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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der parlamentarische Konflikt in Frankreich.

straft, einige mit dem Tode, andre mit Verbannung. Aber die, welche letztre
überlebten, wurden nach wenigen Jahren begnadigt, sie kehrten in die Heimat
zurück, und jetzt predigen sie nicht nur Lehren des Umsturzes krassester Art,
sondern haben zum Teil sogar Sitz und Stimme in der Volksvertretung. Wenn
der Republik Gefahr droht, so lauert dieselbe in den Reihen der Parteien, die
mit der Kommune zusammenfielet?, im Lager der Radikalen, und nicht in den
Kreisen der Monarchisten.

Jetzt, wo es gewiß ist, daß der Senat das Poskriptionsgesetz verwerfen
wird, ohne sich ans Erörterung seiner Einzelheiten einzulassen, fragt es sich,
welche Wirkung diese Entscheidung auf die Deputirtenkammer und das Land
ausüben wird. Ein Ergebnis haben wir schon oben erwähnt: das gegenwärtige
fragmentarische Kabinet wird seinen Abschied nehmen. Die Herren traten auf
eine Weise, die gegen alles Herkommen verstieß, ihr Amt an und haben für
zwei wichtige Departements keine Kollegen zu gewinnen vermocht. Obwohl sie
in der Deputirtenkammer die Mehrheit sür sich haben, finden sie in der öffent¬
lichen Meinung keine Stütze, und nach dem Votum vom vorigen Sonnabend muß
ein neuer Versuch unternommen werden, eine Regierung auf dem ordentlichen
Wege zu bilden. Die anomale Lage des Ministeriums Fallieres zeigt deutlich
den ganzen Charakter der durch Prinz Napoleons Manifest herbeigeführten Krisis
und die Gefahren, welche immer die Folge sind, wenn schwache leitende Poli¬
tiker die Zügel locker lassen und gestatten, daß die Radikalen mit ihnen durch¬
gehen. Überrascht, verlor das Kabinet Duclere die Geistesgegenwart, vergaß, daß
die Initiative ergreifen schon die halbe Schlacht gewinnen heißt, und gab, statt
dem Floqnetschen Antrage Widerstand zu leisten und ihm einen bestimmten Gegen¬
antrag gegenüberzustellen, schwachmütig dem Sturme der Linken nach. Der
erste falsche Schritt hatte eine Reihe ähnlicher zur Folge, und Fälliges, der
mit guten Vorsätzen begann, wurde hastig zu Maßregeln gedrängt, die nicht im
Einklange mit den verständigen Ansichten standen, die er ausgesprochen hatte.
Sein Ministerium blieb ein Torso, erst ohne Kriegsminister, dann ohne einen
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten und ohne einen obersten Chef der
Marine.

Wenn der bonapartistische Prätendent mit seinein Manifest den Zweck ver¬
folgte, Verwirrung anzurichten und zu zeigen, wie leicht sich der Gleichmut der
Deputirtenkammer stören läßt, so kann er sich des vollständigsten Erfolges rühmen.
Gegenwärtig giebt es in Frankreich nur zwei solid regierende Mächte: den
Präsidenten und den Senat; nur deren Aktion kann in die Leitung der öffent¬
lichen Angelegenheiten wieder Ordnung und Takt bringen. Auf die Ver¬
werfung des Proskriptionsgesetzes wird der Rücktritt der jetzigen Minister folgen,
und dann wird sich mit dem Erscheinen des neuen Premiers und der An¬
kündigung seiner Politik das Temperament der Kammer zeigen. Wer er sein
wird, ist noch unbekannt, wahrscheinlich Ferry, vielleicht Brisson. Im franzö-


Der parlamentarische Konflikt in Frankreich.

straft, einige mit dem Tode, andre mit Verbannung. Aber die, welche letztre
überlebten, wurden nach wenigen Jahren begnadigt, sie kehrten in die Heimat
zurück, und jetzt predigen sie nicht nur Lehren des Umsturzes krassester Art,
sondern haben zum Teil sogar Sitz und Stimme in der Volksvertretung. Wenn
der Republik Gefahr droht, so lauert dieselbe in den Reihen der Parteien, die
mit der Kommune zusammenfielet?, im Lager der Radikalen, und nicht in den
Kreisen der Monarchisten.

Jetzt, wo es gewiß ist, daß der Senat das Poskriptionsgesetz verwerfen
wird, ohne sich ans Erörterung seiner Einzelheiten einzulassen, fragt es sich,
welche Wirkung diese Entscheidung auf die Deputirtenkammer und das Land
ausüben wird. Ein Ergebnis haben wir schon oben erwähnt: das gegenwärtige
fragmentarische Kabinet wird seinen Abschied nehmen. Die Herren traten auf
eine Weise, die gegen alles Herkommen verstieß, ihr Amt an und haben für
zwei wichtige Departements keine Kollegen zu gewinnen vermocht. Obwohl sie
in der Deputirtenkammer die Mehrheit sür sich haben, finden sie in der öffent¬
lichen Meinung keine Stütze, und nach dem Votum vom vorigen Sonnabend muß
ein neuer Versuch unternommen werden, eine Regierung auf dem ordentlichen
Wege zu bilden. Die anomale Lage des Ministeriums Fallieres zeigt deutlich
den ganzen Charakter der durch Prinz Napoleons Manifest herbeigeführten Krisis
und die Gefahren, welche immer die Folge sind, wenn schwache leitende Poli¬
tiker die Zügel locker lassen und gestatten, daß die Radikalen mit ihnen durch¬
gehen. Überrascht, verlor das Kabinet Duclere die Geistesgegenwart, vergaß, daß
die Initiative ergreifen schon die halbe Schlacht gewinnen heißt, und gab, statt
dem Floqnetschen Antrage Widerstand zu leisten und ihm einen bestimmten Gegen¬
antrag gegenüberzustellen, schwachmütig dem Sturme der Linken nach. Der
erste falsche Schritt hatte eine Reihe ähnlicher zur Folge, und Fälliges, der
mit guten Vorsätzen begann, wurde hastig zu Maßregeln gedrängt, die nicht im
Einklange mit den verständigen Ansichten standen, die er ausgesprochen hatte.
Sein Ministerium blieb ein Torso, erst ohne Kriegsminister, dann ohne einen
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten und ohne einen obersten Chef der
Marine.

Wenn der bonapartistische Prätendent mit seinein Manifest den Zweck ver¬
folgte, Verwirrung anzurichten und zu zeigen, wie leicht sich der Gleichmut der
Deputirtenkammer stören läßt, so kann er sich des vollständigsten Erfolges rühmen.
Gegenwärtig giebt es in Frankreich nur zwei solid regierende Mächte: den
Präsidenten und den Senat; nur deren Aktion kann in die Leitung der öffent¬
lichen Angelegenheiten wieder Ordnung und Takt bringen. Auf die Ver¬
werfung des Proskriptionsgesetzes wird der Rücktritt der jetzigen Minister folgen,
und dann wird sich mit dem Erscheinen des neuen Premiers und der An¬
kündigung seiner Politik das Temperament der Kammer zeigen. Wer er sein
wird, ist noch unbekannt, wahrscheinlich Ferry, vielleicht Brisson. Im franzö-


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[0400] Der parlamentarische Konflikt in Frankreich. straft, einige mit dem Tode, andre mit Verbannung. Aber die, welche letztre überlebten, wurden nach wenigen Jahren begnadigt, sie kehrten in die Heimat zurück, und jetzt predigen sie nicht nur Lehren des Umsturzes krassester Art, sondern haben zum Teil sogar Sitz und Stimme in der Volksvertretung. Wenn der Republik Gefahr droht, so lauert dieselbe in den Reihen der Parteien, die mit der Kommune zusammenfielet?, im Lager der Radikalen, und nicht in den Kreisen der Monarchisten. Jetzt, wo es gewiß ist, daß der Senat das Poskriptionsgesetz verwerfen wird, ohne sich ans Erörterung seiner Einzelheiten einzulassen, fragt es sich, welche Wirkung diese Entscheidung auf die Deputirtenkammer und das Land ausüben wird. Ein Ergebnis haben wir schon oben erwähnt: das gegenwärtige fragmentarische Kabinet wird seinen Abschied nehmen. Die Herren traten auf eine Weise, die gegen alles Herkommen verstieß, ihr Amt an und haben für zwei wichtige Departements keine Kollegen zu gewinnen vermocht. Obwohl sie in der Deputirtenkammer die Mehrheit sür sich haben, finden sie in der öffent¬ lichen Meinung keine Stütze, und nach dem Votum vom vorigen Sonnabend muß ein neuer Versuch unternommen werden, eine Regierung auf dem ordentlichen Wege zu bilden. Die anomale Lage des Ministeriums Fallieres zeigt deutlich den ganzen Charakter der durch Prinz Napoleons Manifest herbeigeführten Krisis und die Gefahren, welche immer die Folge sind, wenn schwache leitende Poli¬ tiker die Zügel locker lassen und gestatten, daß die Radikalen mit ihnen durch¬ gehen. Überrascht, verlor das Kabinet Duclere die Geistesgegenwart, vergaß, daß die Initiative ergreifen schon die halbe Schlacht gewinnen heißt, und gab, statt dem Floqnetschen Antrage Widerstand zu leisten und ihm einen bestimmten Gegen¬ antrag gegenüberzustellen, schwachmütig dem Sturme der Linken nach. Der erste falsche Schritt hatte eine Reihe ähnlicher zur Folge, und Fälliges, der mit guten Vorsätzen begann, wurde hastig zu Maßregeln gedrängt, die nicht im Einklange mit den verständigen Ansichten standen, die er ausgesprochen hatte. Sein Ministerium blieb ein Torso, erst ohne Kriegsminister, dann ohne einen Leiter der auswärtigen Angelegenheiten und ohne einen obersten Chef der Marine. Wenn der bonapartistische Prätendent mit seinein Manifest den Zweck ver¬ folgte, Verwirrung anzurichten und zu zeigen, wie leicht sich der Gleichmut der Deputirtenkammer stören läßt, so kann er sich des vollständigsten Erfolges rühmen. Gegenwärtig giebt es in Frankreich nur zwei solid regierende Mächte: den Präsidenten und den Senat; nur deren Aktion kann in die Leitung der öffent¬ lichen Angelegenheiten wieder Ordnung und Takt bringen. Auf die Ver¬ werfung des Proskriptionsgesetzes wird der Rücktritt der jetzigen Minister folgen, und dann wird sich mit dem Erscheinen des neuen Premiers und der An¬ kündigung seiner Politik das Temperament der Kammer zeigen. Wer er sein wird, ist noch unbekannt, wahrscheinlich Ferry, vielleicht Brisson. Im franzö-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/400>, abgerufen am 19.05.2024.