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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Gewerbereform im österreichischen Reichsrate.

n der Zeit vom 6, bis zum 18. Dezember, zuletzt mit Zuhilfe¬
nahme der Abend- und der Sonntagsstunden, hat das öster¬
reichische Abgeordnetenhaus eine Novelle zur Gewerbeordnung
zustande gebracht. Der Führer der Linken, or. Herbst, wandte
auf das Ergebnis der langen, manchmal recht leidenschaftlichen
Verhandlungen das schon tausendmal zitirte Wort Savignys an; wer nur aus
den einen mäßigen Oktavband füllenden stenographischen Berichten über die
dreizehn Sitzungen seine Kenntnis schöpft, wird wahrscheinlich noch eher zu dem
Schlüsse gelangen, daß Versammlungen, welche auf politischer Pogramme hin
gewählt nud in politische Fraktionen gegliedert sind, für die Lösung wirtschaft¬
licher Probleme wenig geeignet erscheinen. Was hat die Gewerbeordnung mit
dein politischen Parteitreiben zu schaffen? Von rechtswegen nicht das mindeste.
Und nun vollends mit den nationalen Zwistigkeiten! Wohlmeinende hatten sich
eben deshalb der Hoffnung hingegeben, daß die gemeinschaftliche Behandlung
derartiger Fragen eine Annäherung zwischen den feindlichen Brüdern zuwege
bringen werde. Die Leiden der gewerbliche" Bevölkerung sind ja dieselben bei
Deutschen und Tschechen, bei Ultmmontancu und Konfessionslosen. Aber trotzdem
sah mau die Versammlung in der Hauptsache auch diesmal in die zwei großen
Heerlager geschieden, nud während von beiden Seiten immer wieder die Mahnung
ertönte, nur die Sache ins Auge zu fassen, von politischer Voreingenommen¬
heit abzusehen, drängte sich die letztere doch überall hervor; selbst jene Mit¬
glieder der Verfassungspartei, welche mit den wesentlichen neuen Bestimmungen
einverstanden sind, schienen häufig von der Furcht befallen zu werden, sie könnten
sich zu sehr der Rechten nähern. Nehmen wir diese kleine Gruppe aus, so vollzog
sich das aus den "Fliegenden Blättern" bekannte Schauspiel einer Gerichts¬
verhandlung: der Angeklagte, hier die Novelle, wurde von der einen Seite weiß,
von der andern schwarz angestrichen. Aber in einem Parlament entscheidet be¬
kanntlich nicht ein Dritter, Unparteiischer, sondern die Partei, welche um eine
Stimme mehr aufbringt als die andre. Nimmt man nun die Zufälligkeiten
in Betracht, welche bei einer Abstimmung den Ausschlag geben könne", so darf
es nicht überraschen, wenn das Ergebnis widerspruchsvoll ausfällt, zumal in
einer Angelegenheit, mit welcher nur wenige sich eingehend befaßt haben.

Die neue Gesetznovelle setzt drei Kategorien von Gewerben sest: sreie, kon-
zessionirte und handwerksmäßige; für die letztem sind Genossenschaften obliga¬
torisch, und wer ein solches Gewerbe betreiben will, muß den "Befähignngs-


Die Gewerbereform im österreichischen Reichsrate.

n der Zeit vom 6, bis zum 18. Dezember, zuletzt mit Zuhilfe¬
nahme der Abend- und der Sonntagsstunden, hat das öster¬
reichische Abgeordnetenhaus eine Novelle zur Gewerbeordnung
zustande gebracht. Der Führer der Linken, or. Herbst, wandte
auf das Ergebnis der langen, manchmal recht leidenschaftlichen
Verhandlungen das schon tausendmal zitirte Wort Savignys an; wer nur aus
den einen mäßigen Oktavband füllenden stenographischen Berichten über die
dreizehn Sitzungen seine Kenntnis schöpft, wird wahrscheinlich noch eher zu dem
Schlüsse gelangen, daß Versammlungen, welche auf politischer Pogramme hin
gewählt nud in politische Fraktionen gegliedert sind, für die Lösung wirtschaft¬
licher Probleme wenig geeignet erscheinen. Was hat die Gewerbeordnung mit
dein politischen Parteitreiben zu schaffen? Von rechtswegen nicht das mindeste.
Und nun vollends mit den nationalen Zwistigkeiten! Wohlmeinende hatten sich
eben deshalb der Hoffnung hingegeben, daß die gemeinschaftliche Behandlung
derartiger Fragen eine Annäherung zwischen den feindlichen Brüdern zuwege
bringen werde. Die Leiden der gewerbliche» Bevölkerung sind ja dieselben bei
Deutschen und Tschechen, bei Ultmmontancu und Konfessionslosen. Aber trotzdem
sah mau die Versammlung in der Hauptsache auch diesmal in die zwei großen
Heerlager geschieden, nud während von beiden Seiten immer wieder die Mahnung
ertönte, nur die Sache ins Auge zu fassen, von politischer Voreingenommen¬
heit abzusehen, drängte sich die letztere doch überall hervor; selbst jene Mit¬
glieder der Verfassungspartei, welche mit den wesentlichen neuen Bestimmungen
einverstanden sind, schienen häufig von der Furcht befallen zu werden, sie könnten
sich zu sehr der Rechten nähern. Nehmen wir diese kleine Gruppe aus, so vollzog
sich das aus den „Fliegenden Blättern" bekannte Schauspiel einer Gerichts¬
verhandlung: der Angeklagte, hier die Novelle, wurde von der einen Seite weiß,
von der andern schwarz angestrichen. Aber in einem Parlament entscheidet be¬
kanntlich nicht ein Dritter, Unparteiischer, sondern die Partei, welche um eine
Stimme mehr aufbringt als die andre. Nimmt man nun die Zufälligkeiten
in Betracht, welche bei einer Abstimmung den Ausschlag geben könne», so darf
es nicht überraschen, wenn das Ergebnis widerspruchsvoll ausfällt, zumal in
einer Angelegenheit, mit welcher nur wenige sich eingehend befaßt haben.

Die neue Gesetznovelle setzt drei Kategorien von Gewerben sest: sreie, kon-
zessionirte und handwerksmäßige; für die letztem sind Genossenschaften obliga¬
torisch, und wer ein solches Gewerbe betreiben will, muß den „Befähignngs-


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[0037] Die Gewerbereform im österreichischen Reichsrate. n der Zeit vom 6, bis zum 18. Dezember, zuletzt mit Zuhilfe¬ nahme der Abend- und der Sonntagsstunden, hat das öster¬ reichische Abgeordnetenhaus eine Novelle zur Gewerbeordnung zustande gebracht. Der Führer der Linken, or. Herbst, wandte auf das Ergebnis der langen, manchmal recht leidenschaftlichen Verhandlungen das schon tausendmal zitirte Wort Savignys an; wer nur aus den einen mäßigen Oktavband füllenden stenographischen Berichten über die dreizehn Sitzungen seine Kenntnis schöpft, wird wahrscheinlich noch eher zu dem Schlüsse gelangen, daß Versammlungen, welche auf politischer Pogramme hin gewählt nud in politische Fraktionen gegliedert sind, für die Lösung wirtschaft¬ licher Probleme wenig geeignet erscheinen. Was hat die Gewerbeordnung mit dein politischen Parteitreiben zu schaffen? Von rechtswegen nicht das mindeste. Und nun vollends mit den nationalen Zwistigkeiten! Wohlmeinende hatten sich eben deshalb der Hoffnung hingegeben, daß die gemeinschaftliche Behandlung derartiger Fragen eine Annäherung zwischen den feindlichen Brüdern zuwege bringen werde. Die Leiden der gewerbliche» Bevölkerung sind ja dieselben bei Deutschen und Tschechen, bei Ultmmontancu und Konfessionslosen. Aber trotzdem sah mau die Versammlung in der Hauptsache auch diesmal in die zwei großen Heerlager geschieden, nud während von beiden Seiten immer wieder die Mahnung ertönte, nur die Sache ins Auge zu fassen, von politischer Voreingenommen¬ heit abzusehen, drängte sich die letztere doch überall hervor; selbst jene Mit¬ glieder der Verfassungspartei, welche mit den wesentlichen neuen Bestimmungen einverstanden sind, schienen häufig von der Furcht befallen zu werden, sie könnten sich zu sehr der Rechten nähern. Nehmen wir diese kleine Gruppe aus, so vollzog sich das aus den „Fliegenden Blättern" bekannte Schauspiel einer Gerichts¬ verhandlung: der Angeklagte, hier die Novelle, wurde von der einen Seite weiß, von der andern schwarz angestrichen. Aber in einem Parlament entscheidet be¬ kanntlich nicht ein Dritter, Unparteiischer, sondern die Partei, welche um eine Stimme mehr aufbringt als die andre. Nimmt man nun die Zufälligkeiten in Betracht, welche bei einer Abstimmung den Ausschlag geben könne», so darf es nicht überraschen, wenn das Ergebnis widerspruchsvoll ausfällt, zumal in einer Angelegenheit, mit welcher nur wenige sich eingehend befaßt haben. Die neue Gesetznovelle setzt drei Kategorien von Gewerben sest: sreie, kon- zessionirte und handwerksmäßige; für die letztem sind Genossenschaften obliga¬ torisch, und wer ein solches Gewerbe betreiben will, muß den „Befähignngs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/37>, abgerufen am 26.05.2024.