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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Ärach,

früher schon Epochen gab, wo der Finanzschwindel die wirtschaftlichen und po¬
litischen Verhältnisse in schäumender Brandung angriff, und wo er wesentlich
auch zur Vernichtung der politischen Gestaltungen beitrug, so ging er doch noch
niemals so in die Breite und Tiefe, noch niemals beeinflußte er so unbedingt
und vor alle" Dingen so nachhaltig und gegensatzlos die Leitung gewisser
Staaten,

Frankreich insbesondre ist freilich schon seit einigen Jahrhunderten gewöhnt,
den Finanzschwindel oft in unglaublicher Verquickung mit seinen politischen Be¬
wegungen zu sehen. Seitdem unter Ludwig XI. das "große Buch von Frank¬
reich"^) seine bemerkenswerte wirtschaftliche und mehr noch politische Rolle zu
spielen begann und seitdem an der Institution dieses "großen Buches" die
andre der "kleinen Rentiers" sich annistete, haben Finanzangelegenheiten in
Frankreich immer auch politisch weit schwerer gewogen als anderwärts. Schon
unter Richelieu und Mazarin, besonders während der Frondeunruhen wurden
die "kleinen Rentiers" mit merkwürdiger Leichtigkeit zum politischen Schreck-
und Verlegenheitsmittel benutzt. Denn das "Kapitalistenpublikum" jener Tage,
das wir durch die "kleinen Rentiers" repräsentirt sehen, war nicht minder
furchtsam als das von heute; es fand zwar noch nicht wie dieses alles Heil in
hohen Kursen, war aber höchst ängstlich hinsichtlich der Sicherheit der Rente.
Und da diese "kleinen Rentiers" noch nicht wie unser "Kapitalistenpublikum"
ihre Angst vor politischen Bewegungen durch Verkäufe ihrer Rente an der Börse
zur mehr oder weniger lächerlichen Erscheinung bringen konnten, vielmehr den
Anspruch, den sie einmal erworben hatten und den im "großen Buch von
Frankreich" löschen zu lassen -- wie dies unter gewissen Voraussetzungen
möglich --, keineswegs ungefährlich war, behalten mußten, so zuckten sie
umsomehr unter jeder politischen Regung, die der herrschenden Regierungs¬
fraktion gefährlich schien. Die Verbreitung irgend einer Nachricht, welche dem
Kardinal Mazarin oder der Königinmutter ungünstig schien, war daher mit der
Erregung eines Auflaufs, wenn nicht eines Aufruhrs in Paris gleichbedeutend.
Kaum drang ein solches Gerücht, das selbstverständlich die Faiseurs mit ge-



*) Das "große Buch von Frankreich" ist eine Art Nachbildung des "goldnen Buches"
der italienischen Stttdtcrepublikcu, in welchem die edeln Familien der Städte verzeichnet
waren. Es sollte gewissermaßen auch eine Auszeichnung sein, im "großen Buche von
Frankreich" verzeichnet zu stehen und zwar als "Rentier des Königs," Gegen Zahlung
einer Summe erwarb mau das Recht auf eine Rente aus dem königlichen Schatze, Dies
war übrigens im allgemeinen die Form, unter der sich im spätern Mittelalter dus Kapital
ausbildete. Das kanonische Recht verbot die Zinsnahme von Darlehen, Man umging das¬
selbe zum Teil durch den Wechseldiskont"; dann aber dadurch, daß man das Geld nicht
"verlieh," sondern dafür das Recht auf eine Rente kaufte. Anfänglich herrschte die Leib¬
rente vor; später wurde dieselbe durch die "ewige Rente" verdräng:. Die Könige von Frank¬
reich borgten also Geld gegen das Versprechen einer Rente, die im "großen Buche von
Frankreich" eingetragen wurde,
Der zweite Pariser Ärach,

früher schon Epochen gab, wo der Finanzschwindel die wirtschaftlichen und po¬
litischen Verhältnisse in schäumender Brandung angriff, und wo er wesentlich
auch zur Vernichtung der politischen Gestaltungen beitrug, so ging er doch noch
niemals so in die Breite und Tiefe, noch niemals beeinflußte er so unbedingt
und vor alle» Dingen so nachhaltig und gegensatzlos die Leitung gewisser
Staaten,

Frankreich insbesondre ist freilich schon seit einigen Jahrhunderten gewöhnt,
den Finanzschwindel oft in unglaublicher Verquickung mit seinen politischen Be¬
wegungen zu sehen. Seitdem unter Ludwig XI. das „große Buch von Frank¬
reich"^) seine bemerkenswerte wirtschaftliche und mehr noch politische Rolle zu
spielen begann und seitdem an der Institution dieses „großen Buches" die
andre der „kleinen Rentiers" sich annistete, haben Finanzangelegenheiten in
Frankreich immer auch politisch weit schwerer gewogen als anderwärts. Schon
unter Richelieu und Mazarin, besonders während der Frondeunruhen wurden
die „kleinen Rentiers" mit merkwürdiger Leichtigkeit zum politischen Schreck-
und Verlegenheitsmittel benutzt. Denn das „Kapitalistenpublikum" jener Tage,
das wir durch die „kleinen Rentiers" repräsentirt sehen, war nicht minder
furchtsam als das von heute; es fand zwar noch nicht wie dieses alles Heil in
hohen Kursen, war aber höchst ängstlich hinsichtlich der Sicherheit der Rente.
Und da diese „kleinen Rentiers" noch nicht wie unser „Kapitalistenpublikum"
ihre Angst vor politischen Bewegungen durch Verkäufe ihrer Rente an der Börse
zur mehr oder weniger lächerlichen Erscheinung bringen konnten, vielmehr den
Anspruch, den sie einmal erworben hatten und den im „großen Buch von
Frankreich" löschen zu lassen — wie dies unter gewissen Voraussetzungen
möglich —, keineswegs ungefährlich war, behalten mußten, so zuckten sie
umsomehr unter jeder politischen Regung, die der herrschenden Regierungs¬
fraktion gefährlich schien. Die Verbreitung irgend einer Nachricht, welche dem
Kardinal Mazarin oder der Königinmutter ungünstig schien, war daher mit der
Erregung eines Auflaufs, wenn nicht eines Aufruhrs in Paris gleichbedeutend.
Kaum drang ein solches Gerücht, das selbstverständlich die Faiseurs mit ge-



*) Das „große Buch von Frankreich" ist eine Art Nachbildung des „goldnen Buches"
der italienischen Stttdtcrepublikcu, in welchem die edeln Familien der Städte verzeichnet
waren. Es sollte gewissermaßen auch eine Auszeichnung sein, im „großen Buche von
Frankreich" verzeichnet zu stehen und zwar als „Rentier des Königs," Gegen Zahlung
einer Summe erwarb mau das Recht auf eine Rente aus dem königlichen Schatze, Dies
war übrigens im allgemeinen die Form, unter der sich im spätern Mittelalter dus Kapital
ausbildete. Das kanonische Recht verbot die Zinsnahme von Darlehen, Man umging das¬
selbe zum Teil durch den Wechseldiskont"; dann aber dadurch, daß man das Geld nicht
„verlieh," sondern dafür das Recht auf eine Rente kaufte. Anfänglich herrschte die Leib¬
rente vor; später wurde dieselbe durch die „ewige Rente" verdräng:. Die Könige von Frank¬
reich borgten also Geld gegen das Versprechen einer Rente, die im „großen Buche von
Frankreich" eingetragen wurde,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/188>, abgerufen am 18.05.2024.