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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Pflege der Monumentalmalerei in Preußen.

keine trocknen Allegorien, sondern sie repräsentiren ein schönes, freies Menschentum
mit menschlichen Zügen in edelster Form. Die Strenge der sich rhythmisch in
pyramidaler Gestalt aufbauenden Komposition entspricht vollkommen der Würde
des monumentalen Stiles, die auf höchste Klarheit und Deutlichkeit abzielt und
entschiedene Hervorhebung der Hauptfiguren verlangt. Hat der Künstler hier
allen Gesetzen des großen Stiles in einem Maße genügt, welches unsre vollste
Bewunderung beansprucht, so hat er auf der andern Seite diese Gesetze so wenig
berücksichtigt, daß sich diese Vernachlässigung nur aus einer bestimmten Absicht
erklären läßt. Er hat geglaubt, daß es mit Rücksicht auf die Bestimmung des
Raumes als Festsaal notwendig sei, die Reihe der ernsten Darstellungen durch
einige heitere oder gar komische zu unterbreche", um dadurch ein wirksames
Gegengewicht hervorzubringen. Er hat sich aber in der Wahl seiner Mittel
geirrt. Links von jener oben beschriebenen Komposition hat er einen modernen
Architekten dargestellt, welcher, eine Cigarrette rauchend, auf einem Berg von
Plänen und Bauzeichnungen in komischer Verlegenheit sitzt, während unter ihm
Gnomen die deutsche Kaiserkrone emporheben und im Hintergründe die Ein¬
fahrtshalle eines Bahnhofsgebäudes ihr eisernes Gerippe emporstreckt. Das ist
kein Motiv für eine monumentale Darstellung, sondern höchstens für die Illu¬
stration einer Einladuugs- oder Tischkarte. Kaulbach hat uns in seineu großen
Wandgemälden im Treppenhaus? des neuen Museums in Berlin gelehrt, welche
Rollen allenfalls dem Humor neben den ernsten Darstellungen zu spielen erlaubt
ist, indem er in einem schmalen, auch in der Farbe hinter jene zurücktretenden
Friese durch das Spiel muntrer Genien die Ereignisse der Weltgeschichte glossirt
hat. Aber flüchtige Improvisationen mit scherzhaftem Anstrich gleichwertig und
mit gleichen Prätensionen neben die prächtige Allegorie der Renaissance zu stellen,
ist ein Mißgriff. Derselbe wiederholt sich noch einmal auf dem die Periode
des Pfahlbaues symbolisirenden Bilde, wo ein noch halbwilder Naturmensch
sich vor einem grotesken Meerungeheuer auf ein Gerüst gerettet hat, welches
am Ufer eines Sees aus unbehauenen Baumstämmen errichtet worden ist. Beide,
der Mensch wie das Seetier, sind lächerliche Karrikaturen, welche das monu¬
mentale Größeuverhältnis nicht vertragen können. Aber auch die übrigen Bilder
erheben sich nicht weit über die Illustration. Die griechische Baukunst ist einmal
durch Orpheus, den Vater der Harmonie, vertreten, bei dessen Saitenspiel die
Tiere des Waldes ihre Wildheit ablegen und geschäftige Genien Stein zum
Stein fügen, bis sich die schlanke Säule erhebt, das andremal durch einen
griechischen Jüngling, der im Vordergrunde einer Landschaft einen Marmorblock
bearbeitet, der vermutlich zum Bau des hinten sichtbaren Tempels dienen soll.
Den Orpheus wollen wir gelten lassen. Sollte aber die Erinnerung an die
klassischen Meisterwerke der griechischen Baukunst nicht lebendiger wachgerufen
werden können als durch ein armseliges Tempelchen und durch einen lang¬
weiligen Steinhauer, uns den auch nicht ein Abglanz hellenischer Schönheit ge-


Die Pflege der Monumentalmalerei in Preußen.

keine trocknen Allegorien, sondern sie repräsentiren ein schönes, freies Menschentum
mit menschlichen Zügen in edelster Form. Die Strenge der sich rhythmisch in
pyramidaler Gestalt aufbauenden Komposition entspricht vollkommen der Würde
des monumentalen Stiles, die auf höchste Klarheit und Deutlichkeit abzielt und
entschiedene Hervorhebung der Hauptfiguren verlangt. Hat der Künstler hier
allen Gesetzen des großen Stiles in einem Maße genügt, welches unsre vollste
Bewunderung beansprucht, so hat er auf der andern Seite diese Gesetze so wenig
berücksichtigt, daß sich diese Vernachlässigung nur aus einer bestimmten Absicht
erklären läßt. Er hat geglaubt, daß es mit Rücksicht auf die Bestimmung des
Raumes als Festsaal notwendig sei, die Reihe der ernsten Darstellungen durch
einige heitere oder gar komische zu unterbreche», um dadurch ein wirksames
Gegengewicht hervorzubringen. Er hat sich aber in der Wahl seiner Mittel
geirrt. Links von jener oben beschriebenen Komposition hat er einen modernen
Architekten dargestellt, welcher, eine Cigarrette rauchend, auf einem Berg von
Plänen und Bauzeichnungen in komischer Verlegenheit sitzt, während unter ihm
Gnomen die deutsche Kaiserkrone emporheben und im Hintergründe die Ein¬
fahrtshalle eines Bahnhofsgebäudes ihr eisernes Gerippe emporstreckt. Das ist
kein Motiv für eine monumentale Darstellung, sondern höchstens für die Illu¬
stration einer Einladuugs- oder Tischkarte. Kaulbach hat uns in seineu großen
Wandgemälden im Treppenhaus? des neuen Museums in Berlin gelehrt, welche
Rollen allenfalls dem Humor neben den ernsten Darstellungen zu spielen erlaubt
ist, indem er in einem schmalen, auch in der Farbe hinter jene zurücktretenden
Friese durch das Spiel muntrer Genien die Ereignisse der Weltgeschichte glossirt
hat. Aber flüchtige Improvisationen mit scherzhaftem Anstrich gleichwertig und
mit gleichen Prätensionen neben die prächtige Allegorie der Renaissance zu stellen,
ist ein Mißgriff. Derselbe wiederholt sich noch einmal auf dem die Periode
des Pfahlbaues symbolisirenden Bilde, wo ein noch halbwilder Naturmensch
sich vor einem grotesken Meerungeheuer auf ein Gerüst gerettet hat, welches
am Ufer eines Sees aus unbehauenen Baumstämmen errichtet worden ist. Beide,
der Mensch wie das Seetier, sind lächerliche Karrikaturen, welche das monu¬
mentale Größeuverhältnis nicht vertragen können. Aber auch die übrigen Bilder
erheben sich nicht weit über die Illustration. Die griechische Baukunst ist einmal
durch Orpheus, den Vater der Harmonie, vertreten, bei dessen Saitenspiel die
Tiere des Waldes ihre Wildheit ablegen und geschäftige Genien Stein zum
Stein fügen, bis sich die schlanke Säule erhebt, das andremal durch einen
griechischen Jüngling, der im Vordergrunde einer Landschaft einen Marmorblock
bearbeitet, der vermutlich zum Bau des hinten sichtbaren Tempels dienen soll.
Den Orpheus wollen wir gelten lassen. Sollte aber die Erinnerung an die
klassischen Meisterwerke der griechischen Baukunst nicht lebendiger wachgerufen
werden können als durch ein armseliges Tempelchen und durch einen lang¬
weiligen Steinhauer, uns den auch nicht ein Abglanz hellenischer Schönheit ge-


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[0103] Die Pflege der Monumentalmalerei in Preußen. keine trocknen Allegorien, sondern sie repräsentiren ein schönes, freies Menschentum mit menschlichen Zügen in edelster Form. Die Strenge der sich rhythmisch in pyramidaler Gestalt aufbauenden Komposition entspricht vollkommen der Würde des monumentalen Stiles, die auf höchste Klarheit und Deutlichkeit abzielt und entschiedene Hervorhebung der Hauptfiguren verlangt. Hat der Künstler hier allen Gesetzen des großen Stiles in einem Maße genügt, welches unsre vollste Bewunderung beansprucht, so hat er auf der andern Seite diese Gesetze so wenig berücksichtigt, daß sich diese Vernachlässigung nur aus einer bestimmten Absicht erklären läßt. Er hat geglaubt, daß es mit Rücksicht auf die Bestimmung des Raumes als Festsaal notwendig sei, die Reihe der ernsten Darstellungen durch einige heitere oder gar komische zu unterbreche», um dadurch ein wirksames Gegengewicht hervorzubringen. Er hat sich aber in der Wahl seiner Mittel geirrt. Links von jener oben beschriebenen Komposition hat er einen modernen Architekten dargestellt, welcher, eine Cigarrette rauchend, auf einem Berg von Plänen und Bauzeichnungen in komischer Verlegenheit sitzt, während unter ihm Gnomen die deutsche Kaiserkrone emporheben und im Hintergründe die Ein¬ fahrtshalle eines Bahnhofsgebäudes ihr eisernes Gerippe emporstreckt. Das ist kein Motiv für eine monumentale Darstellung, sondern höchstens für die Illu¬ stration einer Einladuugs- oder Tischkarte. Kaulbach hat uns in seineu großen Wandgemälden im Treppenhaus? des neuen Museums in Berlin gelehrt, welche Rollen allenfalls dem Humor neben den ernsten Darstellungen zu spielen erlaubt ist, indem er in einem schmalen, auch in der Farbe hinter jene zurücktretenden Friese durch das Spiel muntrer Genien die Ereignisse der Weltgeschichte glossirt hat. Aber flüchtige Improvisationen mit scherzhaftem Anstrich gleichwertig und mit gleichen Prätensionen neben die prächtige Allegorie der Renaissance zu stellen, ist ein Mißgriff. Derselbe wiederholt sich noch einmal auf dem die Periode des Pfahlbaues symbolisirenden Bilde, wo ein noch halbwilder Naturmensch sich vor einem grotesken Meerungeheuer auf ein Gerüst gerettet hat, welches am Ufer eines Sees aus unbehauenen Baumstämmen errichtet worden ist. Beide, der Mensch wie das Seetier, sind lächerliche Karrikaturen, welche das monu¬ mentale Größeuverhältnis nicht vertragen können. Aber auch die übrigen Bilder erheben sich nicht weit über die Illustration. Die griechische Baukunst ist einmal durch Orpheus, den Vater der Harmonie, vertreten, bei dessen Saitenspiel die Tiere des Waldes ihre Wildheit ablegen und geschäftige Genien Stein zum Stein fügen, bis sich die schlanke Säule erhebt, das andremal durch einen griechischen Jüngling, der im Vordergrunde einer Landschaft einen Marmorblock bearbeitet, der vermutlich zum Bau des hinten sichtbaren Tempels dienen soll. Den Orpheus wollen wir gelten lassen. Sollte aber die Erinnerung an die klassischen Meisterwerke der griechischen Baukunst nicht lebendiger wachgerufen werden können als durch ein armseliges Tempelchen und durch einen lang¬ weiligen Steinhauer, uns den auch nicht ein Abglanz hellenischer Schönheit ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/103>, abgerufen am 19.05.2024.