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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das vergangne Jahr.

heftigen Widerstrebet der Partei des wirtschaftlichen Gehenlassens und der un¬
beschränkten Wettbewerbung durch den Ankauf neuer großer Schienenstrecken
wieder erhebliche Erweiterungen erfahren. Der Gedanke, daß der Staat mehr
Inhalt und mehr Einfluß ans das wirtschaftliche Leben haben müsse als bisher,
hatte in weitern Kreisen Anklang gefunden, und damit war die Hoffnung ver¬
stärkt worden, daß dem raschen Gelingen der Reformpläne des Reichskanzlers
in diesem Bereich über kurz oder lang mich gute Erfolge seiner Bestrebungen
auf andern Gebieten der Wirtschaftspolitik folgen würden. Die gegenteiligen
Redensarten der liberalen und demokratischen Tribüneuhelden und Preßorgane
durfte man dieser Hoffnung gegenüber gelassen als Ephemeren ansehe". Nicht
die Phrasen, sondern die Thatsachen -- so konnte man sich bei Enttäuschungen,
die zuweilen auf Zeit eintraten, trösten -- gestalten zuletzt und endgiltig die
Welt, in der wir leben.

Dies galt auch von der Opposition im Reichstage, der zu Anfang Mai
seine Beratungen wieder eröffnete und zunächst eine Novelle zum Gewerbegesetze,
dann gewisse Abänderungen des Zolltarifs beriet und hierauf die Regierungs¬
vorlage wegen des Tabaksmonopols in Angriff nahm. Daß dasselbe im Reichs¬
tage nur wenige Freunde hatte, war längst bekannt und wurde durch die mehr¬
tägige Debatte über den Gesetzentwurf und die schließliche Abstimmung bestätigt.
Wenn man allerlei wirtschaftliche Gründe gegen die Vorlage ins Feld führte
und dabei arge Übertreibung und Entstellung nicht scheute, so war das nicht
der eigentliche Sinn und Gedanke der Opposition. Der Hauptgrund war bei
allen Parteien, die gegen das Monopol sprachen und stimmten, offenbar etwas
ganz andres als das, was sie vorbrachten. Das Zentrum war gegen das
Monopol, weil es das Reich, dessen Existenz den Nömlingen verhaßt war, fester
zusammenschließen und der Zentralregierung einen Zuwachs an Macht bringen
mußte. Die Liberalen dachten an die parlamentarische Herrschaft, die nach ihrer
Meinung auf der Unsicherheit der Einnahmen beruht. Die Regierung sollte
nur für den unbedingt notwendigen Bedarf sichere Einnahmequellen besitzen, sie
sollte für jede neue Steigerung der Ausgaben außerordentliche Finanzmaßregeln
zu treffen genötigt und, da sie zu diesen die Unterstützung der Volksvertretung
braucht, vom guten Willen der letztern, der mit Zugestündnissen erkauft werden
sollte, in jedem einzelnen Falle abhängig sein. Das war des Pudels Kern,
und dazu kam noch die Befürchtung, daß mit Einführung des Monopols eine
gute Anzahl neuer Beamten geschaffen und, wie man meinte, viele Arbeiter an
das Interesse der Regierung geknüpft und bei den Wahlen für diese zu stimmen
bewogen werden würden. Nicht dem Tabaksmonopol an sich also widerstrebten
die Liberalen mit Einschluß der Fraktion Bennigsen, sondern der Eröffnung
einer Einnahmequelle, welche, wie man meinte, die Regierung vom Parlament
unabhängig machen, folglich die Bedeutung des letztern verringern würde. Man
wollte in der Lage verbleiben, nur von Fall zu Fall für nachgewiesene Be-


Das vergangne Jahr.

heftigen Widerstrebet der Partei des wirtschaftlichen Gehenlassens und der un¬
beschränkten Wettbewerbung durch den Ankauf neuer großer Schienenstrecken
wieder erhebliche Erweiterungen erfahren. Der Gedanke, daß der Staat mehr
Inhalt und mehr Einfluß ans das wirtschaftliche Leben haben müsse als bisher,
hatte in weitern Kreisen Anklang gefunden, und damit war die Hoffnung ver¬
stärkt worden, daß dem raschen Gelingen der Reformpläne des Reichskanzlers
in diesem Bereich über kurz oder lang mich gute Erfolge seiner Bestrebungen
auf andern Gebieten der Wirtschaftspolitik folgen würden. Die gegenteiligen
Redensarten der liberalen und demokratischen Tribüneuhelden und Preßorgane
durfte man dieser Hoffnung gegenüber gelassen als Ephemeren ansehe». Nicht
die Phrasen, sondern die Thatsachen — so konnte man sich bei Enttäuschungen,
die zuweilen auf Zeit eintraten, trösten — gestalten zuletzt und endgiltig die
Welt, in der wir leben.

Dies galt auch von der Opposition im Reichstage, der zu Anfang Mai
seine Beratungen wieder eröffnete und zunächst eine Novelle zum Gewerbegesetze,
dann gewisse Abänderungen des Zolltarifs beriet und hierauf die Regierungs¬
vorlage wegen des Tabaksmonopols in Angriff nahm. Daß dasselbe im Reichs¬
tage nur wenige Freunde hatte, war längst bekannt und wurde durch die mehr¬
tägige Debatte über den Gesetzentwurf und die schließliche Abstimmung bestätigt.
Wenn man allerlei wirtschaftliche Gründe gegen die Vorlage ins Feld führte
und dabei arge Übertreibung und Entstellung nicht scheute, so war das nicht
der eigentliche Sinn und Gedanke der Opposition. Der Hauptgrund war bei
allen Parteien, die gegen das Monopol sprachen und stimmten, offenbar etwas
ganz andres als das, was sie vorbrachten. Das Zentrum war gegen das
Monopol, weil es das Reich, dessen Existenz den Nömlingen verhaßt war, fester
zusammenschließen und der Zentralregierung einen Zuwachs an Macht bringen
mußte. Die Liberalen dachten an die parlamentarische Herrschaft, die nach ihrer
Meinung auf der Unsicherheit der Einnahmen beruht. Die Regierung sollte
nur für den unbedingt notwendigen Bedarf sichere Einnahmequellen besitzen, sie
sollte für jede neue Steigerung der Ausgaben außerordentliche Finanzmaßregeln
zu treffen genötigt und, da sie zu diesen die Unterstützung der Volksvertretung
braucht, vom guten Willen der letztern, der mit Zugestündnissen erkauft werden
sollte, in jedem einzelnen Falle abhängig sein. Das war des Pudels Kern,
und dazu kam noch die Befürchtung, daß mit Einführung des Monopols eine
gute Anzahl neuer Beamten geschaffen und, wie man meinte, viele Arbeiter an
das Interesse der Regierung geknüpft und bei den Wahlen für diese zu stimmen
bewogen werden würden. Nicht dem Tabaksmonopol an sich also widerstrebten
die Liberalen mit Einschluß der Fraktion Bennigsen, sondern der Eröffnung
einer Einnahmequelle, welche, wie man meinte, die Regierung vom Parlament
unabhängig machen, folglich die Bedeutung des letztern verringern würde. Man
wollte in der Lage verbleiben, nur von Fall zu Fall für nachgewiesene Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/13>, abgerufen am 26.05.2024.