der Christenheit Godv-
fredos, Balduinos, vor allen Dingen aber Lodooicos sanctos zu gebe», das
ihm gegenüberliegende African anzugreifen, die Raubnester zu zerstören, Ägypten
selbst, so eines der bestgelegenen Länder in der Welt, zu attackiren und selbige
Länder zu übermeistern." Später ließ er Colbert durch den Kurfürsten von
Mainz eine mit meisterhafter Bündigkeit abgefaßte Denkschrift übermitteln, die
Ägypten als den Schlüssel zum ostindischen Handel und den Sitz der Meer--
behcrrschuug darstellte und die französischen Waffen vom Niederrhein nach dem
Nil, dem „Holland der Levante," geführt wissen wollte.

Colbert verschmähte den Rat des deutschen Philosophen und Politikers, da
er meinte, seit dem heiligen Ludwig sei dergleichen nicht mehr mode. Aber Na¬
poleon kam unabhängig von Leibniz auf den Gedanken zurück. Bereits 1797
schrieb er an das Direktorium: „Sollten wir beim Frieden mit England ge¬
zwungen sein, das Kap der guten Hoffnung herauszugeben, so wird es unbedingt
notwendig sei», Ägypten in Besitz zu nehmen." 1799 ersuchte er Tippo Sand,
einen Vertrauten zur Verabredung gemeinsamer Schritte zum Umsturz der bri¬
tischen Herrschaft in Indien nach Suez zu schicken. Sein Feldzug nach dem
Lande der Pyramiden und dessen schließliches Mißlingen ist bekannt. Der Haupt¬
zweck desselben war nach den Äußerungen des Kaisers auf Se. Helena Vernich¬
tung der englischen Macht. „Vom Nil sollte das Heer ausziehen, um beiden
Indien ein neues Geschick zu bereiten. Ägypten sollte San Domingo und die
Antillen ersetzen, die Freiheit der Schwarzen mit den Interessen unsrer Industrie
versöhnen. Die Eroberung dieser Provinz hatte den Sturz aller englischen
Niederlassungen in Amerika und auf der Halbinsel des Ganges zur Folge.
Waren die Franzosen erst Herren der Seehäfen Italiens, Korfus, Maltas und
Alexandriens, so wurde das Mittelmeer ein französischer Binnensee."

Seit dieser Zeit blieben die Augen der Pariser Politiker auf Ägypten ge¬
richtet. Frankreich galt schon zu Anfang der dreißiger Jahre als Mehemed Alis
Patron. Sein Konsul in Alexandrien verfocht die Zweckmäßigkeit einer Erhebung
des Paschas auf Kosten des Sultans. Tausende von Franzosen hatten sich in
den ägyptischen Städten angesiedelt, und viele erfreuten sich einflußreichster
Stellung. Was sich von abendländischer Gesittung, Kunst und Industrie im
Lande befand, war größtenteils französischen Ursprungs. „Die Ägypter," sagte
Ibrahim Pascha selbst, „sind Kinder der Franzosen." Auch in den Kriegen
Mehemed Alis mit der Pforte nahm Frankreich nach Möglichkeit Partei für
den ersteren, und wenn derselbe nicht mehr dabei erreichte, so war es nicht die
Schuld der Pariser Politiker. Diese wollten im Hinblick auf das Vorgehen
Rußlands und dessen gestiegenen Einfluß in Konstantinopel Verjüngung der
osmanischen Monarchie durch deren Aufgehen in dem Staatsorganismus des
ägyptischen Vizekönigs. Aber England war diesem Plane durchaus abgeneigt,


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[0362] Die ägyptische Frage. Schon 1670 schrieb er: „Frankreich ist von der Vorsehung Gottes berufen, ein Führer der christlichen Waffen in der Levante zu sein und der Christenheit Godv- fredos, Balduinos, vor allen Dingen aber Lodooicos sanctos zu gebe», das ihm gegenüberliegende African anzugreifen, die Raubnester zu zerstören, Ägypten selbst, so eines der bestgelegenen Länder in der Welt, zu attackiren und selbige Länder zu übermeistern." Später ließ er Colbert durch den Kurfürsten von Mainz eine mit meisterhafter Bündigkeit abgefaßte Denkschrift übermitteln, die Ägypten als den Schlüssel zum ostindischen Handel und den Sitz der Meer-- behcrrschuug darstellte und die französischen Waffen vom Niederrhein nach dem Nil, dem „Holland der Levante," geführt wissen wollte. Colbert verschmähte den Rat des deutschen Philosophen und Politikers, da er meinte, seit dem heiligen Ludwig sei dergleichen nicht mehr mode. Aber Na¬ poleon kam unabhängig von Leibniz auf den Gedanken zurück. Bereits 1797 schrieb er an das Direktorium: „Sollten wir beim Frieden mit England ge¬ zwungen sein, das Kap der guten Hoffnung herauszugeben, so wird es unbedingt notwendig sei», Ägypten in Besitz zu nehmen." 1799 ersuchte er Tippo Sand, einen Vertrauten zur Verabredung gemeinsamer Schritte zum Umsturz der bri¬ tischen Herrschaft in Indien nach Suez zu schicken. Sein Feldzug nach dem Lande der Pyramiden und dessen schließliches Mißlingen ist bekannt. Der Haupt¬ zweck desselben war nach den Äußerungen des Kaisers auf Se. Helena Vernich¬ tung der englischen Macht. „Vom Nil sollte das Heer ausziehen, um beiden Indien ein neues Geschick zu bereiten. Ägypten sollte San Domingo und die Antillen ersetzen, die Freiheit der Schwarzen mit den Interessen unsrer Industrie versöhnen. Die Eroberung dieser Provinz hatte den Sturz aller englischen Niederlassungen in Amerika und auf der Halbinsel des Ganges zur Folge. Waren die Franzosen erst Herren der Seehäfen Italiens, Korfus, Maltas und Alexandriens, so wurde das Mittelmeer ein französischer Binnensee." Seit dieser Zeit blieben die Augen der Pariser Politiker auf Ägypten ge¬ richtet. Frankreich galt schon zu Anfang der dreißiger Jahre als Mehemed Alis Patron. Sein Konsul in Alexandrien verfocht die Zweckmäßigkeit einer Erhebung des Paschas auf Kosten des Sultans. Tausende von Franzosen hatten sich in den ägyptischen Städten angesiedelt, und viele erfreuten sich einflußreichster Stellung. Was sich von abendländischer Gesittung, Kunst und Industrie im Lande befand, war größtenteils französischen Ursprungs. „Die Ägypter," sagte Ibrahim Pascha selbst, „sind Kinder der Franzosen." Auch in den Kriegen Mehemed Alis mit der Pforte nahm Frankreich nach Möglichkeit Partei für den ersteren, und wenn derselbe nicht mehr dabei erreichte, so war es nicht die Schuld der Pariser Politiker. Diese wollten im Hinblick auf das Vorgehen Rußlands und dessen gestiegenen Einfluß in Konstantinopel Verjüngung der osmanischen Monarchie durch deren Aufgehen in dem Staatsorganismus des ägyptischen Vizekönigs. Aber England war diesem Plane durchaus abgeneigt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89806/362>, abgerufen am 22.05.2024.